Hans-Jochen Wagner: Norm & Ausbruch

Geliebt werden will jeder

Hans-Jochen Wagner ist der vielleicht erfolgreichste Unbekannte im hiesigen Film und Fernsehen. Seit der 45-Jährige 2003 in Stefan Krohmers Sie haben Knut seine erste Hauptrolle hatte, waren grandiose Figuren in tragender Funktion dabei – dennoch verbinden wohl die wenigsten einen Namen mit dem Gesicht des Schwaben. Vielleicht liegt das am hintergründigen Spiel, vielleicht daran, dass seine zweite Heimat noch immer das Theater ist, vielleicht reichen sperrige Filme wie Maren Ades Alle anderen und Episodenfiguren beim Tatort doch nicht für echten Ruhm. Damit kann Wagner allerdings gut leben, wie er im Interview zu seiner ersten Reihenhauptrolle als Ermittler im ZDF-Krimi Kommissarin Heller erzählt, die Samstag endlich in die zweite Runde geht.

Interview: Jan Freitag

freitagsmedien: Herr Wagner, im Dortmunder Tatort haben Sie zuletzt als pädophiler Familienvater die Gegenseite des Gesetzes gespielt, in Kommissarin Heller stehen sie auf der Guten. Macht das als Schauspieler einen Unterschied?

Hans-Jochen Wagner: Auf welcher Seite des Gesetzes eine Figur steht, ist gar nicht so von Belang. Was eine Figur ausmacht, sind ihre Konflikte. Und bei einem pädophilen Familienvater wie im Tatort liegen die auf der Hand, bei meinem Kommissar Verhoeven muss man die erst suchen. Das ist also im Grunde die spannendere Aufgabe – für mich ebenso wie für die Zuschauer. Handwerklich gibt es – solange ich als Ermittler nicht bloß danach fragen muss, wo der Verdächtige gestern Abend zwischen acht und halb neun war – kaum Unterschiede.

Bleiben Pädophile und Serienkommissare eigentlich noch immer am Darsteller kleben wie einst der Kindermörder Schrott an Fröbe oder Derrick an Tappert?

Nein, denn das hing stark mit einer Zeit zusammen, als Fernsehkommissare noch völlig anderes Gewicht hatten; schon weil sie mangels Alternativprogramm von viel mehr Menschen gesehen wurden. Damals war das Thema von Es geschah am hellichten Tag zudem neu, während Kinderschänder im heutigen Krimi fast schon inflationär gebraucht werden. Es nimmt der einzelnen Tat am Bildschirm ihre Singularität und damit den Schrecken, wenn in jedem zweiten Fernsehfall dadurch Suspense erzeugt wird, dass die Opfer Kinder sind.

Nun – wie in der ersten Folge von Kommissarin Heller ja auch…

Natürlich sind wir da keine Ausnahme, allerdings muss man hier hinzufügen, dass diese Situation schon in dem Roman von Sylvia Roth angelegt war, auf dessen Grundlage diese Folge geschrieben wurde.

Sie haben also nicht das Gefühl, das Format könnte an Ihnen haften bleiben?

Beim Tatort hätte ich die vielleicht, weil da eine ganz andere PR-Maschinerie dranhängt. Unser Format heißt zudem Kommissarin Heller, nicht Verhoeven. Was mir gut gefällt. Aber man sieht ja auch an unserer Besetzung, dass es eher um Geschichten als Gesichter geht. Der Tatort dagegen setzt mittlerweile sehr auf Köpfe.

Til Schweiger hätte es vor zehn Jahren dort nicht gegeben?

Never ever! Lisa und ich funktionieren voll übers Erzählen, nicht über unsere Namen. Ich kriege nun mal keine Homestory in der Bunte, das ist einfach so.

Aber warum ist das überhaupt so? Seit Sie haben Knut vor elf Jahren haben Sie doch regelmäßig Hauptrollen.

Schwer zu sagen. Auch wenn ich eine Weile lang relativ oft Familienväter gespielt habe, bin ich doch so ein wenig als Spezialwaffe ohne festgelegtes Rollenprofil bekannt. Ich würde mich als Schauspieler wandlungsfähig nennen und als Mensch nicht sonderlich exaltiert. Das sorgt für einen vergleichsweise geringeren Wiedererkennungswert, der für echte Stars unerlässlich ist. Mir geht’s um meine Arbeit, die glücklicherweise anerkannt wird.

Rote Teppiche sind eher nichts für Sie?

Doch, nur wissen halt viele Fotografen, wenn ich drauf stehe, nicht meinen Namen. Aber, das lässt sich ja ändern.

Außerdem ist das halt das Schicksal des Schauspielers, der oft an erster Stelle nach den Hauptdarstellern steht wie in Maren Ades Alle anderen.

Das stimmt wohl.

Suchen Sie diese Position auf der Besetzungsliste gezielt?

Ich lehne jetzt nicht aus lauter Bescheidenheit Titelhelden für tragende Nebenrollen ab. Aber als Typ kommt einer wie ich eben eher hintergründig rüber, und zwar selbst dann, wenn ich die Hauptrolle spiele. Andererseits sind Randfiguren zwar wichtig und oft besonders präzise zu spielen, aber der Einfluss, den man mit Hauptfiguren nimmt, ist ungleich größer. Und den möchte fast jeder Schauspieler ausüben, da geht es nicht um Eitelkeit. Besonders am Theater.

