Fußballmilliarden & Agentengrotesken

0-GebrauchtwocheDie Gebrauchtwoche

6. – 12. Juni

Manchmal ist Stillstand ein echter Rückschritt. Gottschalk etwa zum wiederholten Male für seine altbackene Idee von tagesaktueller Talkshow mit „Mensch“ davor die Primetime frei zu räumen, hat nicht nur dem parallel laufenden Tatort allenfalls ein müdes Lächeln entlockt; es interessierte auch im RTL-Publikum kaum eine Sau – da konnte der ewig blonde, geistig längst ergraute Moderator noch so liederlich den Mörder im Ersten spoilern; selbst Grill den Henssler hatte bessere Quoten.

Manchmal ist Stillstand aber auch der bessere Fortschritt. Anstatt die Übertragung der Fußball-Bundesliga wie vor den Lizenzverhandlungen der DFL befürchtet im frei zugänglichen Programm abzuschaffen und durch einen Bayern-Kanal unter Aufsicht von Uli Hoeneß zu ersetzen, darf die Sportschau für einen erklecklichen Teil der 1,2 Milliarden pro Saison bis 2021 weiterhin Konserven des Premiumprodukts zeigen. Noch ein letztes Mal also, erstmals an der Seite von Eurosport, ausnahmsweise, dann wird der Spieltag endgültig auf sieben Kalendertage verteilt, wo dann siebenmal drei Stunden PR für den Rekordmeister eineinhalb Stunden Liveberichterstattung vom schäbigen Rest umrahmen, dessen Namen hier nicht mal der Erwähnung wert sind.

Manchmal ist aber selbst das herzlich egal. Wenn EM ist zum Beispiel. Dann interessiert sich selbst für den furiosen Auftritt von Barack Obama in Jimmy Fallons The Tonight Show oder den nervigen Informationsfluss der Hauptnachrichten keine Sau. Dann kann man die „besten Fußballsongs aller Zeiten“ zwar auf diesem digitalen Musiksender anhören, aber nach Erstausstrahlungen im Regelprogramm von Belang lange suchen.

Immerhin – es gibt sie.

545837.jpg-r_160_240-b_1_D6D6D6-f_jpg-q_x-xxyxxDie Frischwoche

13. – 19. Juni

Die Einsamkeit des Killers vor dem Schuss wäre so eine. Wobei die Anstoßzeit von Florian Mischa Böders Agentengroteske nach eigenem Buch am Donnerstag um 23.05 Uhr ein bisschen den Anschein erweckt, selbst Arte sende zur Fußball-Kernzeit liebere ollere Kamellen. Dabei kann die Geschichte um den tapsigen Kolnarnik, der nach acht Jahren Training im Auftrag der EU endlich Terroristen liquidieren soll, locker mit jedem Vorrundenspiel mithalten.

Benno Führmann spielt diesen Auftragskiller, dem beim ersten Einsatz Mavie Hörbiger als Betrügerin Rosa in die Quere kommt, mit viel Hingabe. Er kann das wunderbar, dieses einäugige Stirnrunzeln zwischen Moritz Bleibtreu und Colin Farrell, wenn alles, wirklich alles schiefgeht. Allerdings anders als hierzulande üblich ohne ulkige Musik, die jeden Kalauer mit plötternder Klarinette ankündigt. Und besonders schön: Die Arbeitssprache Englisch in der transnationalen Kommandozentrale wird nicht in fließendes Deutsch übersetzt, sondern untertitelt. Umso mehr könnten Rechtspopulisten der Marke AfD das Ganze also als Doku missverstehen und für ihren Kampf gegen die EU verwenden.

Dem widmet Arte kurz vor der britischen Volksbefragung morgen einen umfassenden Themenabend, der die ganze Realitätsverachtung des Brexit-Lagers klug auf den Punkt bringt und im Filmporträt Sir Winston (22.45 Uhr) mit dem europäischen Vordenker Churchill kontrastiert, der vor dem vulgärpatriotischen Springteufel Nigel Farage allen Ernstes als konservativ galt. Seltsame alte Welt. Ganz im Gegensatz zur Schönen neuen Welt, die Claus Kleber am Sonntag nach dem weltbewegenden Vorrundenspiel Rumänien vs. Albanien ins Wohnzimmer bringt.

Der frühere USA-Korrespondent hat nämlich sein heute-Studio kurz ins Silicon Valley verlassen. Nicht als erster, aber als Neugierigster, so scheint es. Denn die Reportage fördert wirklich Erstaunliches zutage über das innovativste Tal der Menschheitsgeschichte. Also unbedingt ansehen, auch wenn 23.30 Uhr nicht die perfekte Zeit für so harten Stoff sein mag!

Eine Dreiviertelstunde früher beginnt am Dienstag zuvor immerhin die 16. Ausgabe vom FilmDebüt im Ersten mit Johanns Nabers zweitem Langspielfilm Zeit der Kanibalen. Devid Striesow und Sebastian Blomberg verkörpern darin zwei Finanzjongleure auf der Jagd nach Rendite – bis ihnen in Gestalt von Katharina Schüttler ausgerechnet eine Frau Konkurrenz macht. Witzig. Und neu. Also die Ausnahme während der EM. Von daher gibt es nun Wiederholungen der Woche satt, in Schwarzweiß zum Beispiel Greta Gerwig als entzückend prekärer Retrohipster Frances Ha (Mittwoch, 20.15 Uhr, Arte) von 2012. Oder ein halbes Jahrhundert älter und zwei Stunden später auf Servus: Sidney Lumets legendären Zwölf Geschworenen, der regelmäßig in die Top Ten der besten Filme ever gewählt wird.

Noch zwei Altbestände in Farbe: Sophia Coppolas Lost in Translation (heute, 21.45 Uhr, Eins Plus) oder der erste Tatort mit Helmut Fischer als Kommissar Ludwig Lenz von 1981 namens Im Fadenkreuz, den der damalige Sender BR am Dienstag zur besten Sendezeit zeigt. Und auch der Dokumentartipp ist diesmal ein bisschen fiktional oder umgekehrt: Die Akte Kleist (Dienstag, 22.45 Uhr, RBB), eine spielerische Annäherung an den spektakulären Suizid des Dichters mit Alexander Beyer und Meret Becker als tragisches Liebespaar.

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