Club-Mausoleum: Front (1983 – 1997)

Front der Erleuchtung

Ein Beispiel dafür liefert momentan Star Wars, wo alles Klare irgendwann mal im Trüben fischt und umgekehrt. Wo der vermeintlich wesensfiese Darth Vader seinem vermeintlich herzensguten Feind Luke Skywalker im dritten (später sechsten) Teil der Saga glaubhaft macht, sein Vater zu sein, also gleichfalls auf der hellen Machtseite gestanden zu haben. Da kann es doch kein Zufall sein, dass parallel zum Kinostart der Weltraumsaga vor fast 40 Jahren im Herzen Hamburgs ein Club eröffnet hat, dessen Historie erstaunlich taghell war, bevor die dunkle Seite der Nacht Besitz von ihm ergriff.

Das Front.

Wer einmal drin war, in Deutschlands erster echter House-Disco (das behaupten zumindest Eingeweihte), ja selbst wer nur aus sicherer Entfernung davon gehört hat, dürfte bis heute überrascht sein, was sich bis zum Jahr 1983 im Klinkerbau zwischen Horner Kreisel und Elbbrücken befunden hat: Danny’s Pan, ein wandergitarrenseliger Folkloreschuppen, Wohnzimmer altruistischer Chansonniers von Reinhard Mey bis Hannes Wader, die dem Hedonismus der Nachnutzer wohl ein paar Protestsongs entgegengeklampft hätten, wäre es je zur Begegnung gekommen.

Als Danny’s Pan schloss, verwehte am verkehrsumtosten Heidenkampsweg umgehend alles Analoge und Liedhafte und wurde zu Bass, Beat und Stroboskop. Das Technozeitalter nahm Fahrt auf. Während sich die Generation Bundfaltenhose gerade entspannt beim Milchkaffee von Friedensbewegung und Punk erholte, suppte ein bislang unerhörtes Sounds takkato nach Hamburg. Es bestand aus Rhythmen, die nicht mehr nach-, sondern in-, neben-, über-, und durcheinander spielten, artifiziell und treibend. Nichts für Harmonieästheten, aber umso mehr für Feierwütige.

Im DJ-Kabuff des Front legte ein gewisser Klaus Stockhausen Vinyl aus den Industrieruinen Chicagos auf, das den Laden in kürzester Zeit zur suburban legend machte. Es zog neben späteren Clubgiganten wie Boris Dlugosch verschiedene Gästeschichten ins Neonrampenlicht, die bis dato oft unter sich waren: Fans synthetischer Drogen, repetitiver Musik und gleichgeschlechtlicher Liebe, gern alles zusammen. An drei von fünf Öffnungstagen war das Front mehr oder weniger frauenfrei. Doch auch an den anderen Tagen tanzten nie weniger als ein Drittel der Männer paarweise eng umschlungen mit nackten Oberkörpern, die bereits zu einer Zeit vielfach gepierct waren, als Tattoos noch nach Knast und Viermastern rochen.

Als heteronormaler Gymnasiast aus Hamburg-Eppendorf fiel es mir Ende der achtziger Jahre, als die Tonlage dank Acid-House nochmals dumpfer wurde, gar nicht so leicht, dem Ruf des Abseitigen zu folgen. Für manche Männer in Phasen der Persönlichkeitssuche sind Schwule vornehmlich verwirrend. Und dann die Anreise: Fern der Epizentren gewöhnlicher Tanzkultur brauchte es mit dem Fahrrad halbe Ewigkeiten für die kurze Realitätsflucht, von Bus und Bahn ganz zu schweigen, die seinerzeit noch ausgerechnet dann den Verkehr einstellten, wenn es gerade lustig wurde.

Ich war also eher selten im ehemaligen Lederwarenkontor, obwohl dort ungewöhnlich aufgeschlossene Türsteher mehr nach Auslastung im Innern als Reifegrad im Gesicht selektierten. Ein Dutzend Mal vielleicht fuhr ich nach Hammerbrook, allerdings nie freitags, als die homosexuelle Libertinage unter Fernsehern mit schwulen Pornos leicht in offene Promiskuität ausufern konnte. Jeder einzelne Besuch war für heranwachsende Kleinbürger wie mich, bei aller Distanz zur Kernzielgruppe, heilsam, ja erleuchtend.

Nirgends sonst ging es so ausgelassen, exzessiv und fröhlich zu. Stress schien die Ausnahme, Polizeipräsenz die Regel, ebenso wie exquisite Musik und punktgenaues Licht. Im unverputzten Fabrikambiente herrschte kein Chichi, aber viel Geschmack: graue Wände, wuchtige Boxen und schöne Menschen, auch weiblichen Geschlechts. Man flirtete sie allerdings besser nur perfekt vorbereitet an, da sie alle irrsinnig cool waren.

Sie wurden jedoch weniger mit den Jahren: die ausgelassenen, exzessiven, stressresistenten, angrabenswürdigen Leute. Aids, Drogen und Reeperbahn-Revival nahmen dem Front bald viel seines Zaubers. Als es 1997 dichtmachte, war die Avantgarde bereits Mainstream und der Technotross Richtung Kiez weitergezogen. Willi Prange und Phillip Clarde, die Gründer und Betreiber des Front, sind dem Vernehmen nach längst gestorben. Heute befindet sich unter dem Pflaster des wichtigsten Verkehrsknotenpunkts im Südosten der Stadt ein Club namens Shake. Er vermag nur wenige in eine Gegend zu ziehen, die schon vor 30 Jahren mausetot war, aber an einer Stelle noch zuckte.

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