Mai Thi Nguyen-Kim: Hass & Resilienz

Ich komme mit Hass gut klar

Mai-Thi-Artikel_Kopie

Mai Thi Nguyen-Kim (Foto: Ben Knabe/ZDF) ist Deutschlands bekannteste Wissenschaftsjournalistin. Im freitagsmedien-Interview, das vorab im Medienmagsazin Journalist erschienen ist, erklärt sie, wie man das Publikum für Wissenschaft begeistert – und warum sie Lottozahlen in der Tagesschau falsch findet.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Mai Thi Nguyen-Kim, Sie haben der Instagram-Community gerade in einem sehr ausführlichen Video erklärt, wie genau man Milch und Cornflakes mischen sollte, damit sie lange knusprig bleiben.

Mai Thi Nguyen-Kim: Erst die Milch, dann die Cornflakes, nicht umgekehrt, wie es die meisten wohl machen.

Das ist also das Spektrum, in dem sich die Wissenschaftsjournalistin Nguyen-Kim bewegt!

(lacht) Das ist meine Range, genau.

Und damit das Gegenteil dessen, was Wissenschaftsjournalismus am Bildschirm ausgemacht hatte, als vorwiegend ältere Herren im Cord-Sakko wichtiges Wissen nüchtern verabreicht haben.

Von welcher Zeit genau sprechen Sie denn da?

Bis Anfang der 90er, als Ihr Metier im Sog der Privatsender sein Themenfeld popkulturell erweitert hat. War die Entwicklung naturgegeben, quasi ein evolutionärer Prozess?

Wir, also Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sind ja zunächst mal auch nur Menschen. Sehr verschiedene sogar, mit Hobbys und manchmal sogar Freunden. Deshalb habe ich schon mit den ersten Youtube-Videos vor zehn Jahren versucht, bei aller wissenschaftlichen Sachlichkeit ich selber zu sein. Mir fällt daher kein rationaler Grund ein, warum ich mich als Wissenschaftlerin von Spaß oder Humor fernhalten sollte.

Ein Grund könnte sein, dass es im Elfenbeinturm früherer Tage den Anspruch gab, Erhabenheit auszustrahlen, damit wissenschaftliche Expertise nicht unter zu viel Leichtigkeit leidet.

Womöglich. Wobei ich diesen Drang zur akademischen Ernsthaftigkeit schon deshalb schade fand, weil er schnell etwas Dogmatisches ausstrahlt. Das Missverständnis, zumindest Naturwissenschaft sei etwas unfassbar Kompliziertes, das nur weltfremde Freaks verstehen, trägt teilweise Mitverantwortung dafür, dass die Allgemeinbildung in Deutschland diesbezüglich nicht besonders groß ist. Natürlich ist ein naturwissenschaftliches Studium extrem anspruchsvoll. Aber die Basics kann man auch ohne Master ganz gut verstehen, sofern sie einigermaßen verständlich vermittelt werden. Naturwissenschaften haben ein Vermittlungs-, kein Verständnisproblem.

Darf Wissenschaftsjournalismus dennoch didaktisch sein?

Wissenschaftsjournalismus muss sogar didaktisch sein – sofern er Forschungsergebnisse vermittelt. Ich finde es dagegen spannender, die Methoden dahinter deutlich zu machen, also woher die Fachleute, deren Quellen ich nutze, eigentlich wissen, was ich hier über ihre Studienergebnisse sage. Mir ist wichtig, wissenschaftliches Arbeiten und Denken zu vermitteln. Wer sich bei Google Scholar nur die Resultate anschaut, merkt stattdessen schnell, dass sie sich gegebenenfalls widersprechen. Wenn man nicht nachvollziehen kann, woher diese Widersprüche kommen, ist Wissenschaft nicht Verstehens-, sondern Vertrauenssache.

Also an den Glauben an diejenigen gekoppelt, die wissenschaftliche Expertise haben und verbreiten?

Eher an deren Bereitschaft, die Unsicherheiten ihrer Forschungsergebnisse transparent zu machen. Unsicherheiten sind fester Bestandteil wissenschaftlichen Arbeitens. Manchmal sind sie größer, manchmal geringer, aber so ganz auszuräumen sind Unsicherheiten selbst dann nicht, wenn sich die Evidenz mit einer steigenden Anzahl von Messmethoden häuft. Aber nehmen wir mal die Schuld des Menschen am Klimawandel. Das thront auf einem derart großen Berg von Evidenz, dass man von einem Fakt spricht. Wer das anzweifelt, muss Evidenz auf den Tisch legen, die stark genug ist, den bisherigen Evidenzberg umzuwerfen. Ansonsten darf man nicht erwarten ernstgenommen zu werden. Fakt ist Fakt.

