Dokudrama: Meine Tochter Anne Frank

Annas Lachen

Nicht nur dank der jungen Mala Emde ist Raymund Leys Meisterwerk Meine Tochter Anne Frank (18. Februar, 20.15 Uhr, ARD) mehr also bloß ein Dokudrama. Es ist der experimentelle Beweis, wie kraftvoll die Hoffnung selbst im Untergang dargestellt werden kann, ohne dabei auf Geigenteppiche und Tränendrüsen zu drücken.

Von Jan Freitag

Der Ernst des Lebens, so denken nicht nur Miesepeter und kleine Geister, verträgt kein Lachen. Lachen nehme ihm Würde, Tiefgang, die Feierlichkeit. Schon gar nicht zieme es den großen Menschheitsdramen, von Tod und Trauer bis Katastrophen, Völkermord, solchen Kalibern. Von wegen! Erst wo der Spaß aufhört, rotzte der Kabarettist Werner Finck der Gestapo entgegen, „beginnt der Humor“. Denn so schlimm es auch sein mag, in einem Land zu leben, wo es keinen gibt, ergänzte seinerzeit Berthold Brecht: Noch schlimmer sei es doch dort, wo „man Humor braucht“. Zum Beispiel in der Prinsengracht 263.

Hinter einem Aktenregal inmitten der Amsterdamer Innenstadt versteckte sich vor gut 70 Jahren: Anne Frank. Sie tat es mit sieben Leidensgenossen, auf engstem Raum, notdürftig versorgt von einer Handvoll Aufrechter, mehr als zwei Jahre lang. Vor allem aber tat sie es nicht dauernd missgelaunt und wütend, sondern mal trübsinnig, mal froh, oft sprunghaft, herrlich unbefangen, wie Teenager eben so sind. Um das zu begreifen, ist es ein Segen für Spätgeborene, dass sie nun von einer nahezu Gleichaltrigen gespielt wird, die sich nicht nur in das Leben ihres Charakters versetzt, sondern förmlich hineinkriecht. Mit allem, was dazu gehört.

Sie heißt Mala Emde und ist ein echter Glücksfall fürs deutsche Dokudrama, das bei der Zeichnung zeitgeschichtlich verbriefter Figuren aus schwieriger Zeit gern in saftigem Pathos verseift. Mala Emde verseift nicht, sie versenkt auch niemanden, schon gar nicht die erste echte überlebensgroße Hauptfigur nach allerlei Nebenrollen der Achtzehnjährigen aus Anne Franks Geburtsstadt Frankfurt am Main. Das liegt an der Nachwuchsschauspielerin selbst, die der berühmten Tagebuchschreiberin eine Empathie verleiht, die bisweilen leicht über den Punkt erscheint, aber grad darin all die Hoffnung und deren Fehlen jener furchtbaren Epoche verdeutlicht. Mehr aber noch liegt es an Raymund Ley.

Nach wohltuend dezenten Realitätsinszenierungen von der Hamburger Sturmflut vor elf Jahren bis hin zum Kunduz-Drama Eine mörderische Entscheidung (2013) hat sich der renommierte Dokumentarfilmer dem Hinterhausexil des berühmten NS-Opfers gewidmet und siehe da: es ist ein großer Film geworden, Tendenz Meisterwerk, frei von Geigenflor und dramaturgischem Doppelfettstufenquark vergleichbarer Filme übers Allzeitthema des Historienevents.

Dank der lebenslustigen Mala als Anne. Fast mehr aber noch dank ihres Vaters Otto, der die Erinnerungen nach seiner Rückkehr aus Auschwitz frei von kommerziellem Denken lebendig hält, gespielt von einem anmutig verkarstenden Götz Schubert, der diese Figur mit einer Hingabe spielt, die selbst am Flachbildschirm körperlich spürbar wird. Und dann wären da noch die sechs anderen Mitbewohnern des Hinterhauses, verkörpert von ungeheuer anteilnehmenden Mimen. Mit all ihrer Hilfe gelingt Ley ein experimentelles Biopic, dass nie der Verlockung verfällt, auf Mitleid zu bauen. Im Gegenteil – wenn um Annas Schreibtisch herum surreale Bilder jener Gedanken sichtbar werden, die sie gerade ihrem Tagebuch anvertraut, wenn die Gefühlsflut der Pubertät den Damm der Kerkermauern hormonsatt durchbricht, wenn ihre Lebenslust bei der Tristesse ringsum trotzt wie ein Krokus dem österlichen Wintereinbruch, dann werden nicht die üblichen Salbungen am verschütteten Tätergewissens vollführt. Dann wird die Untat doppelt verwerflich.

Leys kammerspielartige, zeitzeugenflankierte, fabelhaft fotografierte Daueremotionalisierung des Themas ist schließlich kein billiger Kleister, der unsere Geschichtsvergessenheit eskapistisch übertapeziert.  Sie dient der nachhaltigen Demaskierung eines Zivilisationsbruches, der – sorry, liebe 58 Prozent Schlussstrichfans – noch ewig thematisiert wird. Werden muss. Gern mit einem Lachen.

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