Claus Kleber: Anchorman & medium adopter

dataWir mussten da unbedingt hin

Claus Kleber (mit Astro Teller; Foto: Martin Ehlebenmag vielen als Moderator des heute-journal bekannt sein; gut 15 Jahre seiner Karriere war der Volljurist aus Reutlingen als Forscher und Korrespondent in den USA. Beste Voraussetzungen für eine Reportage aus dem Silicon Valley, die am 19. Juni um 23.30 Uhr im ZDF läuft. Ein Gespräch über späte Sendezeiten, Gefühle im Nachrichtenfach und ob die Schöne Neue Welt im kalifornischen Erfindertal auch hässliche Seiten hat.

Interview: Jan Freitag

freitagsmedien: Herr Kleber, obwohl Sie relativ frisch aus dem Silicon Valley zurückgekehrt sind, ist Ihre Rasur wie immer perfekt.

Claus Kleber: Danke, äh…

Es gab Kollegen, die nach einem Aufenthalt dort völlig zugewachsen heimgekehrt sind.

Ah (lacht), Sie meinen Kai Diekmann.

Der damalige Bild-Chef suchte auch Inspiration und Erkenntnis im Valley. Was unterscheidet Ihren Besuch von den vielen anderer Journalisten?

Wer von deutschen Verlagen dorthin gefahren ist, stellte sich oft die Frage, wie man bekannte Entwicklungen dort nutzen oder kopieren kann. Wir hingegen waren Suchende von etwas, das wir bei der Abfahrt gar nicht kannten. Am meisten hat uns dann überrascht, welch große Rolle persönliche Kontakte spielen. Fast alle Techniken moderner Kommunikation sind da entstanden, und doch muss man offenbar an diesem Ort mit seinen horrenden Mieten sein, um sie zu ersinnen. Bevor die Elektronik den Menschen außerhalb des Valleys erreicht, treffen darin leibhaftige Menschen aufeinander. Deshalb mussten auch wir als Reporter unbedingt hin, um all das zu finden, was wir noch nicht mal erahnt hatten.

Zum Beispiel?

Dass im Silicon Valley Dinge jenseits von Google, Facebook, Netflix Dinge entstehen, die man damit überhaupt nicht assoziiert: Gentechnologie, Life-Science-Medizin, Bionik.

Das Tal entwickelt sich also vom Smartphone zur Naturwissenschaft?

Genau. Die Endgeräte haben eine gewisse Reife erlangt; jetzt geht es darum, wie und in welchem Ausmaß sie unsere Gesellschaft verändern. Ich erinnere mich, vor Jahren als einer der ersten ein iPhone in der Hand gehalten zu haben. Eric Schmidt, als Google-Chef auch im Aufsichtsrat von Apple, hatte es mir damals gegeben und das brandneue Prinzip der App erklärt. Aber während viele mit Privatjets zur Präsentation gefahren sind und total aufgeregt waren, hab ich das Potenzial überhaupt nicht erkannt. Heute wird auf Grundlage solcher Geräte und ihrer Möglichkeiten alles Existierende grundlegend infrage gestellt. Exponential disruption – das ist die Regieanweisung aus dem Silicon Valley, dem sich niemand entziehen kann.

Haben Sie in den 30 Drehtagen vor Ort also wirklich neue Erkenntnisse gemacht oder doch nur ein bekanntes Phänomen neu bebildert?

Ersteres, unbedingt! Es hat mich zum Beispiel total überrascht, wie im Silicon Valley alles ineinander greift. Etwa, dass eine Arzneimittelfirma auf 120 Quadratmetern Laborfläche eine Milliarde Dollar wert werden kann, weil sie mithilfe der Apple-Watch so kontinuierlichen Zugriff auf die körperlichen Daten ihrer Träger hat, dass man damit zum Bruchteil der Kosten klassischer Forschung an einem Medikament gegen Parkinson arbeiten kann. Jeder im Valley ist interessiert daran, inwiefern die Entwicklungen anderer für eigene nutzbar sind und umgekehrt. Darin sehen manche ein Florenz des 21. Jahrhunderts, wo technische, kulturelle, wissenschaftliche, medizinische, künstlerische, gar politische Konstellationen auf engstem Raum entstehen.

Auch Sie scheinen vom Virus kalifornischer Zukunftseuphorie erfasst zu sein. Aber bräuchte der Titel Schöne neue Welt angesichts von Datensammelwut, Ressourcenvergeudung, Machtkonzentration nicht ein Fragezeichen?

Obwohl ich in meinem Alter etwas abgebrühter bin als jüngere Kollegen, haut mich in der Tat vieles schlichtweg um. Aber erst dass beides – die schlimmen Seiten im Sinne Aldous Huxleys und die guten im Sinne der Worte – so rasant an einem Platz entsteht, macht die Faszination aus. Als Reporter wollen wir das zunächst mal dokumentieren, stellen uns aber anders als viele amerikanische Kollegen die Frage, ob der Nutzen jeden Nebeneffekt wert ist. Vor einer Antwort steht jedoch immer das Begreifen. Und dabei will der Film helfen.

Was entspricht denn Ihrem Naturell: Fortschrittsgläubigkeit oder -skeptizismus?

