Gegenwartszukunft & Kommissar Goster

Die Gebrauchtwoche

8. – 14. Mai

Schwer zu sagen, bei welcher digitalen Ziffer unserer Gegenwartszukunft wir uns zurzeit befinden – 4.0? 15.6? 172.X? Der Wert ändert sich ja längst fast wöchentlich… Die ARD indes hat sich zur Interaktivität 3.0 für Zuschauer 0.3 entschieden: Seit ein paar Tagen können Fans unter www.lindenstrasse.de im Rahmen der Themenwoche Woran glaubst du? abstimmen, ob sich die TV-Tochter von Momo und Iffi konfirmieren lässt. Angesichts der globalen Relevanz dieser Debatte dürfte die Beteiligung oberhalb etwaiger Präsidentenswahlen liegen, die zeitgleich zum Start des Votings das Mediengeschehen dominiert haben.

Wenn das älteste Serienformat des deutschen Fernsehens diskutiert wird, heißt das allerdings auch: Bis auf Reinhold Beckmanns Abschied von der Sportschau, die Meldung einer Fortsetzung vom Denver-Clan und dem deutschen Desaster beim ESC nicht allzu viel los gerade. Was man allerdings ruhig mal als gute Nachricht auffassen darf. Ebenso wie die Nachricht, dass Pro Sieben, genauer: dessen Videoportal Maxdome die 2. Staffel von Jerks in Auftrag gegeben hat. Trotz besserer Kritiken als Abrufzahlen und Einschaltquoten bei der Zweitverwertung im Regelprogramm dürfen Christian Ulmen und Fahri Yardim ab Sommer wieder die Verzögerung ihrer Adoleszenz inszenieren und damit mal peinliche, mal grandiose TV-Momente schaffen.

Ob das ZDF die Übertragungsrechte der Champions League behält, bleibt derweil offen. Da die Mittel begrenzt sind, scheint es angesichts des irren Bieterwahns privater Konkurrenten aber wahrscheinlich, dass die Königsklasse nur noch im Pay-TV gezeigt wird. Kann man beklagen, kann man bejubeln, kann man auch ignorieren und zum Tagesgeschäft übergehen, also was die öffentlich-rechtlichen Gebührengeldempfänger anders als UEFA-Fußball per Staatsvertrag zu liefern haben: anspruchsvolle, abwechslungsreiche, außergewöhnliche Fiktion.

Nicht nur zu der findet ja schon seit Jahren eine teils hitzig geführte die Debatte darüber statt, ob das Gegenteil von alledem nicht längst alle guten Sendeplätze blockiert. Ein Beispiel vom Dienstag allerdings zeigt, dass das gelegentlich angebracht ist – obwohl es sich dabei um einen ARD-Krimi ohne Sexorgien oder Gewaltexzesse handelt.

Die Frischwoche

15. – 21. Mai

Goster heißt das gute Stück und ist nach den Tagesthemen um 23 Uhr sehr gut aufgehoben. Die Titelrolle spielt ein Schweizer namens Bruno Cathomas, der so ziemlich die absurdeste Ausgabe eines Kommissars ist, den es im mordsüchtigen Fernsehland seit Inspektor Kottan gegeben hat.

Er spricht mit sich selbst und gern in Reimen. Er sieht aus wie ein Teddy, der die Frauen betört. Er tanzt minutenlang ungeschnitten durchs Haus oder erschießt den Mond. Didi Danquart hat Markus Buschs Buchs über eine selbsttötende Waffe mit Splitscreens und Comicsequenzen so irre über-, unter-, ineinander geschachtelt, dass Krimi ohne sozialpolitischen Background zwar nie bekiffter war, aber auch selten faszinierender. Das teilt der Film mit einer BR-Serie, die knapp drei Stunden früher startet. Sie spielt im fiktiven Hindafing, das Maximilian Brückner als drogensüchtiger Bürgermeister am Rande des Wahnsinns regiert, bis die düstere Alpenatmosphäre Stück für Stück implodiert. Derart bissigen Aberwitz liefert sonst allenfalls David Schalko aus Österreich, weshalb die drei Doppelfolgen auch nicht im Ersten, sondern Dritten laufen.

Dorthin gehört naturgemäß Daniel Harrich, der bereits den Waffenhandel und das Oktoberfest-Attentat zu grandiosen Thrillern verarbeitet hat. Am ARD-Mittwoch widmet sich der Fiktionalreporter gefälschten Medikamenten, mit denen Pharmakonzerne in der Dritten Welt Menschenleben für den Profit riskieren. Leider hat Gift mit Heiner Lauterbach als (anfangs) skrupelloser Unternehmer und Julia Koschitz als (durchweg) gewissenhafte Interpol-Ermittlerin nicht die gleiche dramaturgische Wucht; sehenswert ist es trotzdem. Und passt ein bisschen zu Die Viagra-Tagebücher, mit denen 3sat am Montag  um 22.25 Uhr 90 Minuten der kommerziell erfolgreichen Arznei auf den Grund geht.

Zwei bemerkenswerte Neustarts werden ab Freitag gestreamt: Die Real-Crime-Doku The Keepers, in der Netflix dem mysteriösen Mord an einer Nonne im katholischen Baltimore nachspürt. Und auf Sky beginnt David Lynchs Fortsetzung von Twin Peaks, worüber man leider nichts berichten kann, weil der Sender den Inhalt unter Verschluss hält als sei es der Zugangscode des US-Atomwaffenarsenals. So verschlossen ist RTL natürlich nicht und zeigt uns am Mittwoch (21.35 Uhr) Stars, Storys & Geheimnisse rund aus 25 Jahren GZSZ. Futter für echte Fans. Denen von Franz Liszt über The Beatles bis Justin Bieber setzt der Arte-Film Mit dem Feuer der Begierde am Freitag um 21.45 Uhr ein dokumentarisches Denkmal.

Und vor den Wiederholungen der Woche noch ein besonderer Tipp: Wie immer um diese Jahreszeit zeigt 3sat Dienstag und Mittwoch gegen Mitternacht einige Beispiele der Kurzfilmtage Oberhausen. In voller Länge zeigt 3sat am Donnerstag (23.55 Uhr) May Spils‘ schwarzweißes Schwabing-Porträt Zur Sache Schätzchen mit ihrem Mann Werner Enke von 1967. In Farbe gibt es am Mittwoch auf Kabel1 ein Wiedersehen mit Ridley Scotts Alien (22.45 Uhr). Und den Alt-Tatort gibt’s beim NDR, der die Kommissare Stoever und Brockmöller am Samstag um 20.15 Uhr im 310. Fall namens Tödliche Freundschaft von 1995 zum Leben erweckt.

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