Fahri Yardim: Kodderschnauze & Nicksidekick
Posted: December 31, 2015 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |Leave a comment
Das ist doch ein Brett!
Geboren in Hamburg, spricht Fahri Yardim eher die Sprache des Kiezes als Türkisch. Die hanseatische Kodderschnauze kommt seiner Tatort-Figur Yalcin Gümer, der die One-Man-Army Nick Tschiller (Foto: Marion von der Mehden/ARD) mit lockeren Sprüchen und viel Herz auf den Boden der Realität zurückholt, sehr zugute. Das durfte der 36-Jährige erstmals 2003 in Fatih Akins Komödie Kebab Connection zeigen. Seither hat er allerdings seltener den Sprücheklopfer mit Migrationshintergrund gespielt, als man denkt. Im Doppel-Tatort Der große Schmerz jedoch (1. und 3. Januar) mischt er Hamburg wieder als deutsch-türkischer Sprücheklopfer auf.
Interview Jan Freitag
freitagsmedien: Fahri Yardim, Nick Tschiller war 2013 der Tatort-Kommissar mit den meisten Toten.
Fahri Yardim: Das überrascht mich nicht.
In seinen Fällen verliert man so ab der zehnten Leiche den Überblick. Wie viele waren es insgesamt?
Schwer zu zählen, stimmt. Aber das macht doch nichts. Unser Krimi ist eben nicht der übliche Mordfall von früher, wo die reiche Erbtante in Blankenese mit dem Kronleuchter erschlagen wird; hier geht es um einen Kiezkrieg mit Clanstrukturen. Und was soll denn das für ein Krieg sein – mit einem Toten.
Aber gefühlte 20 in eineinhalb Stunden?
Wir sind ja weder eine Polizeidokumentation noch naturalistisches Erzählkino. Wer einen Krimi so comicartig anlegt wie Christian Alvert, darf schon larger then life sein.
Darf man dann trotz humorfreier Dramatik auch lachen über all die ernst gemeinten Stunts und klatschenden Fausthiebe wider alle Naturgesetze?
Natürlich, nur zu. So dieses hassudasgesehn-Schenkelklopflachen? Logisch, gehört doch dazu. Ohne diese Distanz zur Realität sollte man sich besser all die tollen Sachfilme ansehen. Macht auch Spaß, und Genre-Kino kann man mit einem ständigen Realitäsabgleich unmöglich genießen.
Ist dieses Genre-Kino überhaupt noch Krimi?
Actionkrimi. Es wird ja trotz aller Action weiter ermittelt. Sicher sind wir auf der Farbpalette des Tatorts eher der grellere Ton, aber das belegt doch nur die Vielfalt des Formats. Bei der vorigen Bambi-Verleihung kamen mal fast alle Ermittler zusammen, das war wie ein Klassentreffen: Es gab die ernsthaften Mitschüler aus Köln, die Zwillinge aus München, die Klassenkasper aus Münster, die Klassenbeste aus Hannover und wir waren eben die Rabauken aus der letzten Reihe, die ständig mit Papierkugeln Richtung Pult schießen.
In Kopfgeld sind es aber weit schärfere Geschosse. Ist das am Ende das Markenzeichen im Hamburger Kiezkrieg-Tatort – die Zahl der Gefallenen?
Mehr aber noch die Körperlichkeit, die Dynamik, die Inszenierung, die Kamera. In der Kombination hat es das mit dieser Geschichte in dem Medium hierzulande noch nie gegeben. Das ist großes Kino mit Fernsehmitteln. Wessen Sehgewohnheiten das verfehlt, guckt halt einen anderen Tatort, dafür gibt’s doch genug davon. Ich finde dieses Action-Fach großartig.
Auch als Zuschauer?
Und wie! Aber ich mag keine Eindeutigkeiten, sondern lass von der platten Komödie bis zum gediegenen Kammerspiel alles an mich ran. Wer immer nur Gräben aushebt, verlernt irgendwann zu abstrahieren und kann nicht wie ich selber rausfinden, welchen Actionfilm er genießen kann und welchen er zum Kotzen findet. Auch das kommt vor.
Aus welchen Gründen?
Weil sie ihr Augenzwinkern verlieren, keine Brüche zulassen und keine Süffisanz, für die ich ja in unserem Tatort unter anderem zuständig bin. Das ist doch ein Brett.
Und erdet Till Schweigers ständigen Bruce-Willis-Blick mit Kiezhumor.
Ich steh auf seine Kraft, auch weil es mir den Kontrast anbietet, meine matrosenhafte Leichtigkeit kommt immer mit einem gewissen Fatalismus daher, das finde ich spannend. Yalcin Gümer ist so ein bisschen wie der Chirurg, der nach der OP seine Schere vermisst und sagt, oha, dann müssen wir die Fäden wohl durchbeißen. Diese komödiantische Erdung hilft ihm und anderen dabei, die Ausweglosigkeit der Verhältnisse, in denen sie arbeiten, zu ertragen. Deshalb fand ich es wirklich erleichternd, wie Daniel Craig in seinem ersten Bond gefoltert wird und seinen Peiniger bittet, weiter links zuzuschlagen, weil es da noch juckt. Wobei wir diese Mischung aus Ernst und Leichtsinn gar nicht voll ausschöpfen. Aber dafür kämpfe ich; dieses Element meines Spiels möchte schließlich auch ein bisschen geschaukelt werden.
