30 Jahre Harald Schmidt Show

Zwischen Hildebrandt und Mario Barth

Vor ziemlich genau 30 Jahren lief bei Sat1 die erste Harald Schmidt Show. (Foto: Sat1) Nach ein paar Pleiten mit Gottschalk und anderen, war die erste echte Late Nite ein absoluter Wendepunkt in der deutschen Fernsehunterhaltung. Zum Guten wie zum Schlechten.

Von Jan Freitag

Das Feuilleton, dieses hochkulturelle Scherbengericht der Mediendemokratie, ist traditionell nicht allzu gut aufs Privatfernsehen zu sprechen. Bevor unterhaltsame Moderatoren wie Joko und Klaas sogar fürs öffentlich-rechtliche Wettsofa in Frage kamen, gehörte es daher zum guten Ton angesehener Kulturressorts, über Kommerzkanäle wie ProSieben bestenfalls die Nase zu rümpfen. Normalerweise jedoch herrschte ein Tonfall kultivierter Verachtung. Bis zum 5. Dezember 1995.

Damals betrat einer der Ihren die Bühne des – vergleichsweise seriösen – „Kanzlersenders“ Sat1 und wagte den dritten Versuch, amerikanische Late Night Shows einzudeutschen. Die RTL-Herren Gottschalk und Koschwitz, beide wie in Dax-Vorständen üblich Thomas mit Vornamen, waren daran zwar gescheitert. Ein katholisches Kind sudetendeutscher Schwaben aber brachte neben seiner öffentlich-rechtlichen Erfahrung in der WDR-Comedy „Schmidteinander“ noch etwas anderes, weitaus wohler gelittenes mit: sein Bildungsbürgertum.

Als Harald Schmidt vor 30 Jahren erstmals die selbstbetitelte Show moderierte, war das Feuilleton folglich nur kurz geschockt. Anders als seine US-Vorbilder wie Jay Leno begann er die Premiere mit einer losen Folge billiger Zoten. Viele davon übers Liebesleben des virilen Fußballers Lothar Matthäus. Der saftelnde Sound (gern zulasten marginalisierter Gruppen) sollte allerdings nicht nur sein Debüt prägen; er blieb das Markenzeichen von „Dirty Harry“, wie Harald Schmidt bald darauf gern genannt wurde.

„Witzeln, nicht Witz, Tusch statt Pointe“, klagte der jetzige Zeit-Herausgeber Josef Joffe seinerzeit in der Süddeutschen Zeitung über die „misslungene Letterman-Kopie“, wie das Sonntagsblatt sekundierte. Darüber hätte Programmchef Fred Kogel nur milde gelächelt – wären die Einschaltquoten, damals wie heute Goldstandard des dualen Systems, besser gewesen. Anfangs bei fast zwei Millionen Zuschauern, sanken sie bald auf sechsstelliges Niveau und verharrten dort.

Offenbar wirkte das deutsche Publikum nicht reif fürs formatierte Late-Night-Besteck aus Stand-up, Sketchen, Talkshow. Vielleicht sahen es viele als unverfroren an, ein zugeschaltetes Interview von Thomas Gottschalk mit dem neuen 007 Pierce Brosnan brachial abzuwürgen. Vielleicht war ihnen Helmut Zerletts peitschende Studioband zu amerikanisch. Vielleicht fanden sie Blondinenwitze à la „Hausfrauenkongress Madrid. Programmpunkte sind: autogenes Training gegen Kalkpanik, Rückwärtseinparken und – seit Monaten ausgebucht – Was ist Abseits?“ auch einfach nicht witzig.

Tatsache ist: Schmidts „sexuelle, aggressive, tendenziöse Komik gegen Frauen, Polen, Ostdeutsche“, die der Münchner Mediensoziologin Karin Knop auf den Keks ging, lief monatelang unter der Aufmerksamkeitsschwelle. Wer sich schon damals auf die breiten Schenkel klopfte, sah zwar womöglich auch wohlwollend über Gottschalks Knie-Fummeleien hinweg und hielt „Tutti Frutti“ für gute Unterhaltung. Aber es waren halt schlicht zu wenige. Bis das Feuilleton einsprang.

