Blaublutdurst und Hilfsgesuche

Werbung, RFT Color 20, FernseherRücksichtnahme

Die Woche, die war: 3.-9. Juni

Dass der Kapitalismus böse ist, dass er nicht nur entfesselt für allerlei Ungerechtigkeit sorgt, dass er also bestenfalls als Pest-Ersatz Cholera taugt, dürfte allen ohne Eigentümlich frei-Abo oder FDP-Parteibuch längst klar sein. Trotzdem ist es auch für Realitätsbewusste ein Schock, wie nach Moritz Bleibtreu weitere Kollegen mit Niveau dem Lockruf des Geldes ins Tal der Würdelosen folgen: Alexandra Maria Lara, Jürgen Vogel, Oliver Korittke – schauspielerisch einst Respektspersonen, jetzt nur noch selbstdarstellerische Raffzähne, die für ein wenig Kohle mehr ihren Ruf an McDonalds verhökern. Wie Markus Lanz die seine ans Kommerzpublikum. Wenn der Moraltalker kommerzielle Knallchargen von Stefan Raab über die Geissens bis Jürgen Drews zu zu Wetten, dass…? nach Mallorca lädt, zeigt sich, dass alle Moralattitüden am Ende doch nur Fassade zur Marktwertsteigerung sind. Immerhin hagelte es dafür mit die 7 Millionen Zuschauern die geringste Reichweite der Sendungsgeschichte.

Dann doch lieber die offen unmoralischen Lockruffolger. Wie Kai Diekmann, der seit einer Woche zurück aus dem Silcon Valley ist. Oder wie der schwarz gewendete Ex-Rotfunk WDR, der vorige Woche die Satire-Sendung Kebekus! zensiert hat. Das enthaltene HipHop-Video der Komikerin mit Vornamen Carolin, das in drastischen Bildern den Klerus aufs Korn nimmt, verletze religiöse Gefühle, hieß es aus Köln, wo man den Clip herausschnitt, weshalb Kebekus vom Einschalten auf Einsfestival abriet. Das ist zwar konsequent, aber kontraproduktiv. Insgesamt zählt der Spartenkanal ja selbst in zensierter Form zum Besseren am Bildschirm. Womit wir wie üblich an dieser Stelle bei RTL wären, das die Fortsetzung von Immer auf die Kleinen powered by Oliver Pocher, dem Entertainer mit der größten Diskrepanz zwischen Willsogern und Bringtesnicht seit Kaiser Nero, noch nicht mal mit Quoten rechtfertigen konnte, sondern allein mit dem Willen, das Nichts endgültig zum Senderauftrag zu machen.

Wobei ihm das ZDF mit diesem Nichts in nichts nachsteht. Dort wurde der Durst nach Blaublut Samstag durch die Hochzeit der schwedischen Thronfolgerinnenschwester mit einem windigen Investmentbanker gestillt. Live. Stundenlang. Und abschließend ist nicht geklärt, ob das Zweite wirklich weniger Kameras nach Stockholm geschickt hat als das Erste bis gestern in deutsche Flutgebiete. Dabei zeigte die ARD bis gestern wirklich jeden Tag nach der Tagesschau einen Brennpunkt und ritt damit ziemlich mutig auf des Messers Schneide zwischen Chronistenpflicht und Übersättigung. Immerhin brachten die Sondersendungen täglich Rekordquoten, die sogar RTL-Aktuell verzeichnete, was beweist: Sachthemen sind gar nicht so massenunwirksam. Vielleicht rufen sich die Verantwortlichen das mal kurz in Erinnerung, wenn sie das nächste Reportageformat für eine Schnulze Richtung Mitternacht verschieben.

Am interessantesten an der Bilderflut von der Wasserflut war jedoch ein Randaspekt: Taglang war auf Fotos und Filmen ertrinkender Städte ein Smart mit pinkem Dach zu sehen, als wäre es das einzig abgesoffene Auto zwischen Inn und Elbe gewesen. Das erinnert an die Bebilderung des zweiten großen Newsthemas der Vorwoche: Zur steuerlichen Gleichstellung Homosexueller. Die wurde ausschließlich mit schwulen Paaren illustriert, als seien lesbische nur ein schmückendes Accessoire heterosexueller Pornos.