Das wäre die inhaltliche Ebene der Wissensvermittlung. Hinzu kommt die äußerliche: ihre Präsentation. Wie haben Wissenschaftsapparat und Publikum reagiert, als die junge, hippe Mai Thi 2014 mit HipHop und Hotpants online Chemie erklärt hat?

Als ich damit angefangen habe, war der Begriff „Wissenschaftskommunikation“ noch ebenso neu wie ich in der Öffentlichkeit. Umso positiver war ich damals überrascht, dass meine Art dieser Kommunikation eher positiv aufgenommen wurde. Da hat besonders in meiner Generation ein Umdenken stattgefunden, das ältere Riegen vielleicht nicht so gerne sehen. Aber man muss ja in die Zukunft schauen. Und interessanterweise wird man mit meinem Habitus ganz woanders weniger ernst genommen.

Ich ahne, wo…

In den Medien. Wer nicht aussieht wie Harald Lesch, hat es in ihrer Branche deutlich schwerer (lacht).

Gibt es denn da so etwas wie ein Medien-Manual oder Youtube-Tutorial, was Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen besser vermeiden, um das Gegenteil zu bewirken?

So banal das klingt: Am Ende geht es immer um Inhalte. Deshalb achte ich sehr darauf, nicht irgendwann nur noch Moderatorin zu sein. Ich moderiere zwar meine eigenen Inhalte. Der redaktionelle Teil macht dabei aber den weitaus größeren meiner Arbeit aus.

Redaktionell im Sinne von wissenschaftlich?

Quasi. Ich meine den Teil meiner Arbeit, der am Schreibtisch stattfindet, also recherchieren, lesen, verstehen, aufschreiben. Da hat tatsächlich viel mit wissenschaftlichem Arbeiten gemeinsam. Bevor ich mich ins Rampenlicht stelle, sorge ich dafür, das Vorgetragene bestmöglich zu beherrschen. Und das vermittelt sich aus meiner Sicht auch dem Publikum.

Welche Bedeutung hat darin Ihr Doktortitel?

So wichtig er ist: ohne die Authentizität meiner Person dahinter bliebe er reine Dekoration. Wenn Menschen aus der Wissenschaft in die Medien gehen, liegt das typischerweise in ihrer Natur, öffentlich inhaltlich arbeiten zu wollen. Dass ich am Anfang auch durch etwas so Oberflächliches wie mein Äußeres aufgefallen bin, habe ich daher versucht mitzunehmen, für die nötige Aufmerksamkeit nutzbar und damit das Beste draus zu machen.

Dass dieses Beste am Ende der Sieg des Inhalts über den Tonfall sein soll, klingt jetzt allerdings ein bisschen zu zweckoptimistisch angesichts der Wahrnehmungsvormacht von lautem verglichen mit sachlichem Content…

Dass es umgekehrt läuft, halte ich gerade auch für utopisch. Aber für mich bleiben Inhalte allein deshalb schon maßgeblich, weil nur sie am Ende nachhaltigen Erfolg bringen. Dennoch darf man sich nichts vormachen: In unserer Zeit ist die Verpackung superwichtig: Mein Setting, das Aussehen, der Titel, die Ausstattung – alles Faktoren, um auf mich aufmerksam zu machen. Wenn ich niemanden dazu bringen kann, meinen Inhalten zuzuhören, mache ich alles umsonst. Wichtig ist, dass die Reihenfolge der Prioritäten stimmt.

Inwiefern?

Größtmögliche Aufmerksamkeit für Inhalte zu generieren, die mir wichtig sind. Nicht größtmögliche Inhalte für Aufmerksamkeit zu generieren, die mir noch wichtiger ist. So geht es zumindest mir. Aber weil ich so viele Zuschauer wie möglich möchte, stecke ich mehr Energie als geplant in die Aufmachung.

Unlängst haben Sie für diese Aufmerksamkeit allerdings Inhalte transportiert, die nur vorgetäuscht waren – nämlich ihre Ankündigung, in die Politik zu gehen. Wie wahrhaftig muss, wie aktivistisch darf eine Wissenschaftsjournalistin sein?