Für seine Jubiläumssendung vom 5. Dezember 1996 nämlich wurde Harald Schmidts Show vom Grimme-Institut gewürdigt. Und weil ihm fortan reihenweise Fernsehpreise zuteilwurden, begann die Hochkultur der Tiefkultur zu huldigen. Popliterat Rainald Goetz verglich den gelernten Kirchenmusiker sogar mit Adorno. Und dass er Bochums Sinfonieorchester im Studio begrüßte, Prince am Mikro oder den Ruhepol Manuel Andrack als Sidekick, ließ selbst sittenstrenge Kritiker die heitere Niedertracht dahinter tolerieren.

Misogynie und Rassismus, „Die dicken Kinder von Landau“ und Mohrenköpfe, Ossi-Bashing, Bodyshaming und das volle Programm kultureller Aneignung: Schmidts politisch unkorrekter Provokationshumor machte ihn zu einer Art distinguierter Maßanzugausgabe des Rammstein-Frontschweins Till Lindemann ohne Groupies unter und Pimmel auf der brennenden Bühne. Doch obwohl er – abgesehen von Juden – auf alle(s) und jede(n) abwärts der eigenen Komfortzone eintrat, mündete Schmidts Kloake mit dem Wechsel zur ARD 2004 endgültig im bürgerlichen Mainstream. Nur leider nicht rückstandslos.

Zu einer Zeit nämlich, als Emanzipationsbewegungen im rot-grünen Fahrwasser erstmals seit Willy Brandt die Deutungshoheit über die Profiteure soziokultureller Privilegien erlangten, galt seine Impertinenz als Akt der Befreiung gegen vieles, das heute unter „woke“ firmiert. Bei Harald Schmidt lachte sich die Mehrheitsgesellschaft ihre Minderheitenverachtung schön und kaschierte es mit einem „Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen“, die jede Kritik daran als „Man-darf-ja-gar-nichts-mehr-sagen“ abbügelt.

Nur weil der WDR vor Passagen alter Schmidteinander-Folgen warnt, die „heute als diskriminierend“ gelten, ist deren Urheber natürlich kein Nazi – da kann er sich noch so fröhlich beim Sektempfang mit Rechtsaußen wie Hans-Georg Maaßen anstoßen. Sein kalkulierter Slalom durch Hochkultur und Tabubruch, Dieter Hildebrandt und Mario Barth, Jungliberale und CSU-Stammtisch sprengt allerdings bis heute Grenzen des Sagbaren. Das gefällt Björn Höcke wohl besser als Klaas Heufer-Umlauf, Ralf Husmann oder Ralf Kabelka, die seinerzeit an Schmidts Humor gefeilt haben.

Der war übrigens oft ebenso gut wie seine Talkshow-Gespräche. Harald Schmidt hat nachweislich frischen Wind durch die verstaubte Nachkriegsunterhaltung geblasen. Nur dass man sich daran dank seiner Polarisierung kaum noch erinnert. „Im deutschen Fernsehen muss man entweder kochen, singen oder im Dschungel verrotten“, sagte er nach dem Aus seiner Show bei Sky vor elf Jahren und fügte hinzu: „Ich habe mich für den Ruhestand entschieden.“ Möge er ihn auch künftig in der Freiheit genießen, alles sagen zu dürfen, was ihm beliebt.

Leck-mich-Faktor auf XXL-Format

Mit seiner Late Night Show wurde Harald Schmidt vor 30 Jahren zum Posterboy tabufreier Unterhaltung. Hat er damit womöglich den Rechtsruck befördert? Ein würdigender Denkanstoß.

