Marcus Wiebusch: Befindlichkeit & Wut
Posted: October 19, 2017 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |1 Comment
Wir sind keine Parolenband
Marcus Wiebusch kommt aus dem Punkrock, ging in den Befindlichkeitspop und findet sich nach einem Solo-Ausflug mit seiner alten Band Kettcar in der Mitte wieder. Fünf Jahre nach dem vierten Album wirkt Ich vs. Wir (Grandhotel van Cleef) nicht nur beschleunigt, sondern viel politischer. Damit findet der Songwriter einen gewohnt lyrischen, oft aber auch beherzten Ausdruck für die Verhältnisse. Ein Gespräch mit dem 49-jährigen Heidelberger über die Wiederbelebung seiner Hamburger Indierock-Band, wie man leise Fuck AfD sagt und was Pop zu Literatur macht.
Interview: Jan Freitag
freitagsmedien: Das neue Kettcar-Album heißt Ich vs. Wir – wer genau ist wer dabei?
Marcus Wiebusch: „Ich“ ist das Individuum und „Wir“ sind die Gemeinschaft.
Das ist also nicht autobiografisch gemeint, von dir oder der Band?
Überhaupt nicht. Der Titel basiert auf dem Song Wagenburg, wo das Ich und das Wir in verschiedenster Konstellation gegeneinander krachen, da spielen wir mit Ambivalenzen. „Wir sind das Volk“ meint ja – Stichwort Pegida – am Ende „Ich bin das Volk“, das ist eine Ansammlung von Egoisten, die alles für sich wollen und sich dafür unter einem völkischem Begriff sammeln. Da mündet alles in die urpolitische Frage: mit wem will man eigentlich noch was zu tun haben, um ein lebenswertes Miteinander hinzukriegen? Das geht über uns als einzelne Teile der Band Kettcar weit hinaus.
Auch nostalgische Erinnerungen wie „Benzin und Kartoffelchips“ entspringen also vollständig der Fantasie?
Genau, bis auf Den Revolver entsichern, wo ich meinen Kindern ganz am Schluss kurz erkläre, was ein guter Mensch ist, ist alles ausgedacht.
Findet denn der Schlüsselsong Sommer 89, in dem Parallelen zwischen Flucht aus dem Osten damals und Flucht nach Deutschland heute gezogen werde, wenigstens nachrichtliche Bezugspunkte in der Realität?
Das schon. Da bin ich übers reale Ereignis eines Fluchthelfers vor 28 Jahren an der deutsch-ungarischen Grenze gestoßen, von dem die Süddeutsche Zeitung mal berichtet hat. Wobei es ja genau der Clou des Stückes ist, von der aktuellen Flüchtlingssituation zu singen, ohne sie auch nur mit einem Wort zu erwähnen.
Wobei erzählen besser passen würde als singen.
Stimmt. Am Anfang hatten wir da einen ganz normalen Popsong mit Reimschema im Kopf, aber mit der Zeit hat sich das Erzählerische ergeben, bei dem man bis hin zu einer Art Romanstruktur unfassbar frei ist in den Formulierungen, aber auch in der Beschreibung der Umstände. Wenn man jeden Grashalm beschreibt, werden die Leute beim Hören viel tiefer in den Song hineingezogen. Über eine Geschichte lässt sich mein Anliegen, das Politische viel besser transportieren. Juli Zeh hat über Sommer 89 gesagt, er sei wie gute Literatur – die am Ende ja mehr Fragen als Antworten bietet. Eine davon wäre, ob es nicht grundsätzlich ein zutiefst menschlicher Akt ist, Menschen über Zäune zu helfen.
Zumal die andere Seite des Zauns keinesfalls das Paradies ist; du zählst ja neben allem, was die Flüchtlinge dort Gutes erwartet, auch das Schlechte auf…
So wie die Menschen 1989 Immobilien ohne Wert und Hartz4 gekriegt haben, gab es eben auch Kiwis und Wahlrecht. Und heute kommen Flüchtlinge nicht nur für Essen und Obdach, sondern Recht und Ordnung. Man kann an diesem Land viel rumhaten, aber das Grundgesetz ist so schlecht nicht, sofern man es wörtlich nimmt. Es geht um Ambivalenz, das funktioniert viel besser als Fuck AfD zu brüllen.
Aber ihr kommt doch seit jeher eher über die Poesie als Parolen?
Wir sind keine Parolenband, kommen aber diesmal mehr denn je übers Storytelling.
Meinst du denn, damit sind Menschen jenseits eurer Filterblase zu beeindrucken?
Da unsere Popularität bis ins Mainstreampublikum reicht, glaube ich schon. Da werden viele zum ersten Mal mit solchen Gedanken konfrontiert. So gesehen spricht der Song nicht nur meine Leute an, schon weil Jan Böhmermann den millionenfach geteilt hat. Ich singe nicht nur für Eingeweihte.
Mit dem Ziel, den Leuten – auch als studierter Pädogoge – was unterzujubeln?
