David Bowie (1947-2016): Nachruf & Blackstar

david-bowieDer wahre King of Pop

David Bowie (Foto@Sony) hat den Pop durchgespielt, bis zum Schluss. Mit seinem letzten Album verabschiedete er sich vor wenigen Tagen von der Welt. Was wenige ahnten und noch weniger wussten: Blackstar war ein musikalischer Nekrolog in eigener Sache, verträumt, ja morbide, doch dabei selbstbewusst und leichtfüßig. Ein Nachruf.

Von Jan Freitag

Und dann ist plötzlich alles ganz klar und deutlich. Dann liegen die Fakten wie auf dem Silbertablett vor einem, als hätten sie nie etwas anderes ausdrücken wollen, sollen als dies. Dann liest man Zeilen wie “Look out here I’m in heaven /  I got scars that can’t be seen” in Liedern namens Lazarus nicht mehr als ästhetisierte Todessehnsucht im Spätwerk eines hinreißend gealterten Popstars, sondern als Manifest der eigenen Vergänglichkeit: David Bowie wusste, dass er bald sterben würde. Er wusste es jedenfalls längst, als sein offiziell 28. Album im Studio entstand. Es heißt Blackstar und wollte der Nachwelt am vorigen Freitag, Bowies 69. Geburtstag, offenbar verkünden, was nun Gewissheit ist. Der einzig wahre King of Pop war todkrank. Er ist am Sonntag im Kreise seiner Familie gestorben.

Das wird wohl für einige Zeit die erschütterndste Nachricht des noch jungen Musikjahrs bleiben und ist gleichwohl so überraschend wie, sagen wir, ein Wintereinbruch im November. Denn David Robert Jones, geboren im Herzen Londons, das 1947 noch nicht der Nabel des Pop war, sondern eine rußschwarze Arbeitermetropole, hat ungefähr drei Viertel seiner Zeit auf Erden viel dafür getan, sich vorschnell von ihr zu verabschieden: Partys, Drogen, Promiskuität – das unterhaltsame, aber selbstzerstörerische Dreigestirn eines Lebens (wie) im Rausch. Es prägte David Bowie mindestens ebenso, wie er damit einer Epoche, die seine Epoche war, den Stempel aufdrückte: den siebziger Jahren.

Welch ein Jahrzehnt!

Rock wurde Glamour, Glamour wurde Pop, Pop wurde Disco, Disco wurde extravagant, Extravaganz wurde exzessiv, Exzess wurde orgiastisch und alles stets ungefähr in dem Tempo, das David Bowie dem Ganzen vorgab. Sein Stil war über Jahre hinweg der Gradmesser des musikalisch, ästhetisch, atmosphärisch Machbaren in einer Zeit, die das Unmögliche, Unbotmäßige, Ungehörige zusehends ad acta lege. Schon zwei Jahre nach seinem selbstbetitelten Debütalbum eröffnete Space Oddity den Blumenkindern im Würgegriff der konservativen Konterrevolution 1969 erstmals einen Ausweg in kosmische Höhen: fort vom haschvernebelten Naturalismus harmoniesüchtiger Weltverbesserer, hin zum urbanisierten Hirngespinst von einer besseren Zukunft mit den Mitteln der Zivilisation.

Seine Werke, produziert im zappeligen Stakkato jener Zeit, vor allem The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars oder Heroes, schufen etwas, das Bowie aus Sicht des Fachblättchens New Musical Express zum einflussreichsten Popmusiker aller Zeiten machte: Hippie und Rocker zugleich, Umstürzler und Bewahrer. Eine Art moderner Mozart am Übergang des analogen zum digitalen Zeitalter, Chiffre fast sämtlicher Brüche, denen die virile Ära zwischen Rock’n’Roll und Techno seinerzeit ausgesetzt war. Bowie, nebenbei Schauspieler, Stilikone und Sexsymbol, spielte mit zeitgenössischen Drogencocktails ebenso wie mit neuem Versmaß, mit Genderzuweisungen oder Klangexperimenten gleichermaßen und prägte den Zeitgeist somit mehr als jedes noch so bedeutsame Lifestylemagazin, deren Titelblätter er über Jahrzehnte ein ums andere Mal geziert hat.

Wie viel an dieser ausschweifenden Existenz unterm Brennglas der Öffentlichkeit letztlich echte Haltung war und wie viel womöglich doch Pose im Dienste der PR, wird auch weiterhin spekulativ bleiben. Doch nie zuvor und selten danach hat ein einzelner Künstler den Moralvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft dramaturgisch selbstbewusster, vor allem aber musikalisch eigensinniger Feuer unterm Hintern gemacht als der Thin White Duke. Umso erstaunlicher ist es, dass ihm rund um die Welt, der er mehr als 140 Millionen Tonträger verkauft hat, nun sogar jene kondolieren, denen er einst als Ausgeburt der Hölle erschienen sein muss. Wenn selbst der Erzbischof von Canterbury sein Bedauern über den Tod des kreativsten Bilderstürmers früherer Jahre äußert, muss Bowie die Bilder von einst also nicht bloß gestürzt, sondern durch ein paar neue, bessere ersetzt haben.

Auch das war ja dieser Snob aus dem britischen Empire, das den Namen bei seiner Geburt noch verdiente: Ein Musiker, der sein mitsingtaugliches Zeugs ebenso wenig wiedergekäut hat wie sich den Zeitgeist als nützliches Accessoire anzuheften. Wer David Bowie Ende der Achtziger mit Tin Machine als “Bandmitglied unter vielen” erlebte, konnte darin bereits einen Vorboten des shoegazenden Britrock entdecken. Wer vor drei Jahren The Next Day zu Ohren bekam, hierzulande sein – kein Scherz! – erstes Nr.-1-Album, erlebte darin den kraftvollen Selbsterneuerer umweht von frischen Beats, vor allem aber kraftstrotzendem Rock. Und wer sich nun Blackstar anhört, mag einen Nekrolog erkennen, geprägt vom episch ausgewalzten Titelstück mit seinem erzählerischen Schlagzeug zu Bowies snobistischer Eleganz, das Lazarus, mehr aber noch dessen ergreifendes Video zu einer fiebrigen Hospiz-Vision verdichtet; musikalisch ist David Bowies letztes Album weit mehr als eine Grabesrede in eigener Sache.

Es krönt die Biografie dieses außergewöhnlichsten aller Pop-Revoluzzer mit einer Sinfonie klanglicher Eleganz, der man sogar ein paar Saxofonsoli aus Bowies Neuerfindung vor 30 Jahren nachsieht. Der Krebs hat sein viertes, sechstes, x-tes Comeback zunichte gemacht. David Bowies Werk für die Ewigkeit wird er nicht kleinkriegen.

Niemals.

Mehr Bilder, Links und Sound auf Zeit-Online

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