Wo Sie scheinbar mindestens genauso zuhause sind wie vor der Kamera.

Ach, das nimmt sich nichts. Beides zu verbinden, ist terminlich nur oft nicht einfach, da gerade Theater ein Höchstmaß an Planung erfordert. Aber es gibt ebenso tolle wie Scheiß-Filme, so wie es tolle wie Scheiß-Inszenierungen gibt. Das Schöne am Film ist allerdings, dass er nach dem Drehen weg ist und fertig. Wenn du ein Theaterstück nicht magst, musst du trotzdem am nächsten Tag wieder damit auf der Bühne stehen. Und dann gute Nacht! Andererseits ist die unmittelbare Resonanz aus dem Publikum unersetzlich, selbst im Kino gibt es Premieren mit Zuschauerdebatte; nach einem Fernsehfilm ruft vielleicht Oma an und sagt, wie’s war.

Tut sie das wirklich?

Nee, Oma lebt nicht mehr. Aber es kann schon mal Verwandtschaft anrufen.

Von der man wenig weiß. Ihr Wikipedia-Eintrag umfasst abseits der Rollen ganze vier Zeilen. Ist das bewusste Informationskontrolle oder Mangel an Berichtenswertem?

Weder noch. Vielleicht muss ich da mal selber nachbessern.

Zum Beispiel wo Sie geboren sind.

Ah, das liefer’ ich nach. Ich bin Schwabe. Wenn mich jemand fragt, rede ich auch über mein Elternhaus, kein Problem.

Nur zu! War das ein künstlerisches?

Nein, schwäbisches Bildungsbürgertum. Mein Vater lebt nicht mehr, war aber Lehrer wie meine Mutter, die jetzt allerdings Kunsttherapeutin ist. Dennoch hat mir nie jemand davon abgeraten, Schauspieler zu werden. Ich selber wollte bei der Ausbildung zunächst mal in die Regie und war auch in der Schule zuvor nie so der Klassenclown. Aber als ich mich für Schauspiel entschieden habe, hat mir niemand Steine in den Weg gelegt. Außer ich mir selbst vielleicht – denn zu Beginn hatte ich Probleme mit dem Angeglotztwerden, später dann damit, mich vor Gefallsucht zu bewahren. Es müssen nicht alle sagen, ich sei grandios gewesen.

Sind Sie etwa nicht Schauspieler geworden, um populär zu werden?

Natürlich steckt in jedem von uns das Bedürfnis, geliebt zu werden. Aber ganz gleich, ob man daran scheitert oder es schafft, kommt fast jedem irgendwann die Erkenntnis, dass dies weniger der Person gilt als der Figur. Berufliche Anerkennung ist mir durchaus wichtig, aber Liebe sollte man besser aus seinem Privatleben schöpfen.

Gibt es nach 20 Jahren als Schauspieler Momente, ein Star sein zu wollen?

Absolut, sonst würde ich lügen. Das hat aber nichts mit Eitelkeit zu tun, denn dadurch würden sich einfach meine Arbeitsmöglichkeiten enorm verbessern. Je höher der Status, desto höher der Einfluss. In einem Job, bei dem man von anderen nicht nur dirigiert, sondern sogar angezogen wird, ist das Gold wert.

Gab es bei Ihnen mal die abschätzige Sicht des Theatermimen aufs profane Fernsehen?

Die gab es schon, aber sie hatte nicht unbedingt mit dem Medium zu tun, sondern mit den Texten, an denen man sich abarbeitet. Am Theater sind das Sachen von Shakespeare bis Jellinek, also meist große Kunst nach dem Eisbergprinzip, wo sechs Siebtel der Geschichte unter der Oberfläche liegen. Beim Fernsehen dagegen steht schon öfter im Drehbuch: Klaus – in Klammern: wütend: ich hasse dich! Darauf Gaby – in Klammern: verzweifelt: verlass mich nicht! So was schafft einen ganz anderen Umgang mit Texten. Das sind eher Schockmomente als Vorbehalte.

Gibt es die trotzdem noch?

Ab und zu, aber das ist kein Dünkel, der Fernsehen als etwas Niederes abstempelt, sondern die Erkenntnis, dass dort die Zwänge größer sind und stärker in Zielgruppen gedacht wird. Mal ehrlich: das Theater hängt auch nicht mehr so am Puls der Zeit. Vorbehalte habe ich also keine.

Hatten Sie die denn mal gegenüber einer Serienfigur?

Nö. Die gab es höchstens für den Vorabend, wo einen die Arbeitsbedingungen wirklich auslutschen. Ich respektiere jeden, der das durchsteht, aber solange ich noch keine Familie zu versorgen habe, kann es mir einzig auf die Qualität ankommen.

Und wenn die bei Kommissarin Heller stimmt, kann man das auch zehn Jahre machen?

Absolut. Gegen Verbindlichkeiten hab ich nichts.

Kommissarin Heller – Der Beutegänger (Samstag, 20.15 Uhr, ZDF)

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