Als Sohn eines Diplom-Ingenieurs und Ex-Schüler eines naturwissenschaftlichen Gymnasiums bin ich grundsätzlich aufgeschlossen. Als europäischer Journalist mit langjähriger Erfahrung in Amerika sehe ich aber durchaus, wo die Euphorie zu weit geht. Die Verachtung jeder Form von Regulierung, Aufsicht, gar staatlicher Kontrolle ist mir fremd. Und manche Innovation ist schlicht zu wichtig und heikel, um sie zwei, drei Firmen allein zu überlassen. Das widerstrebt dem Spirit vom Valley, aber finanzieller Erfolg gleich inhaltlicher Erfolg – das ist mir zu schlicht. Nicht jede Erfindung ist sinnvoll, nur weil sie gekauft wird.

Zählen Sie als Kunde zu den early adoptern, die Smartphone, Tablet, Handy und PC als erste haben mussten?

Ich bin so ein medium adopter, der zunächst abwartet, dass die Kinderkrankheiten neuer Geräte verschwinden. Mein iPhone-4, das auf deutschen Schulhöfen jedem Kind längst zu peinlich wäre, hab ich gerade erst gegen ein neues Modell getauscht. Ich springe nie als erster, aber halte mich auf dem Laufenden.

Ist das ein beruflicher oder privater Anspruch?

Ich interessiere mich auch persönlich für Technik, aber wie gesagt: es sind grad nicht so sehr die Endgeräte, die das Leben verändern, sondern der Umgang damit. Da ist es meine Aufgabe als Journalist, den Leuten zu zeigen, wie tief diese kleinen technischen Wunderwerke in unser aller Existenz eingreifen. Ich frage mich oft, was wir früher mit all der Zeit angefangen haben, die mit Surfen, Chatten, Katzenvideos draufgeht. Ein Teil der Antwortet lautet: lebenswerter gelebt.

Macht es Ihnen eigentlich Angst, dass besonders die multimedialen Entwicklungen aus dem Silicon Valley Ihren eigenen Berufsstand gefährden?

Da ist was dran. Zugleich hatte ich beruflich nie zuvor solche Möglichkeiten. Wenn ich über die Wasserversorgung im Nildelta berichten will, musste ich mir fast sämtliche Informationen ohne Gewähr, sie zu kriegen, dort unten holen. Heute kann ich vom Schreibtisch aus in wenigen Stunden bequem zusammentragen, wofür man früher Wochen brauchte. Deshalb wundere ich mich immer wieder, wie man früher ein tagesaktuelles Magazin wie das heute-journal hingekriegt hat. So gesehen leben wir im großartigsten Zeitalter des Journalismus. Und wenn wir nicht in der Lage sind, dafür ein Publikum zu interessieren, liegt es gewiss nicht an den neuen Verbreitungstechnologien.

Umso deprimierender muss es doch sein, dass die Angebotslage so gut ist, die Nachfrage aber zumindest im kostenpflichtigen Qualitätsjournalismus kontinuierlich sinkt?

Wissen Sie was? Verschwinden wird vor allem die lieblose Alltagsberichterstattung, wo Minister aus ihren Wagen steigen und erwartbare Antworten auf erwartbare Fragen geben. Das braucht niemand. Auf der anderen Seite haben gut recherchierte, auf allen Kanälen nutzbare Geschichten mittlerweile eine Verbreitung wie nie zuvor. Als die österreichische Regierung kürzlich vorschlug, Flüchtlinge auf einer Mittelmeerinsel zu internieren, hat mir meine Tochter, die Ende 20 ist und nichts mit aktuellen Nachrichten macht, einen Radiobeitrag zu so einer Insel vor der Küste Australiens verlinkt. Erschütternd, großartig, packend, von 2003! Der Chance, so etwas auch 13 Jahre später noch hören zu können, würde ich nachtrauern, öder Routine weniger.

Aber heißt das Zaubermittel im Kampf mit Instant-Entertainment nicht Emotion statt Information, geschweige denn Nutzwert?

Wenn Gefühl heißt, Langeweile zu durchbrechen, ja. Wenn es heißt, auf die Tränendrüse zu drücken, nein. Auch beim heute-journal geht es zunächst um journalistischen Inhalt, danach aber auch um Dramaturgie und Atmosphäre. Um diese Zeit möchte sich kein Zuschauer in die Volkshochschule setzen.

Welche Art von Informationskonsument sind Sie denn selbst?

Vor allem einer, der es nicht leiden kann, wenn Informationen, die fürs Thema wichtig sind, fehlen. Da ist viel Luft nach oben, die Schöne neue Welt hoffentlich nicht hat.

Was hat diese Reportage eigentlich mit Fußball zu tun?

Nichts, warum?

Nichts, genau. Läuft sie deshalb erst kurz vor Mitternacht?

Ach, direkt nach einem EM-Spiel ist kein schlechter Sendeplatz für ein Fußballpublikum, das keineswegs so tumb ist wie manche offenbar glauben. Sachformate werden da erfahrungsgemäß gut eingeschaltet. Aber selbst wenn nicht – der Film wird lange Beine haben. Nach der Erstausstrahlung läuft er auf 3sat, Phoenix, ZDFinfo und nicht zu vergessen: Im Netz, bestimmt auch auf Geräten aus dem Valley.

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