2 Bier – 1 Platte
Posted: June 6, 2017 | Author: Jan Freitag | Filed under: 2 dienstagsmarthe |Leave a comment
Fayzen & Torch
Viele nennen Fayzeneinen Newcomer. Das ist falsch. Das gerade erschienene Gerne allein ist zwar erst sein zweites Album, Musik macht er aber schon seit seiner frühen Jugend. Da hat er einfach mit seiner Crew auf der Straße gerappt. Seine ersten 20.000 Mixtapes hat er dann auch genau da verkauft – in der Fußgängerzone. In seinem jetzigen Singer/Songwriter-Spoken-Word-Superpop hört man diese Wurzeln raus. Zum Glück! Denn seine Vorbilder waren die ganz Großen (und großartigen), wie er bei erkältungsbedingtem Ingwertee und Bier (für die Kolumnistin) erzählt.
Interview: Marthe Ruddat
freitagsmedien: Wie möchtest Du eigentlich angesprochen werden? Fayzen? Farsad?
Fayzen: Ich finde beide Namen cool. Die Leute nennen mich Farsad, Farsi, Fayzi, Fayzen – alles schon fast gleich oft. In so einem Interview ist es vielleicht eher irritierend, wenn du mich plötzlich Farsad nennst.
Dann bleiben wir doch einfach bei Fayzen. Es soll heute um deine Lieblingsplatte gehen. Welche hast du dir ausgesucht?
Es ist echt schwer sich für die eine Platte zu entscheiden. Aber ich werde Blauer Samt von Torch nehmen, denke ich.
Blauer Samt erschien 2000 als erstes und bislang einziges Torch-Album. Der 23-Tracks-Schinken gilt als eines der einflussreichsten deutschen Rap-Alben. Wer wissen will, wovon sich Torch bei der Entstehung seines Albums hat inspirieren lassen, dem sei der Mix The Torch With The Blue Flame empfohlen.
Warum?
Es war einfach das erste HipHop-Album, das mich voll erwischt hat und für mich bis heute viel mehr als nur ein Lebensgefühl verkörpert. Im Hip Hop geht es jaoft um einen gewissen Lifestyle. Ob das jetzt in Gangster-Rhymes oder Partytracks ist, es wird ein bestimmtes Gefühl verkauft. Für mich ist Blauer Samt das erste deutschsprachige Rap-Album gewesen, das dieses Verkaufen eines Gefühls durch richtig viel Persönlichkeit ersetzt. Es ist einfach so persönlich, dass man oft auch gar nicht genau versteht worüber er eigentlich gerade rappt. Und Torch gibt auch einen Fick drauf, das zu erklären.
Was hast Du denn so rausgehört?
Es geht viel um Liebe, aber auch um Politik. Das hat mich auch total geflasht. Ich habe es vorher noch nie erlebt, dass jemand es so unfassbar gut hinbekommt, so verschiedene Themen auf geile Art und Weise zu vereinen.
Die Themen sind eigentlich nicht besonders ungewöhnlich.
Nein, aber die Art, wie er beides so komplett persönlich und detailliert bearbeitet ist ungewöhnlich. Das hat es so vorher einfach noch nicht gegeben. Und obwohl oder vielleicht auch weil es so persönlich und speziell ist, kann man das hören und sich in die Geschichte reinversetzen. Ich meine, ich war damals 17 oder so. Ich habe gedacht, keiner versteht mich und alle anderen sind dumm, ich war total anti. Wie man halt so tickt mit 17. Und dann habe ich Torch gehört und gedacht: Krass, damit kann ich mich identifizieren! Vielleicht sind die Geschichten, die wir Menschen erleben, doch gar nicht so unterschiedlich.
Mit HipHop hat es bei dir ja angefangen. Kanntest du Torch deshalb schon vor Blauer Samt?
Wir haben ganz am Anfang ja nur gefreestyled. Wir waren der Meinung, dass wir mit Freestyle erstmal durch eine Schule gehen müssen, unseren Style finden und schleifen. Wir waren da wirklich sehr radikal. Es gab reale und wacke HipHopper. Torch war auch immer einer, der die „echte“ HipHop-Fahne hochgehalten hat, für uns auf jeden Fall. Er war auch durchs freestylen bekannt und für uns echt so eine Art Gott oder Meister.
Und dann kam das Album…
Und dann kam das Album raus und es war so: Boom! Krass! Allein das Intro ist ja schon total heftig, es heißt Kapitel 29.
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Torch – Kapitel 29
“Ich spiele nicht. Ich bin das. Verstehen Sie? Und deswegen bin ich nichts!”
Kapitel 29. gewidmet an einen guten Freund
Frederik Hahn, wo immer du auch bist, dieser Track ist für dich…
Wie löse ich die Vergangenheit von der Gegenwart?
Vergesst die Zukunft,
das ist die Zeit in der ihr eben wart
Auf jeden Fall ist das Leben hart,
doch es wird erträglicher
Wenn man den Geist massiert,
deswegen les’ ich ja
Wenig zwar, aber die Quellen der Inspiration
Sind ausschlaggebend für meine Motivation.