Von Jan Freitag

Es war ein, nun ja – nicht gerade ein Erdbeben, aber doch schon ganz schön erschütternd, was am 5. Dezember 1995 auf dem ehedem (Ältere erinnern sich dunkel) sehr relevanten Privatsender Sat.1 geschah. Ein graumelierter Mann mit viel zu weitem Jackett über viel zu gemusterter Krawatte betrat da ein typisches Neunzigerjahre-Studio und begrüßte sein Publikum mit „mein Name ist überraschenderweise Harald Schmidt“. Die zugehörige Show trug zwar nicht als erste den Namen des viel zu lauten Moderators. Danach aber war das Unterhaltungsland der Gottschalks, Elstners, Kulenkampffs ein anderes. Was angesichts anderer Umwälzungen jener dualen Fernsehtage schon einiges heißt.

Vor exakt 30 Jahren war es schließlich bereits gehörig in Unordnung geraten. Die werbefinanzierten TV-Frischlinge um RTL herum hatten das Revier öffentlich-rechtlicher Platzhirsche mit Heißem Stuhl, Daily-Talks und „Tutti Frutti“ bereits rücksichtslos untergraben – da schoss ihnen der schwäbische Kirchenmusiker nach Schmidteinander und Pssst… die nächste Ladung despektierlichen Schrots in das öffentlich-rechtliche Gewissen. „Sie hat mich reingelegt: Väter wider Willen“, zitierte er zum Auftakt der bis heute wirkmächtigsten Late Night Show die aktuelle Nachmittagserniedrigung seines angeblichen Vorbilds Hans Meiser.

Es folgte der erste von gefühlt 1800 Zoten aus dem Liebesleben von Lothar Matthäus, die auch in gut 1800 Folgen danach das Durchschnittsniveau der Harald Schmidt Show mitgeprägt haben: die heitere Verachtung gesellschaftlich marginalisierter Gruppen ohne Gift und Galle sexistischer Rassisten oder umgekehrt. Denn anders als so viele Brachial-Entertainer ihrer Zeit, wurde der Sohn streng katholischer Sudeten nicht nur ins Neu-Ulmer Herz der nivellierten Wirtschaftswunderrepublik hinein geboren. Fast 40 Jahre später hob er sie mit bildungsbürgerlichem Gestus aus den Angeln.

 

Wenn Männer schwanger werden können, heißt das dann umgekehrt, Frauen können in Zukunft auch Auto fahren?

Im US-erprobten Ablauf von Stand-up, Live-Musik, Schlagzeilenanalyse und Einzeltalk jonglierte „Dirty Harry“ virtuos zwischen „Hochkultur und Stammtisch-Zote, Falschwitz und tiefgründigem Gespräch“, wie es die Medienpädagogin Barbara Hornberger in ihrem Essay „Harald Schmidt als Meister der Distanz“ mal beschrieb. Im Gegensatz zu David Letterman oder Jay Leno trat er allerdings dorthin, wo es seine Vorbilder kaum je taten: nach unten. Und dafür muss man noch nicht mal „Die dicken Kinder von Landau“ bemühen. Es reicht ein Blick nahezu in jede seiner – zumindest frühen – Shows.

Trotz (oder wegen?) verheerender Quoten im sechsstelligen Bereich ließ ihn Sat1 ein Jahr lang Ausländerwitz an Blondinenwitz an Ossiwitz an Unterschichtenwitz reihen. Mit seiner „tendenziösen Komik“ der „kalkulierten Grenzüberschreitung“, meint Barbara Hornberger, habe er „bewusst die Grenzen und Tabus“ übertreten und sich damit „einerseits Aufmerksamkeit, andererseits öffentliche Empörung“ verdient. Dass auch die Stars und Sternchen auf seinem Sessel vor Schmidts Respektlosigkeiten nicht verschont blieben, führte zwar zu ungeheuer originellen Interviews. Es änderte aber wenig am Kernproblem der Harald Schmidt Show: Sie wurde zum Hochamt des gediegenen „Das-wird-man-ja-wohl-noch-mal-sagen-dürfen“.

In Polen gibt es jetzt auch Viagra. Viele Polen nehmen es gar nicht selbst, weil – sie haben in der Hose kein Platz für noch ‘ne zweite Brechstange.

