Fazerdaze, Penguin Café, Blondie

Fazerdaze

Videos sind Videos sind Videos sind zunächst mal nur visuelle Appetizer des zugehörigen Sounds und reichen höchstens im Ausnahmefall ein wenig darüber hinaus oder schaffen es, eine Metaebene zu eröffnen. Mit dem Begleitfilmchen zu ihrem Stück A Little Uneasy schafft Amelia Murray allerdings genau dies: Ein musikalisch-ästhetisches Statement, das ihr Debütalbum ringsum in 3:36 Minuten vollumfänglich auf den Punkt bringt. Mit ihrem Longboard durchfährt die junge Neuseeländerin ein Industriegebiet ihrer Heimat, das dessen sorgsam aufgebauten Klischee vom exotischen Fernreiseziel komplett widerspricht. Zwischen Beton und Palmen ist es zwar hell und luftig, zugleich aber bewölkt und daher leicht trist.

Unterm Alter Ego Fazerdaze legt die Alleinunterhalterin jedoch einen fröhlich flatternden Gitarrenpop über die Ödnis, dass es darin sonnig wird, ohne gleich zu brennen. Die Stimme eher nüchtern beigemengt als krampfhaft überzeugend, zerpickt Amelia Murrays Gitarre zehn Stücke lang unsagbar lässig die Tristesse des zivilisierten Alltags und macht daraus mit Orgel, Bass und Samples kleine Feierabendrevolten gegen den ewigen Selbstoptimierungsstress. Manchmal, ganz selten, ist ihr dabei zum Schreien zumute. Aber nur, um uns aus dem Wachkoma an die frische Luft zu holen, und sei es auf nacktem Asphalt.

Fazerdaze – Morningside (Grönland)

Penguin Café

Von einer Legende abzustammen, kann den Mensch voranbringen ebenso wie blockieren, weshalb Nachkommen genau abwägen sollten, das Werk dieser Legende fortzuführen oder abzubrechen. Arthur Jeffes hat sich entschieden, ersteres zu tun, ziemlich unzweideutig sogar, und damit Bemerkenswertes erschaffen: Sein Soundprojekt Penguin Café verfeinert die semi-akustische Kammermusik vom gleichnamigen Orchestra seines Vaters Simon nicht nur, das den New Age Folk in den Siebziger- und Achtzigerjahren nicht weniger als revolutioniert hat. Besser noch: Der Brite hat ihn für die Nuller- und Zehnerjahre geradezu optimiert.

Auf The Imperfekt Sea erschafft Sohn Arthur eine Art analogen Ambientpop, der in hinreißender Weise klingt, als würden all die Streicher, Drums und Pianosequenzen darin digital geloopt. Dabei mögen sich die neun teils ewig breit gefächerten Tracks an elektronischer Tanzmusik orientieren – alles ist strikt instrumentell und klingt daher mal clubtaugtlich vielschichtig nach dem Mash-up eines Chapelier Fou, mal versonnen klassisch wie einst Keith Jarrett. Beim Hören taucht man daher tatsächlich in jene unvollkommene See, die der Titel verheißt: musikalisch überaus virtuos, doch dabei voller Leerstellen, die der Geist allein mit Leben füllt. Toll!

Penguin Café – The Imperfect Sea (Erased Tapes)

Hype der Woche

Blondie

Ach Debbie, ist dir eigentlich bewusst, was du in deiner Blütezeit mit der schlummernden Libido eines Schulkinds angestellt hast, leicht verrucht, ziemlich tough und trotzdem sexy wie du warst? Nein? Nichts! Als du Ende der Siebziger Denis oder Heart of Glass gesungen und 1980 Call Me aus dem Radio gebrüllt hast, warst du aller Visualität nur das Gesicht hinter jener Musik, die damals halt gehört wurde. Dass dir die restliche Weltbevölkerung damals fast geschlossen hinterher geschmachtet hat, war mir und meinesgleichen gar nicht bewusst. Umso schöner, dass du fast 40 Jahre später immer noch da bist und deine Musik für mich nach wie vor weniger mit deiner Optik als, genau: mit der Musik zu tun hat. Auf deinem elften Studioalbum klingt die zwar so, wie sie bei einer Künstlerin über 70 halt klingt – bisschen betulich, bisschen bemüht, bisschen nostalgisch. Aber Debbie, das ist gut so. Denn mit den Blondie-Veteranen Chris Stein an der Gitarre und Drummer Clem Burke zur Seite erinnert Pollinator (BMG) mehr als die drei Platten seit der Reunion 1997 daran, dass auch Pop mal von innen kam statt aus dem Konzeptomat für Chartserfolge. Gewiss, einige der elf Stücke versuchen sich erfolglos an deiner Modernisierung deines Glampunks. Aber Doom or Destiny zeigt schon zum Auftakt, dass du etwas hast, das jüngeren Kollegen oft fehlt: Spaß. Energie. Leidenschaft. Ach ja – und super siehst du auch noch aus.

Eine der Reviews ist zuvor bei Zeit-Online erschienen
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