Fahnenmeere & Beckenbauer

Die Gebrauchtwoche

TV

1. – 7. Dezember

Wer Wintersport kommentieren möchte, benötigt exakt drei Kernkompetenzen, um für ARD und ZDF ans Mikro zu dürfen: Das Publikum wird pro Übertragungsminute vier- bis vierzigmal für seine Begeisterungsfähigkeit gelobt. Zu Beginn, in der Mitte und am Ende aller Interviews hat jede(r) Athlet(in) zu bestätigen, wie „fantastisch“, „gigantisch“ oder „phänomenal“ die Zuschauer seien! Und falls die Antwort zu nüchtern gerät, drücken Fahnenmeere national beseelter Fans das Bild gerade.

Als gäbe es ein weisungsbefugtes Wintersportpropagandaministerium, betreiben Marketingbeauftragte von Lea Wagner und Jens-Jörg Rieck bis Lena Kesting und Christoph Hamm Produkt-PR in eigener Sache, die den Selbstzerstörungsmechanismus ihrer Presseausweise auslösen müsste – hätten sie beim Eintritt ins öffentlich-rechtliche Selbstbeweihräucherungsfernsehen nicht ihr Berufsethos an der Garderobe abgegeben.

Anders als politischer darf sportlicher Journalismus naturgemäß zwar parteiisch sein; der schwarzrotgoldene Rausch allerdings, dem besonders die kommentierenden Skisprung- und Biathlonbrigaden im Ersten und Zweiten oft verfallen, ist so aasig, dass die Moderation der mitreißenden Darts-WM bei Sport 1 dagegen geradezu vorbildlich war. Wobei der wahrhaftigste Wettstreit ohnehin online lief.

Bei FreeVee oder Youtube ging die dritte Staffel 7 vs. Wild zu Ende. Und sie belegt aufs Neue, wie gehaltvoll Trash-TV sein kann, wenn die Selbstdarsteller*innen derart unverstellt agieren. Es war ein bemerkenswerter Start ins erste Jahr der deutschen Produktionsbranche ohne Magenta TV, Sky, Servus und Sat1, wobei sich letztere bislang nur faktisch, nicht offiziell von Inhalten verabschiedet hat.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

8. – 14. Dezember

Von publizistischer Distanz hatten sich bislang fast alle Autoren liebedienerischer Porträts populärer Sportskanonen wie Kaiser Franz verabschiedet. Nach monarchistischen PR-Beauftragten wie Thomas Schadt oder Thomas Klinger, wagen sich heute Abend nun Philipp Grüll und Christoph Nahr ans Denkmal Beckenbauer – und siehe da: die ARD-Doku durchleuchtet den bestechungsaffinen Steuerflüchtling mit Katar-Fimmel um 20.15 Uhr geradezu kritisch.

Kurz vorm 20. Geburtstag des RTL-Turmspringens, das am Freitag weitere Bauchklatscher landet, wird Paul Rutmans Old Case in der Apple-Serie Criminal Record ab Mittwoch acht Teile lang zu einem Cold Case, der Englands rassistische Klassenjustiz an den Pranger stellt und nebenbei sehr anspruchsvoll inszeniert wurde. Einen unaufgeklärten Mord der 70er Jahre stellt derweil die Magenta-Serie Steeltown Murders ab Freitag vier Folgen nach.

Irgendwie ebenfalls fiktional und dennoch in der Realität verankert ist die quirlige Neo-Serie The Outlaws. Während sie als Strafersatz ein altes Haus in Bristol renovieren, geraten sieben Kleinkriminelle um den unvergleichlichen Christopher Walken dabei sechsmal 60 Minuten in einen Strudel großkrimineller Verwicklungen – was unter der boshaften Synchronisation nicht nur britische Leichtigkeit entfaltet, sondern einen Gimmick, der mit dem Street-Art-Künstler Banksy zu tun hat.

Zwischendurch repetiert Disney+ mit Echo ab Mittwoch dann noch ein weiteres fünfteiliges Superheldenactiongefasel Marke Marvel, bevor Bülent Ceylan zwei Tage3 später in der ARD-Mediathek seine Comedy-Show Babbel Net! fortsetzt, was zwar wie immer nicht jedermenschs Sache ist, aber sechs Episoden lang sehr aufrichtigen Alltagshumor vermittelt.



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