Für uns als Redaktion war das ja weder Aktionismus noch Wahrheitssuche, sondern schlicht und einfach ein Experiment, bei dem es wie immer in der Psychologie notwendig sein kann, die Teilnehmenden – in diesem Fall das Publikum – unter einer falschen Prämisse einzubeziehen, um echte Reaktionen hervorzurufen. Wobei das Learning hier sogar in der Tatsache bestand, darauf hereinzufallen.

Worin bestand denn der Lerneffekt?

Letztlich Populismus dadurch entlarven zu können, dass wir populistisch agieren. So ähnlich ist MAITHINK X auch mal in einer Sendung über Homöopathie vorgegangen, in der wir mit der Idee gespielt haben, einen Globuli-Tee herausgebracht zu haben oder auch nicht. Bei der Politik-Meldung ging es um die Prämisse, dass selbst kritische, vor allem aber selbstkritische Leute unserer eigenen Community, denen man nur schwer etwas vormachen kann und die uns eigentlich gut kennen, anfällig sind für Falschmeldungen aller Art. Sich das einzugestehen, fällt den meisten ungeheuer schwer.

Ihnen auch?

Mir auch. Als Chemikerin wird man auch schnell demütig, wenn etwa ein Messgraph schwarz auf weiß beweist, dass die eigene Hypothese Mist war.

Aber wie war denn jetzt die Reaktion ihrer eigenen Community auf die Ankündigung?

Erwartbar war zumindest die gesteigerte Aufmerksamkeit aller Seiten. Ich wäre auch exited, wenn jemand, die wie ich in der Öffentlichkeit steht, so eine Ankündigung macht. Andererseits finde ich es schon interessant, wie wenig hinterfragt wurde, mit welchen Inhalten ich denn eigentlich politisch aktiv hätte werden wollen. Allein schon angesichts der Themen, über die ich mich in den letzten Jahren exponiert habe: Corona, Impfen, grüne Gentechnik, Homöopathie – das erweckt irgendwie den Anschein, als qualifiziere allein das schon für politische Arbeit. Dabei ist die ungleich viel komplexer als ihre einzelnen Felder.

Wobei gerade die repräsentative Demokratie ja nicht nur sachorientiert, sondern characterdriven ist oder um Ihre Aussage über die Wissenschaft von vorhin aufzugreifen: neben der Verständnis- gibt es auch eine Vermittlungsebene.

Aber umso mehr frage ich mich, wieso die Presse meine Aussage nicht sofort in den Kontext der Sendung gestellt hat. Selbst dann nicht, als mein Management und das ZDF jede Anfrage mit derselben Antwort abgelehnt hat, ich stünde für einen Kommentar nicht zur Verfügung, aber schauen Sie doch MAITHINK X am Sonntag, worin es um Rechtspopulismus gehe. Ein größerer Wink mit dem Zaunpfahl ist doch kaum denkbar.

Umso eher können wir den Gedanken, das Mai Thi Nguyen-Kim tatsächlich parteipolitisch aktiv wird, ja mal durchspielen: Könnte die Politik mehr wissenschaftliche Expertise vertragen?

Schon. Wobei ich ja nicht aus einer empiriebasierten Sozialwissenschaft komme, sondern der evidenzbasierten Naturwissenschaft. Einen Fachbereich also, über den man nur schwer diskutieren kann und vielfach auch echt nicht mehr diskutieren muss.

Stichwort Klimawandel.

Genau. Solange es keine neue Evidenz gibt, dass er nicht menschengemacht ist, ist er es eben. Oder verlassen wir die Abstraktionsebene und nehmen ein konkreteres Beispiel: Technologie-Offenheit.

Ein wirtschaftsliberaler Fetisch, mit dem das Ende des Verbrennungsmotors hinausgezögert werden will.

Ja, nur ist Technologieoffenheit natürlich ein super Framing. Warum sollte man fossile Technologien wie den Verbrennungsmotor verbieten, wenn es doch sein könnte, dass er irgendwann mit nachhaltigem Kraftstoff betankt wird? Klingt fortschrittlich, aber ist es angesichts vom enormen Bedarf für andere Fortbewegungsmittel als Pkw auch wissenschaftlich, also klug? Klar kann man sich den schönsten Ponyhof künftiger Mobilität basteln, aber eben nur, wenn man thermodynamisch-physikalische Grenzen der unglaublichen Ineffizienz von E-Fuels im Bereich des individuellen Personenverkehrs draußen lässt.

