Schweigers Schelle & Zweiflers Feinkost
Posted: April 29, 2024 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a commentDie Gebrauchtwoche
22. – 28. April
Das Fernsehlagerfeuer ist erloschen, als Facebook und Netflix das Programmschema aufgeweicht haben, aber ein bisschen davon, es glimmt noch – meinte zumindest Juli Zeh bei Maybrit Illner, wenngleich nicht nett. Deren Talkshow nannte die Schriftstellerin nämlich ein „Lagerfeuer des Grauens“, was natürlich nicht nur am Gesprächskreis vom Donnerstag lag, sondern wer schon wieder darin platznahm: Tino Chrupalla.
Nur vier Tage also, nach Caren Miosgas Kuschelkurs mit dem AfD-Chef, stellte der aufs Neue False Balance her und befeuerte die Diskussion, ob man mit Nazis reden soll oder nicht. Immerhin geriet Chrupalla zwischen Caren Miosga und Armin Laschet ins Schwimmen wie schon lange nicht mehr und mahlte sichtbar mit den Kiefern, als ihm letzterer angesichts der rechtspopulistischen Diktaturen-Nähe Landesverrat vorwarf.
Ach, manchmal hätte man sich da Til Schweiger im Stuhlkreis gewünscht, der Typen, die ihm nicht passen, lieber Schellen als Argumente verpasst. Namentlich Jan Böhmermann, dem er im Zeit-Interview unwidersprochen Prügel androhte – und adäquates Feedback bekam. Oder Stefan Cantz, dem er für dessen Drehbuch von Manta Manta 35.000 Euro nachzahlen muss, weil dessen Fortsetzung auf seiner Vorarbeit basierte.
Ein gerichtlicher Vergleich, den Harvey Weinstein selbst dann nicht erwarten dürfte, wenn sein Prozess wegen sexuellen Missbrauchs bis hin zur Vergewaltigung nun wieder aufgerollt wird – wegen Verfahrensfehlern. Eine schmerzhafte, aber rechtmäßige Entscheidung des Gerichts, um Rechtssicherheit zu erlangen. Darum geht es vordergründig auch ARD und ZDF, wenn sie die Erhöhung des Rundfunkbeitrags einklagen.
Falls – vor allem ostdeutsche Länder – die fachlich errechneten, juristisch begründbaren 58 Cent mehr pro Monat ablehnen, müssten die Öffentlich-Rechtlichen geradezu zwangsläufig vors Bundesverfassungsgericht gehen. Das allerdings, wendet die sächsische CDU ein, sei dem Publikum schwer zu vermitteln und rät davon ab. Origineller Gedanke für eine demokratische Partei, Rechtstaatlichkeit sei am Ende nicht so wichtig wie das gesunde Volks-, pardon: Rechtsempfinden…
Die Frischwoche
29. April – 5. Mai
Dass man mit dem bekanntlich auch Konzentrationslager betreiben könnte, steht auf einem anderen Blatt, passt aber zur Serie der Woche: Die Zweiflers. So heißt eine jüdische Mischpoke mit Feinkost-Laden in Frankfurt, die sich sechs Teile à 45 Minuten zwischen Shoah und Geschäftsfragen, Antisemitismus und Alltagssorgen um Normalität bemüht. Wie Showrunner David Hadda das für die ARD-Mediathek inszenieren lässt, ist von einer bittersüßen Wahrhaftigkeit, die es so selten gibt im Fernsehen.
Interessanterweise startet am selben Tag in der ZDF-Mediathek ein artverwandter, völlig anderer Ansatz jüdische Leben darzustellen. Die deutsch-israelische Dramaserie Borders skizziert einen Kleinganoven in Tel Aviv, der nach einer Auseinandersetzung mit arabischen Großganoven zur Armee geht, um sich an letzteren zu rächen. Daran ist dann mal gar nichts bittersüß, sondern alles drastisch.
Was sonst noch läuft: Die Netflix-Serie Fiasco um einen Regisseur, dessen Film über die französische Résistance auf unheimliche Art sabotiert wird und Realität dabei ab Dienstag auf dreifacher Ebene mit Fiktion vermengt. Einen denkbar dämlichen Titel hat sich Sky dagegen für die Doku-Serie Wenn Bären töten ausgesucht. Es geht darin um den ewigen Kampf Mensch gegen Tier, der selten so populistisch ausgetragen wurde wie in Zeiten der Wolfsphobie.
Zuletzt noch zwei Filme: Mittwoch zeigt das Erste die Krimi-Groteske Mordnacht mit Maximilian Brückner als Stadtflüchtigen, der einen Immobilienspekulanten ermordet haben soll und dafür von seinem Dorf gefeiert wird, was die Ermittlung einer Kommissarin (Rosalie Thomass) umso merkwürdiger macht. Ähnlich blöder Titel, deutlich weniger grotesk ist der deutsche KI-Thriller Unsichtbarer Angreifer um ein spooky Smart Home, ab Samstag in der ZDF-Mediathek.

