Wahnsinnsstadt: Hamburgs Innensenatoren

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Mit Andy Grote wird sowas wie das geistig-moralische Gewissen der hanseatischen SPD zum Innensenator. Einer, nach dem man sich nach der nächsten Wahl im und vorm Rathaus (Foto: Mariano Mantel) womöglich noch zurücksehnen könnte.

Von Jan Freitag

Die Innenpolitik, man wagt es seit der rechtspopulistischen Koksnase Ronald B. Schill kaum zu schreiben, war mal liberal besetztes Terrain. Als die FDP Freiheit nicht vornehmlich zur Gewinnmaximierung ihrer Klientel genutzt hat, stellte sie drei Bundesminister in Folge, die sich als Verfechter von Bürger- statt Millionärsrechten sahen. Seit der Ära Kohl jedoch waren Innenpolitiker oft reaktionäre Haudraufs wie das altrechte NSDAP-Mitglied Zimmermann oder der neurechte Burschenschaftler Kanther. Da ist man schnell geneigt, aktuelle Amtsinhaber mit ihren rabiaten Vorgängern gleichzusetzen.

Auch Michael Neumann.

Das aber ist differenzierungsbedürftig. Die Amtszeit des alten Innensenators mag im öffentlichen Bewusstsein von bürokratischer Halsstarrigkeit (Lampedusa-Flüchtlinge), Kommunikationsdesastern (Olympia-Bewerbung) und konservativen Erbstücken (Gefahrenzone) geprägt sein. Und dass unter seiner Ägide „polizeiliche Informationskarteien“ angelegt wurden, in denen offenbar massenhaft unbescholtene Fußballfans auch ohne Tatverdacht als potenziell gewalttätig aktenkundig sind, trübt die Bilanz des Sozialdemokraten aus sozialer wie demokratischer Sicht nachhaltig. Dennoch fällt sie schon deshalb nicht durchweg negativ aus, weil zuletzt eher selten von ihm zu hören war. Für Innenpolitiker gilt das als ebenso wichtiges Gütekriterium wie das Sicherheitsempfinden der Leute. Von denen fühlt sich statistisch nur jeder 20. durch Kriminalität bedroht, wie die Zeit lobt. Unter Neumanns paranoidem CDU-Amtsvorgänger waren es dreimal so viele.

Konstruktives Krisenmanagement

Der Wert zieht seit den „Ereignissen von Köln“, die längs der Reeeperbahn herkunftsbergreifend seit jeher Wochenendalltag sind, nun wieder anziehen; doch in der populistisch vergifteten Flüchtlingsdebatte etwa attestieren Neumann selbst Kritiker des neoliberalen SPD-Kurses ein recht konstruktives Krisenmanagement. Wenn sich Hamburgs CDU, seit vier Jahren schwer auf Machtentzug, bei der nächsten Wahl mit AfD und FDP zum hartrechtsbürgerlichen Block vereinigt, dürfte sich der linke Mainstream daher durchaus nach einem Neumann zurücksehnen.

Mehr aber noch nach einem wie Andy Grote. Der neue Innensenator ist schließlich so etwas wie das geistig-moralische Gewissen der hanseatischen SPD, die im Bundesvergleich naturgemäß eher rechts der FDP steht als links von Gabriel. Schon als Lokalpolitiker im Bezirk Mitte, aber auch noch in staatstragenderer Rolle als dessen Amtsleiter, eilte ihm der Ruf Richtung Rathaus voraus, lieber Politik für Bewohner als Investoren zu machen. Im geldroten Hamburg gilt das eigentlich schon als Kommunismus. In seiner Wahlheimat St. Pauli hingegen, bei dessen FC er selbstredend Mitglied ist, hält man seinen Hang zu Präsenz und Empathie für ein verloren geglaubtes Stück Ethos, mit dem man sonst nicht weit kommt im Ellenbogenzirkus Politik.

Mit sozialdemokratischer Attitüde vom Kiez

Bleibt abzuwarten, wie weit es der Volljurist aus dem Teutoburger Wald, wo ein anderer Germane vor 2000 Jahren massenhaft Römer besiegt haben soll, darin mit seiner geradezu – Achtung! – sozialdemokratischen Attitüde bringt. Das hängt auch davon ab, ob der Bürgermeister weiterhin effektiv vermeidet, dass ihn einer, wenn schon an Wuchs, so doch wenigstens nicht an Strahlkraft überragt. Vielleicht hat Olaf Scholz dafür ja seine Finger in der Pleite vom HSV Hamburg, dessen einst aus Lübeck eingemeindetes Retortenteam exakt fünf Tage nach Grotes Amtsantritt seinen Rückzug aus der Handballbundesliga verkündete. Als Sportsenator kann man ihm das im Zweifel ja anlasten, falls er zu Höherem strebt. Dorthin also, wo an der Elbe leichter kommt, wer in Alsternähe residiert. Andy Grote lebt auf dem Kiez.

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