Wobei das Autofahren in Deutschland definitiv nicht nur mit Effizienz zu tun hat.

Im Gegenteil. Aber so wichtig Freiheit und Fahrspaß kulturell hierzulande ist, so wichtig wird die effiziente Verteilung knapper Ressourcen volkswirtschaftlich und ökologisch. Erneuerbar produzierter Strom wird im Vergleich zum enormen Bedarf künftig begrenzt sein; da fehlt mir dann schlicht die Ehrlichkeit der Technologieoffenheit, dass Träume und Politik selten zusammenpassen.

Dennoch muss Politik doch auch träumen dürfen. Das nennt man Utopie.

Deshalb darf man auch gerne Technologieoffenheit zugunsten individueller Mobilität fordern, aber bitte nicht unterm Deckmantel von Wissenschaft und Forschung. Denn da herrscht einhelliger Konsens, dass E-Fuels in Pkw Unsinn sind. Eigentlich müssten sich daher alle Parteien auf eine physikalisch-chemische Kernrealität einigen, um auf dieser Basis in jede Richtung zu streiten, anstatt Wahrscheinlichkeiten von drei und weniger Prozent zur Grundlage politischer Konzepte zu machen.

Sie sind also Verfechterin einer klaren Arbeitsteilung zwischen Wissenschaft und Politik, vermittelt durch Enquete-Kommissionen und Journalistinnen wie Ihnen?

Das klingt mir auch wieder zu einfach. Es gibt schlicht zu wenig Wissenschaft, die überhaupt unumstößliche Fakten schafft. Beispiel Ernährungsforschung. Ein naturwissenschaftliches Gebiet, dessen Ergebnisse fast schon automatisch widersprüchlich sind. Das hat methodisch Gründe, Menschen sind für Ernährungsstudien einfach sehr unzuverlässige Versuchstiere, schlecht vergleichbar, schlecht kontrollierbar. Es ist spannende Grundlagenforschung, aber für konkrete Diättipps und Handlungsanweisungen methodisch zu schwammig. Ähnlich ist das mit Geistes- und Sozialwissenschaften. Für Politik ist beides hochrelevant, aber wegen methodischer Unsicherheiten schwer verwertbar. 

Gerade im Zeitalter des Populismus.

Genau, da gibt es Verzerrungen, da gibt es Cherry Picking, da gibt es False Balance. Mir wäre es daher manchmal fast lieber, man würde die Wissenschaft komplett aus der Debatte herauslassen (lacht). Aber ernsthaft: Dem Vertrauen in wissenschaftliche Forschungsergebnisse tut deren politischer Ge- oder Missbrauch generell nicht gut.

Haben Sie als Wissenschaftsjournalistin, um nicht -influencerin zu sagen, dennoch den Bedarf, auch politisch gehört zu werden?

Insofern schon, als publizistisch wahrgenommen zu werden immer auch politische Relevanz hat. Politik will ja nicht nur Wählerstimmen gewinnen, sondern Wählerwünsche erfüllen. Die beste Möglichkeit, Wissenschaft in die Politik zu bringen, besteht demnach darin, Menschen so gut aufzuklären, dass ihr Wünsche möglichst rational sind. Es gibt zum Beispiel keinen logischen Grund dafür, dass grüne Gentechnik gefährlicher ist als die gute alte Züchtung. Wenn man Konsens darüber herstellt, dass sie im Gegenteil sogar ein Gamechanger des Klimawandels sein kann, könnte es grüne Politik mehr beeinflussen als Ernährungswissenschaftler im Parteipräsidium.

Was ist aus Ihrer Sicht denn das perfekte Medium, um Menschen mit größtmöglicher Reichweite wissenschaftlich aufzuklären?

Wissenschaft lässt sich besser erklären, je mehr Zeit man ihr gibt. Deswegen funktioniert ihre Vermittlung nach dem Zwiebelprinzip. Im Innern steckt der Kern wissenschaftlicher, evidenzbasierter, valider Erkenntnisse, die nur sehr wenigen Menschen zugänglich sind. Ganz außen befindet sich mein Cornflakes-Video: oberflächlich, aber reichweitenstark. Bis dahin arbeitet man sich Schicht für Schicht, Medium für Medium von innen nach außen vor, um immer mehr Wissen immer klarer zu machen.

Und MAITHINK X?

