Funk: Altes ARZDF & Junges Angebot
Posted: October 12, 2016 Filed under: 3 mittwochsporträt Leave a comment
Funky Stunk-Funk
Seit gut einer Woche ist die öffentlich-rechtliche Netz-Alternative online und lässt sich ganz gut an. Damit beschleunigt Funk den Totentanz der Fernsehplatzhirsche, macht das aber ziemlich vielfältig.
Von Jan Freitag
„Funk“ ist ein doppeldeutiges Wort. Für angloamerikanisch, also popkulturell geschulte Ohren, reimt es sich auf „Punk“, klingt also unangepasst und verwegen. Für deutsche hingegen, also leitkulturell geprägte, reimt es sich auf „Stunk“, klingt also eher nach Volksempfänger und Verwaltung. Umso erstaunlicher ist, dass die Verantwortlichen „Funk“ beharrlich mit biederem Stunk-U aussprechen, seit ihr „Junges Angebot von ARD und ZDF“ für die Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen vorige Woche in Berlin vorgestellt wurde.
Abgesehen von der Gebührenfinanzierung erinnert darin schließlich kaum was an den Röhrenfernseherfunk von früher. Nach jahrelangem Streit um Inhalt und Ziele, nach parteipolitischer Einflussnahme und innermedialer Selbstbehauptung, nach Staatsvertragskorrekturen und zugehöriger Ratifizierung wandert das ersehnte Publikum der Platzhirsche unter 30 endgültig dorthin ab, wo es sich ohnehin die meiste Zeit medial aufhält: Ins Netz. Hier herrschen bekanntlich eigene Sitten, eigene Gebräuche, eigene Regeln, fast Gesetze. Und www.funk.net will sie befolgen. Alle.
Zunächst mal 40 Formate hat das Team um den juvenilen Geschäftsführer Florian Hager für Menschen produziert, deren Aufmerksamkeitsspanne vier Minuten selten übersteigt. Das unerlässliche factual entertainment ist darunter und Fiktion in Reihe. Dazu ein bisschen Mystery, etwas Anime, viele Clipshows, noch mehr Comedy und überhaupt reichlich Content, wie „Inhalt“ unter den ersehnten digital natives heißt, der so oder so ähnlich längst im Parallelfernsehen von Facebook bis Netflix läuft.
Hager, der bereits bei Arte das digitale Angebot aufbaute, will dennoch kein „erweitertes Youtube mit Filmen in Dauerschleife sein“. Schon sein Personal jedoch zeigt, dass daran vor allem der Begriff „erweitert“ stört. Den gediegenen Irrsinn des Bohemien Browser Balletts etwa orchestriert mit Christian Brandes ein Internetgewächs, das unterm Pseudonym Schlecky Silberstein zu den Stars der Blogosphäre zählt. Wenn Moritz Neumeier wöchentlich Auf einen Kaffee bittet, um mit schnodderigem Küstenslang die Welt zu erklären, tut der 28-jährige Poetry-Slammer nichts anderes als zuvor, nur mit GEZ-Mitteln. Hinter der Gaming-Show 1080NerdScope steckt kein Geringerer als der Click-Milliardär LeFloid. Und Kathrin Frickes dadaistisch, aber versiert animierte SciFi-Parodie StarStarSpace hatte nach 24 Funk-Stunden auch deshalb stolze 110.000 Zugriffe, weil sie unterm Online-Namen Coldmirror schon länger zur Youtube-Elite zählt.
Dieses Abschöpfen binärer Ressourcen fürs analoge Parallelprogramm mag demnach berechenbar wirken; vor allem aber ist es vorwiegend originell. Böhmermann-Autor Florentin Will zum Beispiel kommentiert mit seiner Kollegin Katjana Gerz den Irrsinn der Arbeitssphäre in Gute Arbeit Originals lustiger als all die Witzfiguren auf RTL zusammen. Mit Nemi El-Hassan, Friedemann Karig und Ronja von Rönne betätigen sich Journalisten frischer Prägung als meinungsstarke Jäger & Sammler in den Abgründen unserer Gesellschaft, die sich dabei zum Auftakt rechten Rappern stellen, ohne mit dem Zeigefinger zu wedeln.
Gut, wenn Fynn Kliemann in seiner DIY-Sause Kliemanssland Trecker tunt und auch sonst Klimawandel mal Klimawandel sein lässt, erinnert das an die Testosteronduschen von DMAX. Fröhlich-debiler Blödsinn wie dieser steht allerdings im Schatten ehrgeiziger Formate wie Wishlist. Marc Schießers Mystery-Epos um eine geheimnisvolle App, die ab 28. Oktober mit fatalen Nebenwirkungen Wünsche erfüllt, vereint die Lockerheit neuer durchaus unterhaltsam mit der Professionalität alter Medien. Fragt sich nur, ob erstere den letzteren damit nicht endgültig das Grab schaufeln – zumal mit ZDFkultur der letzte Sender geopfert wurde, in dem das Fernsehen noch Musik abseits von Volksschlager und Klassik zeigte. Florian Hager mag noch so beteuern, statt „schneller Aufmerksamkeit nachhaltige Reichweite“ anzupeilen. Dass Coldmirrors Beitrag seit Donnerstag 216.000 Clicks erzielt hat, dürfte er jedenfalls zufriedener registrieren als die üblichen Topquoten für Tatort & Pilcher dazwischen. Doch mit jedem Zugriff werden die User nicht nur nachhaltig im Netz erreicht, sondern womöglich noch nachhaltiger vom linearen Fernsehen entwöhnt.
Online frisst offline? Hager glaubt nicht, „dass ein Medium das andere ablöst“. Weil die Generation Touchscreen fürs alte Sofagarnitur-TV ohnehin verloren sei, will er sie dennoch „mit anspruchsvollen öffentlich-rechtlichen Angeboten auf den Plattformen versorgen, auf denen sie sich aufhalten.“ Wenn Streamingdienste und Amazon demnächst die televisionäre Weltherrschaft übernehmen, könnte dieser hoffnungsfrohe Fatalismus als 45 Millionen Euro teure Dolchstoßlegende in die ARZDF-Annalen eingehen. Andererseits: ist es nicht eher logisch als hilflos, wenn der Nachwuchs in die virtuelle Wolke gelockt wird? Zu oft hat sich das öffentlich-rechtliche Konstrukt als reformresistent erwiesen, und wenn es doch mal jung sein wollte, endete vom piefigen Erfurter Tatort bis zum geriatrischen ZDFneo alles verlässlich im Desaster. Daran kann auch Jan Böhmermann nichts ändern, den die Jugend der Welt ohnehin eher online sieht.
So gesehen ist Funk exakt jenes Angebot, das die Platzhirsche verdienen. Wenn Pauline Bossdorf darin gesundes Essen kommentiert, Kostas Kind das Erwachsenwerden, Kristina Weitkamp alles rund um Sex oder Fabian Nolte den Rest, ist das trotzdem nicht viel mehr als ein um US-Serien wie Fargo und einen Second Screen zum Tatort erweitertes Youtube. Aber wenigstens eins, das von alten TV-Kennern kuratiert wird: alles andere als Punk, aber zuweilen ziemlich funky.