Aussichtsplattform

Die Woche, die wird: 10.-16. Juni

Zumindest gelten Frauen welcher Geschlechterpräferenz auch immer nach wie vor bloß als schmückendes Accessoire heterosexuellen Fernsehens. Da lohnt es, der Frage nachzugehen, warum Tagesschau-Sprecherinnen ihre grundsätzlich langen Haare grundsätzlich über die linke Schulter hängen. Nie rechts, nie beidseitig. Aber keine Sorge: freitagsmedien prüfen, ob neben Judith Rakers und Linda Zervatis auch Susanne Daubner Linksträgerin ist. Zu prüfen wäre auch, ob die ARD das heutige Finale seines Zweiteilers Die Donau aus gegebenem Anlass inhaltlich ändert oder wenigstens dessen Untertitel Lebensader Europas dem Pegelständen anpasst. Keiner Prüfung bedarf es indes, ob Privatsender irgendwann aufhören, vermeintlich gewöhnlichen Menschen durch angeblich sachkundige, besser noch prominente Expertinnen das Leben zu erleichtern. Also schickt Sat1 diesen Mittwosch nach acht erst eine gewisse Julia Leischik auf die Suche nach verschwundenen Angehörigen, dann Silke Kayadelen nach dem perfekten Diätplan und schließlich das Urgestein Barbara Eligmann nach fiesen Vermietern.

Es wird halt gern gesucht im Kommerzfernsehen. Von Oliver Geissen etwa. Seit exakt zehn Jahren sucht der bumsfidele Hamburger Moderator jedes Formats, dessen letzte Hirnzelle doch schon bei zwei auf den Bäumen war, nach Hits jeder Art. Dass auch die 118. Ausgabe der Ultimativen Chart Show, die zum Geburtstag am Freitag nach der erfolgreichsten Single der deutschen Chartgeschichte sucht, als letzte Musiksendung abseits von Schunkelshow und Casting im hiesigen Vollprogramm gilt, hat jedoch nichts mit Musikalität bei RTL zu tun. Eher mit dem Ende anderer Formate und Sender: Alle abgewandert ins Pay-TV, verkommen zum Kuppelkanal oder einfach: mausetot. Mit freundlicher Unterstützung des Internets.

Derlei Sterbehilfe findet in einem Schwerpunkt zum gleichen Thema keine Erwähnung, was den Dienstagabend auf Arte indes kaum uninteressanter macht, dafür umso relevanter. Eine Kombination, die der Sender auch tags zuvor kultiviert. Um 22.40 Uhr läuft Schuld sind immer die anderen, das Regiedebüt von Lars-Gunnar Lotz, in dem ein Gewalttäter seine Reststrafe bei einem früheren Gewaltopfer verbringt, was es erst nach einer Weile bemerkt. Ziemlich psychodramatisch, ziemlich bedrückend, ziemlich gut. Wie die ARD-Reportage Sex – Made in Germany, in der Deutschland um kurz vor elf als unregulierte Metropole des globalen Prostitutiontourismus porträtiert wird.

Nach so viel harter (Spät-)Kost kann man sich ab Donnerstag die tiefgangsgestresste Seele ruhig mal mit etwas Oberflächlichem massieren: Der Arte-Zwölfteiler Odysseus. Nicht intellektuell, aber auch kein RTL2, wo Historienserien vergleichbarer Titel sonst gern laufen. Und dann ist ja auch schon fast Wochenende und Tom Buhrow wechselt vom Chefposten der Tagesthemen auf den des WDR. Bis dahin sollte also geklärt sein, wer ihm Montag ins Hamburger Studio folgt. Das Orakel sagt: Nachtjournal-Gesicht Ingo Zamperoni. Weil der sympathische Deutsch-Italiener für seine Halbzeitbitte im vorigen EM-Halbfinale, „möge der Bessere gewinnen“, einen nationalistischen Shitstorm erntete, wäre ihm der Posten auch zu gönnen, um die Tagesthemen wieder zu dem zu machen, was es mal war: Ein Straßenfeger.

Das war seinerzeit nämlich auch der Tipp der Woche: Das Halstuch, ein schwarzweißer Krimi-Klassiker. 3sat zeigt am Sonntagabend alle drei Teile, die 1962 ein ganzes Land zu Ermittlern gemacht hatte – bis der Kabarettist Wolfgang Neuß den Täter vorm Finale per Zeitungsannonce verriet und zum meistgehassten Deutschen hinter Marx, aber weit vor Hitler wurde. Als Fernsehen noch das Land bewegte…

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