Lindners Löhne & Eyssens Sisi

Die Gebrauchtwoche

TV

19. – 25. September

Man muss sich das kurz im neoliberalen Ohr zergehen lassen: Christian Lindner, Fan besinnungsloser Autobahnraserei und Apothekenprofite, schlägt vor, Bezüge zu deckeln, und zwar ausnahmsweise nicht diejenigen arbeitsloser oder ähnlich einkommensschwacher Menschen, denen er das Existenzminimum nicht unterm Fingernagel gönnt. Nein: Besserverdienenden, also seinesgleichen. Zumindest, sofern sie Teil der öffentlich-rechtlichen Führungsspitze sind, deren Reporter*rinnen oftmals allzu kritisch mit der FDP umgehen.

Ach ja, anschließend forderte er – unter Umgehung staatsvertraglicher Kenntnisse – auch noch, die Rundfunkbeiträge zu deckeln. Grund dafür: eine öffentlich-rechtliche Doppelberichterstattung der Queen-Beerdigung, was – trotz 4,1 Milliarden Welteinschaltquote, die auch deutsche Medien von einer argentinischen Bloggerin abgeschrieben habe – fürwahr kein gebührenfinanziertes Ruhmesblatt war, aber gleich Anlass zum Bruch mehrerer Verfassungsgerichtsurteile? Für Lindner schon, den man da allerdings hören möchte, wenn nur einer der beiden Sender vom nächsten FDP-Parteitag berichtet.

Und warum blieb ein Finanzminister, der Mietpreisdeckel kommunistisch findet, aber Gaspreisdeckel liberal, eigentlich stumm, als die Tagesthemen am Dienstag gleich von zwei Personen moderiert wurden? Ach ja, weil Ulrich Wickert nur mal kurz bei Caren Miosga reinschneite, um ihr dafür zu gratulieren, dass sie ihn als Moderator mit der längsten Dienstzeit abgelöst hat. Eine Doppelspitze gibt es dagegen, wenn RTL Ende 2022 das ablaufende Jahr Revue passieren lässt. Neben Thomas Gottschalk am Mikro, Achtung: Karl Theodor zu Guttenberg, der selbst für CSU-Verhältnisse ausgesprochen egoman und windig war.

Also ganz gut zu Gottschalk und Privatsendern passt… Da dürfte die Bild-Zeitung doch balkenbreit frohlocken, dass zwei ihrer Zugpferde gemeinsam vor der Kamera stehen. Zumal der zugehörige Internet-Sender Bild TV dank umfassender Kooperationen mit RTL noch nicht mal fremdes Material nutzen muss. Wie jenes, das er ARD und ZDF vor einem Jahr nach der Bundestagswahl geklaut hatte – und nun auch im zugehörigen Urheberrechtsstreit unterlag.

Die Frischwoche

26. September – 2. Oktober

Ob die Nachkommen derer zu Habsburg, einst das mächtigste Adelsgeschlecht Europas, Netflix fürs nächste Biopic ihres süßesten Gesichtes belangen wird, bleibt abzuwarten, aber sie ist wieder da: Sisi. Auch wenn Die Kaiserin der Herzen in Katharina Eyssens opulentem Sechsteiler partout Elisabeth genannt werden will. Als solche landet die Märchenprinzessin neun Monate nach der RTL-Serie Sisi in Franz-Josefs Käfig – allerdings ästhetisch so, als hätte Wes Anderson Babylon Berlin in Schloss Schönbrunn gedreht.

Schwer zu sagen, ob das kreativ oder unfreiwillig komisch ist, aber den Aberwitz dieser tausendfach verklärten Lovestory expressionistisch zu überdrehen, bleibt zumindest unberechenbar. Das hätte wohl auch Pistol gern von sich behauptet, ist nach Lage der Teaser (Disney+ hat bis zum Upload dieser Kolumne keine Screener geschickt), aber nur ein schaler Versuch, die Ur-Punks ab Mittwoch serientauglich zu kostümieren. Und damit zu einer Serie, die parallel an gleicher Stelle ohne Kostüm zum Besten zählt, was 2022 hervorbringen dürfte

In The Old Man spielt der unvergleichliche Jeff Bridges einen CIA-Agenten a.D., den die Vergangenheit als tödliche Allzweckwaffe abrupt aus seinem Exil in Verfolgungsjagden von ergreifender Intensität zieht. Was der Siebenteiler aus dem gleichnamigen Roman von Thomas Perry macht, ist somit nicht weniger als die Entdeckung der Actionlangsamkeit, an der man sich kaum sattsehen kann. Internationale Qualität eben, die deutsche Produktionen bisweilen fast mutwillig unterlaufen.

Die ZDF-Mediathek zum Beispiel mit dem nächsten Kommissar (Ulrich Noethen) der Samstag aus einer Großstadt (Hamburg) in die Provinz (Wendland) versetzt wird, wo er beim Mordermitteln seine Marotten kultiviert. Noch berechenbarer ist die Mystery-Serie Another Monday mit der verrückten Idee, drei Charaktere morgens in einer Zeitschleife erwachen zu lassen. Vielleicht sollte man das mal mit einem Murmeltier versuchen… Besser machen es da zwei Dokus: Passend zur linearen Ausstrahlung vom Lausitz-Drama Lauchhammer zeigt die ARD-Mediathek Hinter dem Abgrund, einer vierteilige Milieustudie übers (Über-)Leben im ehemaligen Braunkohlerevier. Und Samstag beleuchte Sky drei Teile lang das Leben und Sterben der Grünen-Ikone Petra Kelly.

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