Halbe Stunde monothematisch? Steckt ungefähr in der Mitte. Da ist schon viel drin, aber morgen ist die nächste Aufzeichnung, und wir sind immer noch am Kürzen (lacht). Und für mehr als 30 Minuten reicht die Aufmerksamkeitsspanne in der Regel nicht aus. Anders wäre es bei einem Podcast, da hätte ich mehr Zeit, das würde ich gern mal machen, um gut belastbares Transferverständnis zu erzeugen. Aber genau dafür braucht es auch oberflächlicheres Zeug wie die Cornflakes-Geschichte. Das macht mir, davon abgesehen, halt auch riesigen Spaß.

Wie wichtig ist Ihnen als Wissens- und Unterhaltungsprinzip – egal in welcher Zwiebelschicht – der Humor?

Nach außen hin immer wichtiger. Zu mir verirren sich schließlich auch Leute. Und die hält man mit Humor eher beim trockenen Fach Wissenschaft.

Aber wie kriegt man innerhalb der Aufmerksamkeitsökonomie die Balance zwischen affektgesteuerter Youtube-Bubble und ernsthaft wissenschaftsinteressiertem Zeit-Publikum?

Indem man diesen Grundkonflikt von Fall zu Fall immer wieder aufs Neue aushandelt. Aber das gilt für alle, die das Bedürfnis haben, möglichst viele Menschen zu erreichen – ob Medienschaffende oder Parteien. Zu dem Thema haben wir vor unserer Populismus-Sendung viel mit der Prof. Paula Diehl geredet.

Politikwissenschaftlerin an der Uni Kiel.

Die meinte, ein bisschen Populismus sei gar nicht automatisch schlimm, sondern das Salz in der Suppe der Aufmerksamkeitsökonomie, die man aber auch schnell überwürzen kann. Ähnliches gilt für Clickbait. Um Inhalte zu verbreiten, ist Reichweitenorientierung okay, solange sie nicht selber zum Inhalt wird. Deshalb betreibe ich bei Youtube seit jeher Clickbait.

Oha.

Denn genauso wie man fragen könnte, ob die knallige Verpackung wissenschaftlicher Fakten Erkenntnisgewinne bringt, könnte man ja fragen, ob es nicht sogar kontraproduktiv ist, wenn man sie nüchtern aufbereitet hinter Bezahlschranken für Besserverdienende versteckt. Es gibt da einfach keine pauschalen Rezepte. Und die Medienlandschaft ändert sich so rasant, dass man versuchen muss hinterherzukommen, ohne die Prioritäten zu verschieben. Denn erste Priorität ist und bleibt: der Inhalt. Alles andere ist Mittel zum Zweck.

Aber gibt es denn dafür ein Regelbuch, das Ihnen sagt, wo der Inhalt womöglich doch hinter die Hülle zurücktritt?

Der beste Weg dorthin ist, möglichst wenige Entscheidungen allein zu treffen. Deshalb diskutieren wir in der Redaktion gern gemeinsam aus vielen Perspektiven. Dafür gibt es neben der Unterhaltungsabteilung, die auf mediale Außenwirkung achtet, noch eine Nerd-Abteilung promovierter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die auf Evidenz achten (lacht). Eine Möglichkeit, um das Publikum bei der Stange zu halten, ohne es zu bevormunden, ist da zum Beispiel, in Videos Kapitel einzufügen, damit man sich gegebenenfalls vorklicken kann.

Welche Rolle hatte für Ihre Art des Wissenschaftsjournalismus denn die Pandemie, in der Sie nicht nur bekannter, sondern auch ernster geworden sind?

Die Pandemie hatte in vielerlei Hinsicht großen Einfluss auf mich und meine Arbeit. Bis dahin war ich ein Stückweit naiver, was die Akzeptanz wissenschaftlicher Evidenz betrifft. Zuvor hätte ich wohl gedacht, wenn ein genbasierter mRNA-Impfstoff aufkommt, wird es zwar Skepsis geben, Aber wenn ein Impfstoff schon von unserer – wie ich finde übervorsichtigen – Stiko empfohlen wird…

Für all jene, die Corona komplett verdrängt haben: Die Ständige Impfkommission.

