Reisereportage: Seenlandschaft Lausitz
Posted: June 8, 2013 Filed under: 6 wochenendreportage Leave a comment
Wasser aufs Teufelswerk
Einst war die Lausitz die Braunkohlegrube der DDR, seit sechs Jahren flutet man den alten Tagbau zur größten künstlichen Seenlandschaft Europas. 2018 soll das waghalsige Mammutprojekt vollgelaufen sein. Zur Halbzeit eine Reportage vom Anfang.
Von Jan Freitag
Als die Lausitz ihre Zukunft feierte, kamen die Indianer. Rainer Müller lacht über seine kleine Metapher. Der PR-Mann lacht überhaupt sehr viel, es klingt stets hoffnungsfroh. Lachend zeigt er auch zur Steilküste von Großräschen, dem Sitz seines Arbeitgebers, der Internationalen Bauausstellung (IBA) im Herzen der Lausitz. Wie die Ureinwohner Amerikas in alten Western hätten sich die Ureinwohner Brandenburgs am Abhang der Braunkohlegrube Meuro im März aufgereiht, zu ihren Füßen ein karstiges Gebiet, das an die Filmkulisse einer Mondlandung erinnert. Es roch also nach Hollywood, als Brandenburgs Umweltminister jenen Hahn aufdrehte, der das frühere Tagbaugebiet in ein Badeparadies verwandeln soll. Ansonsten lag ein Duft aus Brauerei und Brackwasser über dem gigantischen Loch in der Erde. Doch auch wenn nirgends auch nur ein Strauch wächst, sind die blühenden Landschaften hier, an der Grenze zu Sachsen, keine ganz so hohle Phrase: die Lausitz ist bald nasser, als es ihre sorbische Übersetzung hergibt. Die „sumpfigen Wiesen“, sie werden geflutet.
Wo im Frühjahr die Sektkorken knallten, liegt 2018 der Grund des Ilse-Sees. Der Anleger ragt bereits 50 Meter ins Nichts und wo die Indianer standen, tauchen künftig Badegäste ein. Millionenfach, ginge es nach der Lausitzer- und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) und ihrem Vermarkter, kurz IBA. Noch ist es nur eine größere Pfütze, doch mit dem Ilse-See wurde der Schlussakt zur Schöpfung der größten künstlichen Gewässerlandschaft Europas eingeläutet: dem „Lausitzer Seenland“. Die Müritz fände locker darin Platz. Auf hochwertigen Radwegen kann man die entstehende Seenplatte auf Hunderten Kilometern abradeln, ohne je bergauf zu müssen. Vorbei an Naturreservaten, Industriedenkmälern und 30 Gewässern, vernetzt durch 13 schiffbare Kanäle. Vorbei aber auch an den Monumenten des Scheiterns: Lausitzring, Cargolifterhalle, Resultate geplatzter Städtesanierung. Keine Frage – das Hauptrevier des DDR-Tagebaus zwischen Cottbus und Dresden sucht seine Bestimmung und sie lautet meist Tourismus. Andere Branchen sind nicht in Sicht, das einzige Kapital ist die Landschaft. Dennoch fällt der Wandel vom Arbeitsplatz zum Urlaubsort schwer. Deshalb sorgt Rainer Müller nicht nur für Fördermittel oder Eintracht der beteiligten Länder, sondern auch für die Überzeugungsarbeit vor Ort. Viele der zigtausend Exkumpel und ihre Familien, „verspüren an jedem fehlenden Industriedenkmal einen Phantomschmerz“, wie er es ausdrückt. „Die Industrie um uns stirbt schneller als die in uns.“
Es gilt somit, einen Spagat zu üben. Und das gerade dort, wo sich 150 Jahre lang außer den Baggern wenig bewegt hat. Kein Wunder, dass die Lausitzer am Barren der Veränderung ungelenkig wirken. Es bedarf der Vorturner, wagemutiger Unternehmer wie Karin Mietke. „Am anderen Ufer“, die Gastronomin weist mit ausgestrecktem Arm zum Horizont, „planen wir 50 schwimmende Häuser“. Noch wird der Partwitzer See geflutet, aus der Schwarzen Elster, ungefähr dort, wo die Braunkohle vor 30 Jahren das Elternhaus ihres Mannes verschlang wie 500 andere Orte der Region. Doch schon 2009, wenn er seinen Höchststand erreicht, soll der Bau ihrer Feriensiedlung zu Wasser beginnen. Noch ist dort nichts als Sand, Gestein und braunes Wasser. Doch Karin Mietkes Blick reicht weiter. „Das ist unser Masterplan.“ Die Mittvierzigerin, wie ihr Mann selbst im volkseigenen Erdaushub tätig, steht auf den Planken ihres Erfolgs. Sachte schaukelt das erste schwimmende Hotel im Frühlingswind. Der gediegene Containerbau, wirkt etwas verwegen für die ländliche Gegend. Äußerlich kubistisches Holzdesign, im Innern schlichte Effizienz für vier Personen, der Blick von der Terrasse auf den Sonnenuntergang ist märchenhaft. Als Dank für dieses Schmuckstück privater Initiative gab es von der IBA den Titel „Referenzobjekt“. Es soll Nachahmer anlocken und natürlich Gäste. Aus Sachsen, aus Berlin, am Besten aus dem ganzen Land.