Parallel zur Popularisierung der Volksmusik durch Superhits von Herzilein bis Holzmichl und dem Aufstieg misogyner Stand-up-Patriarchen wie Mario Barth oder Atze Schröder, half Harald Schmidt dem grassierenden Populismus damit zumindest auf die Sprünge. Den Operetten-Fan mit „Traumschiff“-Kabine deshalb ins recht(sradikal)e Eck zu stellen, wäre trotz anhaltender Attacken auf Genderwahn, Sprachpolizei und Feminismus zwar überinterpretiert. Nur weil Harald Schmidt beim Sektempfang der nationallibertären Schweizer Weltwoche mit Hans-Georg Maaßen und Matthias Matussek plaudert, ist er noch lange kein Steigbügelhalter selbsterklärter Alternativen für Deutschland.

Doch ohne die intellektuell verbrämte Banalisierung diskriminierender Witze über alles, was Alice Weidels Weltbild widerstrebt, hätte sie es womöglich nicht so weit ins Rampenlicht der Demokratie geschafft. Dass Harald Schmidt seine Show – die er als einer der ersten Entertainer mit seiner Produktionsfirma Bonito auch eigenhändig herstellte – spätestens seit ihrem Wechsel zur ARD 2004 sprachlich abgerüstet hat, ändert wenig an dieser beiläufigen Ursünde des kommerziellen Unterhaltungsprogramms.

Zumal er bis heute wenig bis gar keinen Hang zur Selbstreflexion zeigt. Im Gegenteil. „Keinen einzigen“, antwortet er zackig, als ihn das österreichische Magazin profil vor drei Jahren nach Witzen fragt, die er bereue. Damit stimmt der 68-Jährige in den Chor seiner Generation um Hallervorden, Gottschalk, Dieter Nuhr ein, die sich in Ermangelung jedes Privilegien-Bewusstseins als Verfolgte einer feindlich gesinnten, linksliberalen, woken Moderne betrachten.

Zirkus Krone hat ein Solarium für Pferde. Man hat nämlich festgestellt, dass Pferde gesünder sind, wenn sie regelmäßig unter dem Solarium stehen. Es ist also bei ‘Krone’ wie im ganz normalen Sonnenstudio – alles voller Araber.

Das ist auch deshalb schade, weil die Harald Schmidt Show immer dann herausragend unterhielt, wenn ihr Host Zynismus kurz mal durch Ironie ersetzt und damit Entertainment auf Augenhöhe geboten hat. Das zeigte er schon bei der Premiere anno 1995, als er ein inhaltsleeres Interview des zugeschalteten Thomas Gottschalk mit dem Bond-Darsteller Pierce Brosnan geringschätzig, aber völlig zu Recht abwürgte. Perfekt auf den Punkt brachte er es dann allerdings knapp 13 Jahre später. Damals machte er seinen Sidekick Oliver Pocher dafür öffentlich rund, dass „so’ne kleine miese Type“ wie üblich nach unten trat, im Mega-Ego der Rapperin Lady Bitch Ray aber die Falsche traf.

Ob sein Chef mit diesem Affront vor laufender Kamera am Ende ein Stück weit auch sich selber meinte, sei mal dahingestellt. Es deutet aber an, was Harald Schmidt nicht zum ersten, aber besten Late-Night-Talker im Land der Primetime-Plauderer machte: die elaborierte Regelverachtung. Oder wie er es im profil-Interview ausdrückt: „Leck-mich-Faktor auf XXL-Format“. Hätte er dieses Talent nicht nur zur passiv-aggressiven Selbstbeweihräucherung genutzt: hier stünde jetzt ein anerkennender Nachruf auf eine der einflussreichsten Fernsehsendungen der linearen Epoche.

Schließlich haben sich all seine Epigonen von Anke Engelke über Kurt Krömer bis Edin Hasanovic vergeblich am Monolith des geselligen Grenzübertritts abgearbeitet, aber niemals seine Leichtigkeit erreicht. So aber warnt der WDR irgendwie stellvertretend für alle anderen Formate von und mit Harald Schmidt unter archivierten Schmidteinander-Ausgaben, sie enthielten „Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden.“ Kleiner Hinweis noch nach Köln: das wurden sie damals auch. Es war Harald Schmidt bloß bestenfalls egal.



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