Puder, Feist, Pinegrove

Puder

Der Jazz ist ein erbitterter Erbfeind des grassierenden Jugendwahns. Wer musikalisch spät einsteigt oder früh aussteigt, kann sich dem Sound ergrauter Schläfen ebenso wenig entziehen wie dem Altern an sich. Die Konzeptkünstlerin Catharina Boutari ist gewissermaßen beides: spät eingestiegen, früh ausgestiegen und jetzt wieder zugestiegen auf den D-Zug altersweiser Musik, den sie vor fünf Jahren mit ihrem Debütalbum bestiegen, aber dann erst mal wieder verlassen hatte. Mit irgendwas über 40 ist die Hamburgerin unterm Projektnamen Puder nun wieder an Bord und macht, genau – elaborierten Pop mit Jazz- und Soulelementen. Nur: er klingt irgendwie weder jazzig noch poppig, sondern angenehm ortslos. Was man der Platte unbedingt zugute halten muss.

Denn Session Tapes 1+2 mag zunächst mal ein eher orchestraleres Werk reifer Studio-Arrangements sein, die von exzellenten Gastmusikern mit reichlich Hintergrundgesang perfektioniert wird. Darüber aber schwebt stets Puders exzellentes Songwriting, das mit Gitarre, Bass, Samples, Moogs, Keyboards, gar Drones und ein paar putzigen Fieldrecordings zu wahrhaft erwachsenem Deutschpop anschwillt. Einer, der nicht nach Literaturcafé duftet wie Element of Crime und zum Glück auch nicht nach der entmotteten Motorradlederjacke von Jule Neigel, sondern sehr eigensinnig, erzählerisch, reflektierend und kreativ. Der Jazz darin wirkt daher nicht alt, sondern frisch. Ziemlich selten sowas.

Puder – Session Tapes 1+2 (Pussy Empire Recordings)

Feist

So wie Leslie Feist, besser bekannt unter ihrem Nachnamen, der längst zum Markenzeichen geworden ist. Die gelernte Punkrockerin aus Kanada macht schließlich eine Art Alterntive Pop, der seinesgleichen sucht, seit die große Zeit hinreißend verituoser Singer/Songwriterinnen der Neunzigerjahre vorbei ist. Leslie Feist hat 1999 ihr erstes Album produziert, als die Ani Di Francos oder Heather Novas ihren Zenit bereits überschritten hatten, aus deren Erbe allerdings einen Sound kreiert, der wie kaum einer sonst melodramatisch und zugleich lebensbejahend die Welt der Männer durch die Augen der Frauen besingt. The Reminder und mehr noch Metals haben da wirklich Neuland betreten.

Und jetzt kommt nach sechs Jahren Pause das neue Studioalbum und schafft beides: das Bestehende zu konservieren und gleichsam auf höhere Ebenen zu hieven. Der akustisch zubereitete Gitarrenfolkpop auf Pleasure nämlich klingt wie eh und je so ergreifend, dass man sich mit der Sängerin sofort ins nächste Café von Orlando oder Brooklyn setzen und drei Tage durchquatschen möchte. Zugleich aber steckt darin ein sprühender Aberwitz mit Hang zum Regelbruch, dass das diskursiv emotionale A Man Is Not His Song am Ende von einem Thrash-Metal-Riff zersägt wird und auch sonst immer mal wieder der Punk aus dem Präkambrium der 41-Jährigen durchbricht. Wenn kluger Independent mit Gefühl einen Namen verdient, dann diesen: Feist.

Feist – Pleasures (Universal)

Pinegrove

Männer machen manchmal aber auch echt gute Musik. Musik, die endlich mal überhaupt nicht nach dicken Eiern und sonstwie maskulin übersteigertem Selbstwertgefühl klingen oder was die Herren der Branche halt so verunstaltet in ihrer Art der Performance. Pinegrove zum Beispiel, das amerikanisches Indie-Projekt um die beiden Stammmitglieder Even Stephens Hall und seinen Drummer Zack Levine, die schon als Kinder daheim in Ohio musiziert haben sollen. Voriges Jahr haben sie in neuer Besetzung ihr Debütalbum Cardinals aufgenommen, von dem hierzulande nur ein verschwindend kleiner Menschenkreis Wind bekommen hat. Jetzt bündeln sie Songs von damals mit bislang unbekanntem Zeugs zur Compilation Everything So Far. Und das hätte Leslie Feist kaum besser hingekriegt.

Denn wie die großen Anti-Kerle des Emorock vor zwei Jahrzehnten, Hootie and the Blowfish etwa oder The Watchmen, wirkt die schepperig schöne, flächig aufgeblähte, dabei feingliedrig fuzzige Americana darauf wie ein permanentes Statement zur Verlorenheit des Männlichen in der Leistungsgesellschaft mit ihrem Anspruch an alle, alles zu sein und zwar perfekt. Nichts daran ist je mackerhaft, alles daran ist bei aller DIY-Attitüde elegant und glaubhaft. Indierock kann vieles sein: laut und derb und krass und selbstverliebt. Dieser hier ist vor allem: unglaublich eigensinnig und gut.

Pinegrove – Everything So Far (Rund For Cover Records)

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