… dann ist das statistisch gesehen ein absoluter No-Brainer, dann steht der Nutzen der Impfung in keinem Verhältnis zu ihren Risiken. Da hat mir der große Widerstand gegen die beste aller Optionen einen ordentlichen Reality-Check verpasst. Weil Statistik für mich so aussagekräftig ist, spiele ich ja auch nie Lotto. Mehr noch: Wenn mein Mann aus Spaß einmal im Monat so einen Schein ausfüllt, weil angeblich ja immer einer gewinne, regt mich so auf!

Weil die Erfolgswahrscheinlichkeit praktisch bei null liegt.

Trotzdem werden die Zahlen Woche für Woche sogar in der Tagesschau verlesen! Da muss man sich ja nicht wundern, dass wir statistische Unwahrscheinlichkeiten so ernstnehmen. Was mir vor Corona ebenfalls nicht bewusst war: Wie schnell Wissenschaft Gegenstand politischer Diskussionen wird. Meine Vorstellung, sie könne neutral sein, hat sich als Trugschluss erwiesen.

Wie sind Sie dann damit umgegangen, dass sogar wissenschaftliche Objektivität zum Gegenstand von Hass und Hetze bis hin zu physischer Gewalt geführt hat?

Das gab es vorher auch. In weitaus geringerem Maßstab zwar, aber wo immer Erkenntnisse auf vorgefertigte Weltbilder treffen, kollidieren sie teils heftig miteinander. Wobei die Intensität von Hass und Hetze mit der Reichweite wissenschaftlicher Fakten korreliert. Von daher betraf es mich mehr als andere, hat aber auch gezeigt, dass mein Impact größer geworden ist.

Macht es das besser?

Besser nicht. Aber als Wissenschaftlerin komme ich mit Hass gut klar, weil ich ihn von mir als Person trennen kann. Die hassen mich schon irgendwie auch mit, aber ja über den Umweg dessen, was ich zum Impfen sage. Wenn man die Hater mit mir in einen Raum sperren würde, könnten wir wahrscheinlich miteinander reden. Aber gerade durch ihre Objektivität stellt gerade die Naturwissenschaft eine so große Bedrohung für geschlossene Weltbilder dar, das vielen ihre Täter-Opfer-Umkehr gar nicht bewusst ist.

Wie meinen Sie das?

Dass sie sich von wissenschaftlicher Objektivität bedroht fühlen und daraufhin Wissenschaftlerinnen wie mich teils physisch bedrohen. Dank meines Teams kriege ich davon jedoch relativ wenig mit. Und dank meiner Ressourcen geht es mir auch darüber hinaus vergleichsweise gut. Ich habe das ZDF im Rücken, meine Redaktion, den Droemer-Verlag, ein stabiles Umfeld und kann meine Arbeit daher sehr frei machen. Aber dass es dieser Ressourcen dafür bedarf, ist die Ausnahme und damit ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft und die Demokratie.

In unserer misogyn und rassistisch aufgeheizten Atmosphäre überrascht es jetzt ein wenig, dass Sie sich als junge Frau mit vietnamesischer Familiengeschichte, also intersektional diskriminierte Figur der öffentlichen Wahrnehmung, so sicher fühlen…

Das gilt insbesondere im Vergleich mit Frauen in der Politik. Was die abkriegen, ist viel, viel, viel schlimmer. Der Hass auf Wissenschaftlerinnen, so zynisch es klingt, ist immer noch sachlicher als der Hass gegen Politikerinnen. Wenn jemand sagt, meine Impf-Empfehlungen töten Kinder, ist das schlimm, aber irgendwie … themenimmanent.

Dennoch sind Sie während der Pandemie teilweise nur mit Bodyguard vor die Tür gegangen. Haben Sie für Menschen, insbesondere Frauen, im Shitstorm einer aufgewühlten Gesellschaft dennoch so etwas wie Resilienz-Rezepte übers stabile Umfeld hinaus?

Nein, denn gerade wegen meiner gesicherten Position möchte ich mich ungern in die Rolle der schlauen Ratgeberin begeben und kann ja niemandem empfehlen, sich ein gutes Umfeld oder einen so tollen Partner wie meinen zuzulegen (lacht). Ich durfte einige Preise während der Pandemie annehmen, aber hatte manchmal das Gefühl, dass meine Auszeichnung als Beweis herhalten soll, dass man als Frau und Wissenschaftlerin alles schaffen kann. Damit hatte ich so meine Probleme, denn ich bin einfach nur sehr privilegiert.

Sie wollen kein Role-Model sein?

