Zweiflers: Holocaust & jüdischer Alltag

Im Schatten der Shoah

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Die Zweiflers erzählen den Alltag einer jüdischen Familie in Frankfurt ohne Fokus auf Holocaust und Antisemitismus. Da beides dennoch ständig unüberseh- und hörbar mitschwingt, ist der Sechsteiler ein tragikomisches Meisterwerk, zu bestaunen in der ARD-Mediathek.

Von Jan Freitag

Die Vorhaut ist alles andere als ein passendes Thema fürs gesellige Beisammensein. Obwohl fast 50 Prozent aller Menschen damit zur Welt kommen, wird deshalb selbst im engsten Kreis kaum darüber gesprochen. Es sei denn, er besteht aus Samuel Zweiflers weitverzweigter, engverwobener Sippe; dann ist Praeputium penis, wie das Stück Haut auf Latein heißt, nicht nur Randaspekt, sondern Mittelpunkt familiärer Debatten. Tagein, tagaus.

Kein Wunder – besteht die Verwandtschaft des werdenden Vaters doch vor allem aus Deutschen jüdischen Glaubens mit traditioneller Religionsauffassung plus Samuels gottloser Freundin. Über die Beschneidung ihres gemeinsamen Sohnes wird demnach schon vor dessen Geburt befunden, als stamme er direkt von Abraham ab – doch der Reihe nach. Denn zu Beginn des gleichnamigen ARD-Sechsteilers haben Die Zweiflers ab sofort in der ARD-Mediathek ganz andere Sorgen.

Patriarch Symcha (gespielt von Broadway-Legende Mike Burstyn) will das Feinkost-Imperium im Frankfurter Bahnhofsviertel, von dem die halbe Verwandtschaft lebt, loswerden. Sein Enkel Samuel (Aaron Alteras) ist zwar Musikmanager. Für etwaige Erbangelegenheiten allerdings reist auch er aus Berlin an und verliebt sich in die karibikstämmige Köchin Saba (Saffron Coomber). Dass sie kurz darauf schwanger wird und mit dem Familienplan einer rituellen Vorhaut-Zirkumzision fremdelt, ist allerdings nicht das größte Zweiflers-Problem.

Schwerer wiegt ein dunkles Firmengeheimnis der Nachkriegszeit, das die Kiezkanaille Siggi (Martin Wuttke) ausplaudern will, falls er nicht am Geschäft beteiligt wird. Und dann brüskiert Sams Bruder (Leon Altaras) die Mischpoke auch noch mit Kunstwerken, die den Holocaust relativieren. Alles stereotyp, vieles klischeehaft, das meiste aber so sinnlich, plausibel und warm, wie es wohl nur ein jüdischer Showrunner wie David Hadda – der für Daniel Donskoy die wunderbare Talkshow Friday Night Jews produziert – kreieren kann.

Von Anja Marquardt und Clara von Arnim teilweise auf Jiddisch inszeniert, brillieren Die Zweiflers jedoch durch etwas anderes: fokussierte Beiläufigkeit. Wer jüdische Fiktionen nach 1945 durchforstet, stieß bislang meist auf zwei Pole: Oliver Hirschbiegels Ein ganz gewöhnlicher Jude, der 2005 komplett im Holocaustschatten des Antisemitismus stand. Und Dani Levys Alles auf Zucker!, wo Henry Hübchens Zocker kurz zuvor nur im Stammbaum Jude war.

Dazwischen gibt es von Maximilian Glanz (Towje Kleiner) in Helmut Dietls Zwölfteiler Der ganz normale Wahnsinn von 1979 bis Nina Rubin (Meret Becker) im Berliner Tatort zwar geschichtslose Kinder Israels. Ansonsten aber spielt das Trauma jahrtausendealter Verfolgung Hauptrollen wie aktuell in der ZDF-Serie Borders um israelische Grenztruppen in Tel Aviv oder wird in der NDR-Komödie Simon sagt auf Wiedersehen zu seiner Vorhaut unsichtbar.

Wenn Samuels manipulative Mutter Mimi (Sunnyi Melles) unbedingt die ihres Enkels verabschieden möchte, will Chefautor Hadda uns einen „authentischen Einblick in den Mikrokosmos“ gewähren und die „Ambivalenz des jüdischen Selbstverständnisses auf tragisch-humoristische Weise“ verhandeln. Beides gelingt ihm mithilfe von Phillip Kaminiaks Zoom auf jüdische Essgewohnheiten derart fantastisch, dass es an israelische Welterfolge wie Shtisel, Kvodo oder die Homeland-Vorlage Hatufim erinnert.

Bei den älteren Zweiflers steht schließlich alles unter Holocaust-Vorbehalt. Doch weil die jüngeren eher auf der Suche nach Identität als Wurzeln sind, darf das Format wie eine Milieustudie Woody Allens wirken: als kommunikatives Chaos, in dem nicht dauernd Klezmer durch Chanukkas und Chagall-Gemälde wehen muss, um authentisch zu sein. Auch deshalb wurde es gerade in Cannes als „beste Serie“ samt „beste Musik“ prämiert. Zu Recht! Denn ob mit oder ohne Vorhaut: Die Zweiflers sind ein tragikomisches Meisterwerk.

Die Zweiflers, 6 x 50 Minuten, komplett in der ARD-Mediathek



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