ARDs Alex & Apples Ray
Posted: March 10, 2025 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a commentDie Gebrauchtwoche
3. – 9. März
Es waren, wie so oft, bewegte Wochen zuletzt, in denen alte Weltordnungen fast noch schneller kollabiert sind als alte Gewissheiten. Bemerkenswert wirkte aber auch die Erkenntnis, wie unerschütterlich mediale Reaktionsmuster darauf bleiben. Stellen wir uns kurz vor, der aktuelle Amokfahrer von Mannheim, er hieße nicht Alexander, sondern Ahmed: die Berichterstattung wäre explodiert. So aber haben nicht nur AfD und Springer leicht gelangweilt abgewunken. Auch seriöse Medien von ARD bis FAZ waren eher desinteressiert.
Deutsche Attentäter befinden sich halt außerhalb des öffentlichen Meinungskorridors, Sie verstehen? Wir nicht! Würde der entscheiden, stünden nämlich Mehrheitsbedürfnisse wie Tempolimit (63 % dafür) oder Mietendeckel (6 % dagegen) neben Migration und Aufrüstung weit oben auf der Agenda. Was nach nachfrageorientiertem Journalismus klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung also als populistische Karikatur der 4. Gewalt, die sich ihr Grab damit noch tiefer schaufelt. Und da kommt Thilo Mischke ins Spiel.
Der durfte sich und seinen Rauswurf vom ARD-Magazin ttt lang und breit in der Zeit erklären. Vorweg: es ist ihm ganz gut gelungen. Bisschen wohlfeiles Bashing des ÖRR vielleicht, dem der Gonzo-Journalist quasi Gonzo-Journalismus vorwirft, aber fair enough. Aber kleiner Disclaimer: Mischke klagt, keine zehn Medien hätten ihn persönlich angefragt. Dann check mal bitte deinen Posteingang, Thilo! Der Autor dieses Blogs hat dich im Auftrag des Branchenmagazins journalist/in um ein Gespräch gebeten. Reaktion? Keine!
So oder so taugt der kurz (wenngleich wohl weiche) Sturz vermutlich nicht für ein Biopic, das mal für einen Grimme-Preis infrage kommt. Den kriegen diesmal wundervolle Fiktionen wie Die Zweiflers oder Angemessen Angry und Players of Ibiza. Wieder nicht dabei: Axel Milberg. Auch dessen 44. und letzter Tatort geht leider leer aus. Ein Grund ist Sonntag sichtbar: Zu schräg, zu weird, zu Borwoski, vielleicht aber auch einfach nur zu nonkonform.
Die Frischwoche
10. – 16. März
Das wollte offenkundig auch ein aussichtsreicher Netflix-Film sein. Auf dem blühenden Feld Rear Future kreiert er eine vergangene Zukunftsvision wie zuletzt Cassandra oder Black Mirror. Inhaltlich lose orientiert an Terminator haben sich Dienst- und Spielzeugroboter der Fünfziger in The Electric State gegen ihre Sklaverei erhoben, allerdings gegen die KI eines dubiosen Tech-Milliardärs verloren, der sie in ein Ghetto stecken lässt.
Klingt originell – hätten die Russo-Brothers nicht bloß ihr Erfolgsrezept diverser Marvel-Blockbuster kopiert und die Star-Wars-artige Waisenkind-sucht-mit-Desperado-ihren-Bruder-Story im Ambiente der Neunzigerjahre auf Pixar-Drolligkeit reduziert. Resultat ab Freitag: Schickes Eye-Candy, dem trotz Millie Bobby Brown keinerlei Tiefgang gelingt. Das genaue Gegenteil davon: die parallel startende, fast brillante Apple-Serie Dope Thief.
Im stressresilient verwahrlosten Philadelphia erleichtern zwei Fortschrittsverlierer als DEA-Cops verkleidet Drogendealer um Geld und Ware. Was auch gutgeht – bis sie an die Falschen geraten. Denn zwischen den Fronten echter Cops und Gangster laden Ray (Bryan Tyree Henry) und Manny (Wagner Moura) das Leid einer tief gespaltenen Nation auf ihre Schultern. Unter der Leitung von Ridley Scott machen sie daraus ein Plädoyer für Rückgrat und Solidarität in amoralischer Zeit, die alle acht Teile lang emotional fesselt.
Interessanterweise sind das auch Zutaten, die ein deutsches ARD-Juwel zum Glänzen bringt: Marzahn Mon Amour. Zweiflers-Regisseurin Clara von Arnim verpflanzt die alleinerziehende Kathi (Jördis Triebel) ab Freitag (Mediathek) sechs Folgen lang in einen Ostberliner Beauty Salon und lässt sie am prekären Dasein ihrer armen, aber aufrechten Kundschaft wachsen. Echt schön! Echt interessant ist dagegen tags drauf die dezent verschwörungstheoretische, aber gut recherchierte Real-Crime-Doku Gemanwings.
Dreimal 40 Minuten sät Sky (denkbare) Zweifel am erweiterten Suizid des deutschen Piloten, der vor zehn Jahren 149 Menschen mit in den Tod gerissen hat. Noch mehr Raunen enthält zeitgleich der Doku-Vierteiler Die Stewardessen-Morde um Flugbegleiterinnen im England der 70er Jahre. Und schon heute porträtiert das ZDF in seiner Mediathek zwei Teile lang vergleichsweise bodenständige Typen, nämlich: Türsteher, was wirklich spannend ist.