Ist der schnodderige Sprücheklopfer vom Hamburger Kiez denn überhaupt gespielt oder sind Sie das nicht ein bisschen selbst?
Das ist schon gespielt, aber natürlich liegt der mir. Ich muss da nichts mühsam hervorkramen, sondern nur den Hamburger in mir rauslassen. Als ich dem einen im Knast eine Wanze unterjubeln will und frage: „Sach ma, wie talkst du eigentlich mit mir“ – dieses Lokalkolorit kannst du dir nur schwer anlernen, das kommt aus dem Innern.
Versucht man Ihnen deshalb gern diese Alder-Digger-Rollen anzudrehen?
Nein, leider nicht. Ich hatte davon vielleicht drei seit Kebab Connection und das ist zehn Jahre her. Umso mehr freue ich mich hierüber. Es stimmt natürlich: Schubladen können tief sein. Aber meine öffnet sich gerade in letzter Zeit immer weiter, dass ich mich sogar freue, wieder mal einen wie den hier zu geben. Jeder hat in seinem Job Handgriffe, die er besser beherrscht als andere. Yalcin geht mir gut von der Seele. Meine Schauspielausbildung war das Leben in Hamburg.
Aber schon auch die Schauspielschule.
Die auch, am Theater sogar, aber das würde ich nicht zu hoch hängen, da ist noch viel Luft nach oben. Film lernt man ohnehin erst richtig beim Drehen.
Versucht man türkischstämmige Schauspieler wie Sie türkischstämmig zu besetzen?
In vielen Fällen leider schon, noch immer. Und was noch schlimmer ist: auf dieser Ebene ist das Angebot der Rollenprofile trotz aller Erfolge, das aufzubrechen, sogar so dünn, dass Türken im Film noch immer entweder Gemüseverkäufer oder Kriminelle sind. Da hatte ich großes Glück, dass die entscheidenden Leute in mir eine Charakterlichkeit jenseits meiner Herkunft erkannt haben.
Welcher Name ist Ihnen dann lieber: der türkische Yalcin oder der deutsche Daniel in der Komödie Irre sind männlich?
Daniel ist ein Liebessuchender, wie es ihn auf der ganzen Welt gibt. Der könnte auch Ching Lee heißen. Am Namen kann man keinen Charakter festmachen, und Migrationshintergrund heißt Hintergrund weil er im Hintergrund ist. Er rückt allerdings in den Vordergrund, wenn meine Figur in gebrochenem Deutsch „Gürke verkaufe“ will. Das ist mir einfach zu platt. Mir geht’s immer um die Geschichte einer Figur; wenn ich hier jetzt ’n Dicken schieben möchte, würde ich dazu ein paar Philosophen zitieren über allzu Menschliches, aber es geht auch einfach: je tiefsinniger eine Rolle gebaut ist, desto unwichtiger wird die nationale Schublade.
Ihr Hintergrund ist also nicht mehr zu sehen?
Doch, guck mich doch mal an. Und er darf auch eine Rolle spielen. Wenn das interessant ist, würde ich gern alles Mögliche spielen, was mit irgendwelchen Hintergründen zu tun hat. Rein physiognomisch steht mir ja der gesamte Mittelmeerraum offen. Andererseits bin ich ein moderneres deutsches Gesicht. ich werde seit 33 Jahren hier sozialisiert und schnuppere seither dauernd deutsche Luft – es erzählt viel über denjenigen, der einen wie mich immer noch türkisch konnotiert. Wenn man mich fragt, wo kommst du her, sage ich: aus meiner Mudder.
Was hat die eigentlich gesagt, als Sie Schauspieler werden wollten?
Weil ich in unserer Dynastie der erste Schauspieler bin, hat sie genau wie mein Vater anfangs ein bisschen dran geknabbert. Der Deal war deshalb, dass ich auch ein bisschen studiere, Germanistik und Ethnologie. Dann ging’s.
Und als Sie vor zehn Jahren ohne Uniabschluss Schauspieler waren und im Film angekommen sind: war der Tatort da eine Option oder überhaupt nicht auf der Agenda?
Null. So ein Format ist in der Branche zu präsent, um nie dran zu denken, aber das war viel zu weit weg. Es ging ganz langsam dahin, Schritt für Schritt.
Und wie fühlt es sich jetzt an – nach Etappe oder nach Ziel?
Der Weg bleibt das Ziel. Es ist eine Riesenaufgabe, so viel Vertrauensvorschuss, wie ich erhalten habe, auch gerecht zu werden. Außerdem trage ich trage ich große Verantwortung, für all die vielen Leute, die das gucken, einen guten Job zu machen. Trotzdem möchte ich niemals nur Kommissar sein. Bei einem im Jahr, bleibt Platz für anderes.
Und wenn Nick Tschiller alle Gangster in Hamburg abgeknallt hat?
Siedeln wir dahin, wo noch welche sind.