Das Wasser unterm doppelstöckigen Appartement ist zwar noch sauer, aber nicht giftig. Eisen aus der Grube färbt den langen Holzsteg braun, Fische gibt es keine und das Baden wird eher geduldet als erlaubt. Doch die Besucher stört das kaum. Das Gästebuch ist voll des Lobes, eine Berlinerin schwärmt vom Heiratsantrag, den Sie an Bord bejahte. Die ersten waren mehrfach da. 500.000 Euro hat Karin Mietke allein in den bebauten Ponton gesteckt, erwirtschaftet aus dem Reiterhof ihres Mannes in Sichtweite. Verglichen mit all den künftigen Investitionen sind das Peanuts. Es geht voran im touristischen Aufbruchsgebiet. Offiziell heißt es „Bergbaufolgelandschaft“ und seine Veredelung zur Seenwelt samt Aufforstung „Melioration“. Für die Verantwortlichen scheint alles nur eine Frage der Zeit. Scheitern? Ausgeschlossen! Dafür stecken zu viel Geld, Zeit und Risiken im Mammutprojekt. Yachthäfen sind geplant, Sportevents, Freizeitparks sowieso und die ganze Bandbreite schwimmender Gasthäuser. In Großräschen entsteht ein Luxushotel und die IBA-Terrassen, ein mondänes Infozentrum mit Restaurant, sind architekturpreisgekrönt. Doch bis von dort aus planschende Kinder zu sehen sind, muss der Charme zerfurchter Erde reichen; noch gibt es stattdessen geführte „Touren zum Mars“. Die Zeit bis zum Anbaden ist lang und Legislaturperioden kurz. Es geht um viel Prestige und stolze Etats. Von neun Milliarden Euro ist die Rede.
Die Bundesländer sind Partner, aber auch Konkurrenten. Mit unterschiedlichen Messlatten zudem. Karin Mietke musste im Genehmigungsverfahren gleich drei Behörden zufrieden stellen. Und während ihr Hotel in Sachsen „Boot“ heißt, nennt sich das Brandenburger Folgemodell – eine Tauchschule samt Beachbar am Gräbendorfer See – „Haus“. Dort ist alles zum Ansturm bereitet, selbst ein Beachvolleybaldfeld gibt es auf dem feinen Sandstrand, auch wenn es bei hohem Wasserstand gespült wird. Bald wird der Extagbau freigegeben, als einer der ersten nach „Dresdens Badewanne“, der Grube Niemtsch, die schon 1973 zum Senftenberger See wurde. Ein Stück Brandenburg für die Sachsen – der IBA sind derlei Befindlichkeiten egal; Wasserhotels nennt sie salomonisch „schwimmende Architektur“. Ob sie tatsächlich Massen anlocken? Für Karin Mietke sind Risiken kein Indikator für Machbarkeit. Ohne Abenteuer, sie streicht sich eine gefärbte Strähne aus der Stirn, „macht’s doch keinen Spaß“. Doch die Grenze zwischen Abenteuer und Illusion ist fließend. Wie in Plessa. Auch am Westrand des Seenlands will man hoch hinaus. Höher als der Schornstein des Braunkohlekraftwerks. Allein sein Erhalt verschlingt mit 1,5 Millionen Euro ein Drittel aller Fördergelder für den Wandel zum Erlebnispark aus Technodisko, Museum, Arbeit. Zur Eröffnung gibt es Wurst und Reden und eine Heimatband mit Heimorgel. Doch gegenüber der Bühne wird er wieder geübt, jener Spagat des Wandels. Ein Teil der riesigen Werkhalle ist saniert, der andere ruiniert, in der Mitte baute die IBA eine Mauer. Zur Sicherheit. Davor stoßen die Illusionen aufeinander, eine trügerische, eine geplatzte: Gewerbe wolle man anlocken, sagt die Projektleiterin feierlich, zur Produktion von Biodiesel etwa. „Hier hab ich gelernt“, flüstert daneben ein Frührentner mit Nelke im Revers, „jetzt ist alles kaputt“. Die meisten Besucher an diesem Maifeiertag sind Entlassene wie er. Wie gesagt: Die Industrie um uns stirbt schneller als die in uns. Und auf dem Weg entstehen Träume vom Ferienparadies mit Tagbauromantik.
Sie speisen sich aus dem Glauben an einen Boom regionaler Reiseziele, den man sich in Zeiten leerer Geldbörsen und des Klimawandels erhofft. Wenn neben Badespaß noch Industriekultur geboten wird – umso besser. Es ist das Nebeneinander von alter Arbeit und neuem Entertainment, aus dem das Gebiet sein Flair bezieht. In Lichterfeld können Urlauber schon bald ihre Zelte unterhalb der ausgedienten Förderbrücke F 60 aufschlagen. Campen unterm Koloss vom Gewicht des Eifelturms, nur länger, dafür liegend. Ein absurdes, aufregendes Ambiente. Auch hier wird geflutet, der Bergheider See. Auch hier sind schwimmende Hotels geplant. Es geht um Landmarken, Wiedererkennungswert, Charakter. Gott, so lautet ein Sprichwort, schuf die Lausitz und der Teufel legte die Kohle drunter. Jetzt, wo sie der Mensch kaum noch braucht, kippt er Wasser drauf und Gott hat seine Lausitz wieder. So hofft man im Seenland.