Ich banne Phasen meines Lebens auf einen Beat,
Lass Musik dorthin gehen wohin mein Geist mich zieht
Schalt die Lichter auf mich alle Scheinwerfer an
Und lasst mich reden,
hier kommen 3 Minuten aus meinem Leben
Dürrer Junge, lockiges Haar
viel zu viel Energie
wusste nicht wie die Gesellschaft war
Es war nicht immer leicht,
welchen Weg soll ich gehen
Lauf ich links, lauf ich rechts, oder bleib ich stehen
Freunde waren auf Heroin
ich blieb meiner Droge treu
denn Texte schreiben befreit,
da bleibt jeder Trip wie neu,
im Leben bleibt nichts, aber auch nichts bestehen,
denn am Tag an dem wir gehen werden wir nichts mit uns nehmen
alles vergeht, alles verweht irgendwann hab ich erkannt
dass sich die Erde ohne mich noch weiterdreht
es weitergeht, seitdem sehe ich das Leben in nem anderen Licht
nenn es philosophisch, religiös, ich weiß es nicht
bring Manaras Skizzen und Eschers Zeichnungen
in Verbindungen mit musikalischen Gleichungen,
lausch dem Gesang von Farben und der Poesie von Pflanzen.
Schau wie die Schallwellen tanzen
haitianischer Reis, rote Bohnen und karibisches Huhn
inspirieren Torchmann zu akribischem Tun
ich mach das Ding nur für mich und für meinen Crew
für die Familie, für das Publikum genau wie du
Mein Leben lang hatt’ ich noch so viel vor,
aber mein Plattendeal kommt mir heute wie ‘n Spiel vor
Monopoly, mein Leben manipuliert,
Mal eben in 2 Stunden U-Haft den gesamten Staat studiert
Obwohl ich weiß das die Welt untergeht dass ist klar
Schreib ich diesen Text damit ihr versteht wer ich war
Obwohl ich weiß das die Welt untergeht dass ist klar
Schreib ich diesen Text
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Das hat mich gleich einfach so gecatcht. Im HipHop wird einfach viel auf Welle gemacht, nicht nur im Battlerap. Auch beim Performen ist immer alles so cool und gestyled, ein bisschen auf schick und so. Ich feiere das Zitat am Anfang so hart: “Ich spiele nicht. Ich bin das. Verstehen Sie? Und deswegen bin ich nichts!”Das Album beginnt also damit, dass er sagt, dass er nicht wichtig ist. Das ist eine direkte Schelle, die dem Posen und Angeben einiger Rapper gilt. Er sagt später aber auch: „ Schalt die Lichter auf mich, alle Scheinwerfer an. Und lasst mich reden, hier kommen 3 Minuten aus meinem Leben.“ Er gibt also auch zu, dass er trotzdem eine Bedeutung haben will. Und so zeigt er in einem einzigen Track den menschlichen Widerspruch auf: Ich fühle mich unbedeutend, will aber auch gesehen werden. Das finde ich geil.
Torch ist ja schon so etwas wie eine HipHop-Legende, das Album hatte enormen Einfluss auf den deutschen HipHop. Da hast du Dir ein echt großes Vorbild ausgesucht.
Naja, Vorbild ist so eine Sache. Torch und Blauer Samt, beides hat mich einfach derbe geflasht. Vielleicht spricht man besser von Inspiration. Seine Ehrlichkeit und auch dass er in keinem einzigen Track so richtig auf Welle machen will, das hat mich auf jeden Fall sehr inspiriert.
Wenn man dein neues Album hört, stößt man auch auf diese Ehrlichkeit.
Auf jeden Fall. Man könnte gute Musik auch am Reisbrett machen. Man nimmt einen Refrain, der auch eine Überschrift der Bildzeitung sein könnte und in den Strophen macht man den Aufbau, der das Thema dann ins richtige Licht stellt. Das ist dann ganz klar für die Leute, die es hören. Bei mir funktioniert das aber nicht. Und glaub mir, ich habe es versucht! Ich war aber nie zufrieden. Heute schreibe ich Lieder und lasse sie dann erst einmal zwei Monate liegen. Nach diesen zwei Monaten höre ich sie mir nochmal an und wenn ich dann nichts fühle, dann lasse ich sie liegen. Auch wenn sie theoretisch vielleicht gut sind. Aber es muss mich einfach kicken. Und das passiert einfach nur, wenn ich über etwas aus dem realen Leben schreibe, etwas das ich wirklich gefühlt habe. Meine Musik ist so eine Art Tagebuchmusik denke ich. Da schreibt man ja auch nichts rein, wenn nichts passiert ist.
Was mag bei Torch passiert sein, als er das Album geschrieben hat?
Zum einen spürt man seine derbe Enttäuschung von der HipHop-Szene. Es schien, als hätte er sehr an diese Community geglaubt. Für ihn war das wie eine politische Bewegung, wenn man so will. Und dann hat er vermutlich Enttäuschungen erlebt, gesehen dass vieles nur Fake ist und der politische Zweck zugunsten von Geld und Ruhm vernachlässigt wird. Ich glaube das hat ihn sehr nachdenklich gemacht und er hat sich vermutlich so Fragen gestellt wie: Wer bin ich? Was ist der Sinn? Und ich glaube verknallt war er auch.
Hast Du Torch mal kennengelernt?
Ich glaube nicht, höchstens mal die Hand geschüttelt.
Wenn Du ihn treffen würdest, was würdest Du ihm sagen oder ihn fragen.
Ich weiß gar nicht, was er grad so macht! Ich habe das eine Zeit lang mal richtig verfolgt, aber da kam dann einfach so lange nichts. Ich würde ihm einfach sagen, dass er unbedingt wieder Sachen rausbringen soll!
Fayzen ist gerade mit seinem Album Gerne allein auf Headliner-Tour durch Deutschland. Termine, Infos und jede Menge Videos gibt’s auf facebook oder fayzen.de.