Arte-Doku: Rammstein in Amerika

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Die herausragende Arte-Doku Rammstein in Amerika (Foto@Guido Karp/ZDF) zeigt den unwahrscheinlichen Siegeszug der erfolgreichsten deutschen Band auf dem schwierigsten Markt für ausländische Künstler und lässt dabei offen, wer da eigentlich wen genau benutzt.

Von Jan Freitag

Chad Smith zählt fraglos zu den Superstars im Milliardenbusiness Rock’n‘Roll. Als Schlagzeuger der rasend erfolgreichen Red Hot Chili Peppers dürfte ihn nach bald drei Jahrzehnten auf den größten Bühnen der Welt also nichts mehr überraschen. Außer vielleicht: Till Lindemann. Den, erzählt dieser Chad Smith, habe er mal gefragt, was es mit all dem Feuer auf sich habe, und drei Antworten erhalten. Erstens, zitiert er den Rammstein-Sänger mit teutonischem Akzent, das des Geistes. Zweitens, sein Lächeln gerät fast spöttisch, das des Herzens. Und drittens, der abgebrühte Profi imitiert das Ganzkörperlachen des Pyromanen aus Ostdeutschland mit der Innbrunst eines bekennenden Fans, „einfach Feuer“. Einfach Feuer?

Am Sehnsuchtsort allen Entertainments, der die Hülle notorisch zum Wesenskern des Inhalts erhebt, ist Feuer nie bloß Feuer, sondern Teil einer Show, von deren Lichtstrahl auch das Sextett realsozialistisch sozialisierter Ex-Punks angesaugt wurde wie Jünger vom Demagogen. Hannes Rossachers Arte-Dokumentation Rammstein in Amerika skizziert daher nicht nur den Weg einer neudeutschen Band mit altdeutschem Gestus zu urdeutscher Sprache dorthin, wo fremde Bands mit fremdem Gestus zu fremder Sprache inakzeptabler sind als Klingonen auf der Enterprise. Rammstein in Amerika ist demnach die Muskelfleisch gewordene Synthese des Unvereinbaren, das zusammenwächst, weil es zusammengehört.

Kollege Smith weiß davon ein Lied zu singen. Iggy Pop übrigens auch, zudem Marilyn Manson, Steven Tyler, Gene Simmons, Moby, Slipknot und wie die erlesenen Platzhalter der Popkultur vor Rossachers Kamera so heißen. Zwischen kindlicher Verblüffung und adulter Hochachtung feiern sie 90 klingende Minuten lang ein Phänomen, das unerklärlich scheint und doch so naheliegend wie der Titel des Films.

Nach Amerika nämlich bricht er 1993 in grobkörnigen Archivbildern auf, als sechs befreite Zonenkinder ein Jahr vor Rammsteins Gründung zufällig zeitgleich die USA bereisen. Als Freiheitstest ins land of the free geplant, geriet der Besuch zur Pilgerfahrt ins Land der Ungläubigen, die bekehrt werden wollten, davon aber noch nichts wussten. In „Rammstein“, erklärt Iggy Pop euphorisch wie ein Junge beim Entdecken der Schokoladenschublade, stecke ja nicht nur das aggressive ram plus steinerner Härte, sondern eine US-Militärbasis, die 1988 in Flammen aufging. „Unser wunder Punkt“, meint der Berlin-Exilant aus Bowies Kreuzberger Tagen. Die Träger des Namens steckten genüsslich die Finger rein. Besser: die Lunte.

Kaum nämlich, dass ihre „Neue Deutsche Härte“ dem amerikanischen Nu Metal Mitter der Neunziger ein teutonisches „R“ über die Riffs gerollt hatte, eroberten die Mecklenburger ihren Bestimmungsort – nein, nicht grad im Sturm. Doch nach dem ersten Auftritt in New York vor 15 Gästen ging es schnell mit dem Auswärtserfolg. Gründe dafür entlockt Regisseur Rosslacher den weltweit erfolgreichsten Popstars aus Deutschland beim entspannten Plaudern auf schwarzen Sofas, wo die angegrauten Veteranen kaum zu sehen sind, so martialisch kleiden sie sich noch als sorgsame Familienväter.

Wobei es ja drei Gründe waren: Feuer (Kopf), Feuer (Herz), Feuer (Feuer). Gepaart mit dem wagnerianisch überfrachtetem Thrill von Sex, Gewalt und Nazikitsch war das Flammeninferno Rammstein besonders live „so extrem, so real“, dass ihr künftiger Agent schon früh gewusst haben will: „Amerika wird das fressen! Und wie. Streng chronologisch macht der Film deutlich, was diesen Appetit westlich des Atlantiks erzeugt, befriedigt und neu entfacht hat. Vom Soundtrack zu David Lynchs Lost Highway über den Kampf der Pyromanen mit örtlichen Brandschutzregeln und einem publikumswirksamen Prozess wegen pornografischer Showelemente bis hin zur US-Tour mit eingeborenen Genre-Göttern wie KoЯn ging es einzig bergauf – bis Rammstein nach 9/11 Zweifel am Land der Träume kamen, das sich nun fast so unfrei anfühlte wie das eigene hinterm Eisernen Vorhang, weshalb die Band ihre zweite Heimat wieder verließ. Für zehn Jahre.

Aber nicht nur dort kühlte der Draht zwischen Publikum und Band merklich ab. Noch immer eine Ikone artifiziellen Kommerzes, hatte das Feuilleton zwei Jahre zuvor erstmals mit der rechter Umtriebe nie unverdächtigen Band gefremdelt, als das Video zum Depeche-Mode-Cover Stripped Leni Riefenstahls Herrenmenschenbilder nutzte. Nach der dritten Platte Mutter schien sich auch ihr Sound abzunutzen, worunter auch die bandinterne Stimmung litt. Das Feuer brannte – zumal auf der Bühne – weiter, doch es wärmte weit weniger. Bis der explizite Porno zur Single Pussy 2009 den Erregungsregler auf Anschlag drehte und Rammstein ein Jahr drauf heim ins Reich des Pop zurückkehrten.

Der Gig im Madison Square Garden, nach 20 Minuten ausverkauft, bildet die dramatische Klammer von Rossachers Film, den Hollywood nicht besser scripten könnte: Aufstieg & Fall, Zweifel & Einsicht, Katharsis & Auferstehung von Helden, deren Heroismus brüchig ist wie im Serienfernsehen dieser Tage – so geht Musikdokumentation für Kinoansprüche. Trotz allen Erfolgs türmt der Regisseur seine Objekte ja nicht nur zu Denkmälern auf, er stutzt sie zwischendurch auf die Größe von Avataren der Aufmerksamkeitsindustrie. Sechs provokante Feuerteufel zum Amüsement einer sittenstrengen, dauererregten, konsumgeilen Gesellschaft. Wie Rammstein, meint Scott Ian von der Metal-Legende Anthrax und lächelt wie zu Beginn Chad Smith, stelle sich Amerika halt Deutschland vor: „Eine gut geölte Maschine.“ Gut, dass Hannes Rossacher offen lässt, wer sie führt.

Der Film ist noch bis Samstag in der Arte-Mediathek zu sehen

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