Ach, warum nicht… Ich will nur keines dafür sein, angstfrei Wissenschaft zu betreiben und zu kommunizieren. Wir sind nämlich noch sehr, sehr weit weg von ansatzweise geeigneten Rahmenbedingungen, als Frau unbehelligt in der Öffentlichkeit zu stehen und zu arbeiten, geschweige denn seine Meinung kundzutun. Besonders letzteres erfordert immer noch gehörigen Mut. Dass ich als Wissenschaftlerin mit meiner Außenwirkung automatisch ein Role-Model bin, sollte mir darüber hinaus aber schon bewusst sein. Das finde ich auch okay bis hin zu schön.

Aber?

Aber mit einer Einschränkung: Wenn Frauen – oder auch Männer – meinetwegen sagen, sie möchten Chemie studieren. Das sollte man sich sehr genau überlegen! (lacht) Chemie ist ein extrem hartes Studium. Das sollte man aus innerer Überzeugung, nicht wegen irgendwelcher Vorbilder machen. Ansonsten finde ich es super, andere Frauen zu motivieren.

Auf welcher Plattform dürfte das denn auch künftig der Fall sein? Welches Medium setzt aus Ihrer Sicht gegen andere durch, um Informationen im Allgemeinen und wissenschaftliche im Besonderen zu verbreiten?

Hmmm…

Die Generationen Z und Alpha, heißt es, beginnen gerade wieder, mehr Bücher zu lesen und sich von Messenger-Diensten in Kleingruppen zu verabschieden, um wieder im kleineren Kreis zu kommunizieren.

Ich bin da offenbar optimistischer als andere, dass die Zukunft diesbezüglich vielfältig bleibt. Wenn Netflix zum Beispiel lineares Fernsehen anbietet, um das Programm für die Nutzer zu kuratieren, scheint ja auch das öffentlich-rechtliche Programm eine Zukunft zu haben. Wenn ich sehe, wie groß der Bedarf nach langen, informativen Podcasts ist, wie sich das Radio hält, wie inhaltsreich selbst TikTok sein kann, bin ich ganz guter Dinge. Für seriöse Wissensvermittlung braucht man vor allem Zeit und Aufmerksamkeit. Beides nehmen sich noch immer und schon wieder viele.

Und auf welcher Plattform?

Ist mir dabei eigentlich egal. Kommunikation unterliegt seit jeher ständiger Veränderung, deshalb sehe ich einen Wert darin, dass die Zahl der Plattformen eher wächst als schrumpft.

Was können neuere Medien wie das Internet da von älteren wie Presse, Funk, Fernsehen lernen und umgekehrt?

Der größte Unterschied ist ja Gatekeeping. Das ist gut und schlecht. Ich denke nicht, dass ich langfristig in die Medien gewechselt hätte, wenn ich nicht im Internet angefangen und bei maiLab die Freiheit bekommen hätte, meine eigene Arbeits- und Herangehensweise zu entwickeln. Andererseits wird im Zuge der Informationskrise redaktionelles Gatekeeping, Abnahmen und Faktenchecks ja eigentlich immer relevanter. Aber im Kampf um Aufmerksamkeit rutschen viele der „alten Medien“ zumindest auf ihren Online-Plattformen immer weiter nach außen in der Kommunikationszwiebel. Hauptsache schnell, Hauptsache Reichweite, auf Kosten von Korrektheit und Tiefgang.

Wie werden Sie selber denn da künftig mutmaßlich kommunizieren?

Also ich liebe Audioformate – sehr fokussiert, vor allem aber entspannt. So sehr ich Publikum mag, fühle ich mich ohne noch immer ein bisschen wohler. Kopfhörer auf und sich reizminimiert wirklich auf etwas konzentrieren, gefällt mir glaube ich am besten. Im März bringe ich jetzt erstmal zusammen mit Marie Meimberg die Kinderbuchreihe BiBiBiber hat da mal ‘ne Frage raus.

So was wie wissenschaftliche Früherziehung?

Eher so was wie Wissenschaft mit Kleiner Prinz-Vibe. Mal sehen, was danach kommt.

Kleine Prognose am Ende: Wird die Sachlichkeit der Wissenschaft übers Raunen, Raten, Brüllen der Aufmerksamkeitsindustrie siegen?

Ich muss da für mein eigenes Seelenheil irrational optimistisch bleiben, also: Ja.

Das Interview ist vorab im Medienmagazin journalist/in erschienen


Leave a comment

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.