Unterjubeln nicht, aber ich sehe meine Aufgabe schon auch darin, übers Entertainment Inhalte unter meinen Bedingungen zu vermitteln. Ob ich dabei einen AfD-Wähler vom Gegenteil überzeuge, ist dabei fast ein bisschen egal; mir ist wichtig, eine Haltung, von der ich zutiefst überzeugt bin, kraftvoll zu Gehör zu bringen.
Ist das nicht ein avantgardistischer Ansatz?
Inwiefern avantgardistisch?
Eine erhabene Position, leicht über dem Erkenntnisstand der breiten Masse?
Wenn das die Erhabenheit von The Clash, Dead Kennedys, Rage Against The Machine oder Blumfeld ist, womöglich schon. Ich mache politische Haltung ja nicht als erster zu Musik und wurde in meiner diffusen Sichtweise einst selbst von solchen Bands beeinflusst. Wenn mir das mit heute mit anderen gelänge, wäre das echt schön.
Seid ihr so gesehen zuletzt politischer geworden?
Ja, klar.
War das die logische Folge der Umstände oder einer bewussten Entscheidung?
Das lässt sich schwer differenzieren, aber unser letztes Album von 2012 war emotional ein solcher Tiefpunkt, dass ich erst mal was allein machen musste. Das Solo-Album wurde dann als eher politisch wahrgenommen, was sich als Band jetzt fortsetzt. Wir merken ja, was in diesem Land los ist; da haben gefühlige Texte schlicht nix verloren. Wir wollen keinen Selbstvergewisserungs-HipHop machen, der scheinbar gerade alles andere platt macht. Die Leute sollen merken, dass wir uns der Realität stellen. Und diese Gewissheit wurde mit jedem demokratisch legitimierten Schwachsinn von Trump bis Erdogan, von Brexit bis AfD größer.
Sind Zeiten des Rechtsrucks für einen linken Liedermacher daher gute?
Klingt zynisch, ist aber so. Als wir 2002 sehr befindlichkeitsorientierte Lieder gemacht hatten, mag zwar auch schon vieles scheiße gewesen sein, aber ich habe das da noch nicht so gefühlt. Zumal ich da gerade aus dem sehr politischen Punkrock kam.
Mit But Alive.
Das was Kettcar jetzt macht, ist gerade ein Stück weit alternativlos, aber damals wollte ich echt mal was völlig anderes machen, so wie wir in fünf Jahren vielleicht auch wieder was anderes machen wollen.
Drückt sich diese Rückbesinnung auf den Punk auch musikalisch aus?
Klar, wir sind schneller, robuster, energetischer. Anfangs hatten wir tatsächlich nur Bretter, bis unser Produzent gesagt hat, ey können wir mal kurz weg vom ganzen Geballer? Deshalb ist zum Schluss ein ruhiger Song wie Das Gegenteil der Angst dazugekommen.
Um richtig ruppig zu werden, ist allerdings deine Stimme nicht die richtige oder?
Mein Gesang transportiert nie diese Grundwut eines Zack de la Rocha. Weil ich bei But Alive krass geshoutet habe, musste ich 1999 ja eine Stimmbandoperation über mich ergehen lassen. Seitdem singe ich anders.
Kettcar ist das Ergebnis einer ärztlichen Verordnung?
Nein, nein, nein. Ich habe das, was vorher in mir war, einfach nicht mehr gefühlt und wollte ruhigere Musik machen. Auch auf der letzten But Alive singe ich schon weicher.
Ist denn trotzdem noch genügend Wut in dir über die Verhältnisse?
Schon, aber das ästhetische Konzept jenseits des Punk kickt uns nicht mehr. Wir lieben Popsongs – auch wegen der Möglichkeit, Leute zu erreichen, die du nicht erreichst, wenn du im Sinne von preachingtothealreadyconverted nur für die eigene Blase ballerst. Mit so einen lieblich klingenden Stück wie Mannschaftsaufstellung erreichst du da viel mehr, da sind wir musikalisch sanft, aber textlich klar. Kettcar 2017 ist anders als Kettcar 2002, aber auch als Marcus Wiebusch solo vor drei Jahren.
Nimmst du seither weniger Einfluss auf die Band als früher?
Definitiv, wir gehen viel kommunikativer an Sachen ran als früher, wo ich mehr oder weniger alle Songs allein gestemmt hab. Mittlerweile kommt viel mehr von den anderen, auch weil wir sehr konkrete Gespräche hatten, welchen Boden wir jetzt beackern wollen. Das ist eine ganz andere Band – schon weil die anderen mit ihren Möglichkeiten aufgeholt haben, um ihre Kreativität besser einzubringen. Da hätte ich auch früher schon nichts gegen gehabt, aber es kam halt weniger. Ich bin ein Teamplayer, den Austausch möchte ich nicht mehr missen.
Also erst mal Band statt solo?
Das möchte ich hier und heute bezeugen.
Das Interview ist vorab beim MusikBlog erschienen
One Comment on “Marcus Wiebusch: Befindlichkeit & Wut”
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Kettcar sind für mich eine der besten deutschen Bands…die Musik hat mich so viele Jahre begleitet und ich hab sie schon so oft live gesehen. 🙂 Ich freu mich schon sehr auf die kommende Tour!