The Get Down: HipHop & Fernsehen
Posted: August 25, 2016 Filed under: 3 mittwochsporträt Leave a comment
Der Schampus des Rap
Die ersten Folgen von The Get Down, Buz Luhrmanns grandioser Gegenwartskulturgeschichte am Beispiel der Frühphase des Rap in New York, sind online. Die bislang teuerste Eigenproduktion von Netflix verspricht zwar nicht die Quintessenz dramaturgischen Erzählens, aber ein Feuerwerk der Zeichen und Codes in fantastischer Kostümierung.
Von Jan Freitag
Es gibt im Pop eine Regel, die eher früher als später jedes Aufbegehren, jede Kreativität, jeden Eigensinn darin zugrunde richtet: Verzeichnet ein Musikstil samt Lebensgefühl im Underground messbaren Erfolg, zieht ihn der Mainstream zügig ans Tageslicht und macht daraus eine Massenkultur. Das ist Blues und Jazz einst ebenso widerfahren wie Rock’n’Roll, Techno, Metal, ja selbst Punk. Doch nichts und niemandem erging es nachhaltiger so als: HipHop.
Nachdem die subkulturelle Ausdrucksform des Sprechgesangs im heruntergekommenen New York der späten Siebziger entstanden war, dauerte es schließlich kaum zehn Jahre, bis daraus jenes Multimegamilliardengeschäft erwachsen ist, das den Musikmarkt heute dominiert wie vor ihm nicht mal der weltumspannende Zwischenkriegsswing. Umso erstaunlicher ist es da, dass sich bisher noch kein TV-Sender ernsthaft seriell mit Rap auseinandergesetzt hat. Und umso logischer, dass diese Leerstelle von einem Streamingdienst gefüllt wird.
Netflix nämlich hat am Freitag „The Get Down“ online gestellt, und es ist kein Zufall, dass ausgerechnet die Nemesis des linearen Fernsehens die strafende Göttin schwarzer Musik fiktionalisiert. In den ersten der sieben 60-minütigen Folgen veranschaulicht das bislang teuerste Projekt des Internetsenders, wie sich HipHop 1977 aus den Ruinen von Sinatras Big Apple zum lukrativsten Sound aller Zeiten erhob. Als R’n’B und Funk zuvor in die weiße Mittelschichtsdisco entführt wurde, holte sich das afroamerikanische Ghetto seinen Besitz nämlich zurück, riss ihn Fetzen, fegte sozialkritische Wortkaskaden darüber, dass Ronald Reagan vor Sorge die Nationalgarde gen Bronx beordern wollte – fertig war ein Genre, das wenig mehr kostete als zwei Plattenspieler und die Wut der Protagonisten.
In der Serie sind das zwei New Yorker, die dem Schicksal dunkelhäutiger Ghettokids jener Tage – kriminell oder arbeitslos zu werden – dadurch entkommen, dass sie bei Grandmaster Flash in die Lehre gehen. Für Außenstehende: Geboren als Joseph Sadler, hat der unverwüstliche Gottvater des real existierenden Rap seinerzeit fast sämtliche DJ-Techniken erfunden, die dem HipHop das klangliche Gerüst lieferten. In der Serie spielt ihn Mamoudou Athie zwar eher als tragende Nebenrolle, grundiert mit ihr aber eine Musikserie, die dank der politischen Bedeutung des „CNN der Schwarzen“, wie Rap oft genannt wird, weniger Musical als Historytainment ist.
Und dafür, die Musikalität trotzdem nicht nur hörens-, sondern auch sehenswert zu machen, sorgt Buz Luhrmann. Wie schon mit seinen Kinoblockbustern „The Great Gatsby“ oder „Moulin Rouge“, erzählt der Showrunner auch in seiner ersten TV-Serie nicht nur die Geschichte eines Genres, sondern stattet sie zu einem detailversessenen Kostümfest aus, dass der Flatscreen glatt zur alten Röhre wird und das New York von heute zum Moloch der Siebziger. Rund zehn Jahre hat Luhrmann dafür in sein Herzensprojekt gesteckt, Netflix mehr als 1,3 Millionen Dollar pro Folge aus der Nase gezogen und jede einzelne – so scheint es nach den ersten – ist es wert.
Denn beraten unter anderem von Grandmaster Flash selbst, begnügt sich der Zehnteiler, dessen drei finale Folgen noch ausstehen, nicht mit dem Abriss geschichtlicher Fakten in opulentem Outfit; er sprüht nur so vor Interesse am Sujet. Dass dabei dauernd gerappt wird, bis der Schweiß vom Bildschirm tropft, macht das Ganze abseits all der Hintergründe sogar leicht verdaulich. Was für ein Spaß. Im Spiegel stand zwar, wie so oft bei Buz Luhrmann gleiche er einer Flasche Schampus, die man kräftig geschüttelt zu vielen Ohs und Ahs öffnet, danach sei aber nur noch ein schaler Rest zum Trinken vorhanden. Ist was dran. Kleine Korrektur allerdings: Hier werden Hunderte Flaschen geschüttelt. Dass am Boden nur wenig übrig bleibt, ist da durchaus verschmerzbar.