Yalta Club.Brandon Can’t Dance.Cherry Glazerr
Posted: January 20, 2017 | Author: Jan Freitag | Filed under: 5 freitagsmusik |Leave a comment
Yalta Club
Und jetzt? Das alte Jahr war in nahezu jeder Hinsicht ein Desaster, sein Nachfolger ist längst auf dem bestem Wege dorthin, am Tag von Donald Trumps offiziellem Amtsantritt regiert ein Größenwahn, der alle Humanität und Wahrheit kraftstrotzend verachtet. Stellt sich die Frage, was ihm wahrheitsliebende Humanisten noch entgegenzusetzen haben – Angst, Wut, Zynismus? Yalta Club empfiehlt da Folgendes: einen eigenen Größenwahn, der die kraftstrotzende Verachtung mit optimistischer Selbstüberschätzung fröhlich zurückverachtet. Das zweite Album der französisch-deutschen Popband heißt daher Hybris und lacht kaputt, was sie kaputt zu machen droht.
Schon das Auftaktstück, komponiert angeblich nur wenige Stunden nach dem Anschlag aufs Pariser Satire-Magazin Charlie Hebdo, fragt scheinbar bedrückt „why can’t we both / love each other“, ummantelt die trübsinnige Feststellung allerdings musikalisch mit so gut gelaunten Loops und Steeldrums, dass daraus rasch Hoffnung erwächst. Und die verpackt das Sextett fast alle elf Stücke in den eskapistischen Sound der Achtziger – nur fetter produziert, weniger pathetisch, ohne den Sarkasmus des Vorgängers oder überflüssige Orgelpeitschen, dafür voller Liebe zum elektronischen Detail und der Botschaft, es besser zu machen als die Größenwahnsinnigen des Hasses. Hybris heißt schließlich auch Übermut. Und davon kann ein wenig mehr mitunter nicht schaden.
Yalta Club – Hybris (Radicalis)
Brandon Can’t Dance
Vielleicht lautet die Botschaft 2017 ja generell: Weitermachen! Spaß haben! Jetzt erst recht! Vielleicht ist der emotionale Dauerwinter 2017 demnach die richtige Zeit, um einen Leguan mit Sonnenbrille und Energydrink im Puppenstubenliegestuhl aufs Plattencover zu setzen und die Orgeln dazu nicht eskapistisch, sondern hoffnungsfroh durch entfesselten Fuzzpop zu jagen. So jedenfalls tut es die ostamerikanische Band Brandon Cant’t Dance auf ihrem grandiosen Debütalbum Graveyard Of Good Times. Wenn ihr namensgebender Kopf Brandon Ayres dazu in kratzigem Indie-Falsett statt Trübsinn zu blasen „Dance with somebody / smoke and drive around“ empfiehlt, sind alle Sorgen Ruck Zuck weggeblasen.
Dass dieses Wegblasen allerdings nicht wohlfeil nach seifigem Radiogedudel oder Schlimmerem klingt, dafür sorgen zum Glück schon die sperrig schönen Arrangements, deren Sound gelegentlich daherkommt wie abgetauchte Zackengitarren: blubbernd, fließend, verzerrt, tonal meistens eher dem Moll zugewandt und dabei verschroben wie einst Talk Talk. Dann aber auch wieder voll sprühender Lebensfreude, als stünden Vampire Weekend und Retro Stefson Pate. Die gute Zeit ist längst noch nicht begraben.
Brandon Can’t Dance – Graveyard Of Good Times (Lucky Number)
Cherry Blazerr
Bisweilen nervig an der mitunter nicht so guten Zeit von heute ist weniger das zwanghafte Recycling gebrauchter Waren, als dessen lieblose Nachverwertung zu kommerziellen Zwecken. Wenn Clementine Creevy in ihrer Ode an Trash People wie sie selbst mit fragiler Stimme “My room smells like an ashtray” krächzt und dazu grob verzerrt die Psychobeat-Gitarre flattern lässt, ward auch das schon tausendmal gehört. Begleitet vom multiinstrumentellen Tausendsassa Sasami Ashworth und ihrer beider Drummer Tabor Allen wird bei der kaum zwanzigjährigen Kalifornierin daraus jedoch kein abgeschmacktes Retrogeschepper im Sonic-Youth-Mantel, sondern ausgesprochen feinsinniger Alternative-Rock.
Bereits nach dem zweiten Album als neuer crazy L.A.-Sound gelabelt, drehen Cherry Glazerr auf ihrem neuen mit dem bandnamentauglich fantastischen Titel Apocalipstick nochmals wilder am Regler psychedelischer Schwermut. Weil das Produzenten-Duo Joe Chicarelli (White Stripes, The Strokes) und Carlos de la Garza (Bleached, M83) das Ganze aber zusätzlich mit wilden Synths und Soundfragmenten wie eingeprengselten Waldhörnern aufgemischt hat, klingt die genretypische Melancholie hinreißend aufgekratzt und lebensfroh – als würden Tegan and Sara mit The Cramps und Elvis Hitler Absinth saufen. Oder so ähnlich. Und wer mal sehen will, wie innig eine Liebesbeziehung mit der eigenen Gitarre sein kann: bitte dringend das Video zu Nuclear Bomb ansehen! Viel Spaß.
Cherry Glazerr – Apocalipstick (Secretly Canadian)