Hanns Zischler: Intellektueller & Nebenstar

Der Mann am Hintergrund

Ob Hollywood oder TV-Drama, großes Kino oder ganz kleines Schnulzencaro – Hanns Zischler glänzt in tragenden Nebenrollen ebenso wie als zurückhaltende Hauptfigur. Im erstaunlich ansehnlichen ARD-Freitagsfilm Stille Nächte spielt er diesmal seltsamerweise beides. Doch auch die Tragikomödie ist irgendwie nur Mittel zum Zweck eines Intellektuellen, sich seine Intellektualität auch leisten zu können muss.

Von Jan Freitag

Nein, das Wort Nebenrolle hat keinen schönen Klang. Selbst die besten Hauptdarsteller sind ohne Begleitung zwar weitestgehend arbeitsunfähig, aber neben liegt eben doch leicht abseits vom Fokus. Und welcher Akteur im Rampenlicht will da schon hin? Hanns Zischler will! „Stimmt schon“, sagt der Schauspieler mit hundertfacher Nebenrollenerfahrung, „ich stehe in der Besetzungsliste oft an vierter Stelle“. Aber das, sagt ruhig wie immer, sei kein Verharren auf halber Treppe zum großen Erfolg, sondern eine Frage der Ökonomie. Der betriebswirtschaftlichen – „schließlich haben Schauspieler lange Durststrecken ohne Arbeit“. Und der dramaturgischen – „schließlich ist niemand entbehrlich“. Weder im Film noch auf der Bühne. „Man muss in jeder Rolle geistesgegenwärtig sein“. Ob an erster oder vierter Stelle der Besetzungsliste.

Im ARD-Freitagsfilm Stille Nächte ist er diesmal irgendwas in der Mitte. Obwohl sich Filmsohn (Matthias Koeberlin) schon vor einer Ewigkeit von seiner Frau (Katharina Schüttler) getrennt hat, feiern beide Jahr für Jahr gemeinsam mit den (Schwieger-)Eltern Weihnachten, nichtsahnend, dass die längst davon wissen. Weil aber auch Hanns Zischler und Katharina Thalbach als Paul und Clara längst nicht alle (unangenehmen) Wahrheiten auf den Tisch packen, entspinnt sich daraus eine ziemlich charmante Tragikomödie um Sinn und Unsinn kleiner wie großer Lügen unter Menschen, denen man nahe steht. Und auch hier vollbringt Hanns Zischler das Kunststück, präsent und gleichsam unauffällig zu sein, den Film zu tragen und zu unterwandern in einem. Es ist die Fähigkeit des geborenen Nebendarstellers.

„Supporting Act“ nennt man solche Randfiguren, die wie ein Gustav Peter Wöhler, Alexander Held oder Stephan Kampwirth nur auffielen, wenn sie ausfielen. Uneitle Diener am Ganzen, überwiegend im Hintergründ tätig und doch handelnd wie die erste Garde. Zischlers „verschwiegenes Gesicht“, wie der Stern mal schrieb, erzeugt ohne viel Getöse eine Präsenz, die jeder Hauptrolle würdig wäre. Er habe nur auf dem Sofa gelegen und wenig gesagt, meinte der französische Weltstar Jeanne Moreau mal über eine gemeinsame Theaterarbeit, „aber er war großartig“. Diese Reduktion, mit der er nun sogar das furchtbare Drehbuch von Christiane Sadlo alias Inga Lindström mit etwas Leben füllt, hat ihn international bekannt gemacht. Steven Spielberg engagierte ihn 2005 gar für sein Terror-Drama München. In tragender Nebenrolle, versteht sich.

So spielte sich der Nürnberger von 67 Jahren seit seinem Debüt in frühen Werken von Wim Wenders durch Film und Fernsehen, nicht unbemerkt, aber jenseits aller Verwertbarkeitskriterien des Boulevards. Mehr noch als ein guter Schauspieler ist Hanns Zischler dabei ein würdevoller. Mit der zunehmenden Karstigkeit seines eisgrauen Kopfes spielt er den harten Vermieter in Die fetten Jahre sind vorbei so versiert wie den Gutsherren im Vertreibungsdrama Die Flucht und hebt jeden Bildschirm auf Kino-Niveau.

Dabei sei das Fernsehen „nur eine Briefmarke“, zitiert er den großen Produzenten Gyula Trebitsch. „Es sehnt sich nach Leinwand, kommt aber nur auf einen Meter Diagonale“. Und Zischler meint das nicht inhaltlich. Denn solange der kleine Flatscreen dem großen Kino nicht „nachhechelt wie ein eifersüchtiges Kind“, sei ihm manch ambitionierter Zweiteiler lieber als cineastische Beliebigkeit. Hauptsache, er könne sich darin auf seine Art entfalten. Wobei Entfaltung übertrieben klingt: In beiden Formaten nutzt Zischler ja oft bloß einen Gesichtsausdruck, diese „vertrauenerweckende Männlichkeit, die jeder modischen Attitüde trotzt und sympathisch altmodisch auftritt“, wie das Lexikon des deutschen Films schreibt. Sie verleiht ihm etwas Berechenbares, zugleich aber auch Unerklärliches, und vielleicht nimmt ihm ja genau das die Hauptrollentauglichkeit. „Was nicht schnell erklärt werden kann“, erklärt er die Mechanismen des Mediums, „wollen wir nicht“, Das hänge mit dem Sendeauftrag zusammen. Er lacht bissig: „Ein wunderbares Wort, wie aus dem neuen Testament.“

Doch Zischler, ein schauspielernder Intellektueller und angesehener Filmkritiker, der mit Begriffen wie „ideosynkratisch“ oder „Kinematografie“ jongliert, mehrere Fremdsprachen spricht, singt und Klavier spielt, dessen Essay Kafka geht ins Kino von französischen Kritikern als bestes fremdsprachliches Buch übers Kino gewählt wurde – er meint es gar nicht böse. Fernsehen müsse sich nur auf seine Stärken besinnen: Reportage, Sport, Serie, Mehrteiler. Und hin und wieder mal seichte Fernsehkost wie Wilde Wellen. .ein ZDF-Vierteiler, der vor ein paar Jahren so viele Grenzen des anspruchsvollen Geschmacks unterlief, dass man sich Sorgen um Zischlers Zurechnungsfähigkeit machen musste. Am Ende aber zeigte sich: Einem wie ihm kann selbst das nicht schaden.

Stille Nächte – Freitag, 5. Dezember, 20.15 Uhr, ARD

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