Bully, Högni, ASIWYFA

Bully

Wer einen Blick zurück in die Zeiten des Rrriot-Rock wirft, fragt sich zu recht, ob da nicht noch was kommen sollte, ob etwas fehlt, ob die Wut von damals wirklich heilsam rausgebrüllt wurde oder nach einer Weile medialer Aufmerksamkeit nur doch wieder geschluckt wird, was die unerlässliche #MeToo-Kampagne ja gerade mal wieder bitterböse ans Tageslicht bringt. Anschlussfrage: hat die weibliche Eroberung des räudigen Gitarrensounds durch stinksaure Bands von Team Dresch über Sleater Kinney bis hin zur ikonografisch verklärten Courtney Love nebst Hole ihre Zeit und ist somit ein wenig von gestern? Ist es nicht. Niemals. Zumal es auch weiter Nachwuchs gibt im Segment aufgewühlt versierter Frauen an der Bühnenkante.

Eine davon nennt sich passenderweise Bully, was sich am ehesten mit “Schulhof-Raudi” übersetzen ließe. Gemeint ist damit vor allem Alicia Bognanno, die Frontfrau mit der wilden Mähne, die nur oberflächliche Beobachter mehr in den Bann zieht als der Sound. Mit ihren Kumpels Clayton Parker,  Reece Lazarus und (nein, nicht dem Police-Drummer) Stewart Copeland erobert die Shouterin aus Nashville das Podium nicht nur mit ihrem wilden Gesang von allem, was Frauen innerlich und äußerlich so durchmachen; sie hat die zwölf Tracks im Grunge-Gewand auch kreiert und verpasst ihnen manch verstörendes Noise-Riff. Das zweite Album Losing klingt daher noch ein bisschen mehr nach Hole. Zugleich aber klingt es sehr nach sich selbst. Und es klingt fantastisch.

Bully – Losing (Sub Pop)

Högni

Es ist das Herausragende an isländischer Popkultur, dass sie unsere Erwartungen seit geraumer Zeit immer weiter in die Höhe schraubt und dort nicht etwa unterläuft, sondern die Messlatte nur noch höher und höher und höher legt, sie durchaus mal reißt, in der Regel aber mit viel Aberwitz und Eigensinn und Chuzpe nimmt. Auch Högni Egilsson tut alles in einem und das oft zugleich. Schon als aktuelles Mitglied des legendären Electronica-Ensembles GusGus hat der Komponist und Sänger zuletzt Maßstäbe der Popkultur gesetzt. Jetzt legt er seine erste Solo-Platte vor und was soll man sagen: Die Steigerung von durchgeknallt mit Stil und Eleganz  heißt Högni.

Inhaltlich handelt das Konzeptalbum Two Trains von eben zwei Lokomotiven namens Minør und Pionér, die vor 100 Jahren das Baumaterial für den Hafen von Reykjavik in die Hauptstadt gekarrt haben. Dramaturgisch macht der Komponist mit der absurden Haarpracht daraus ein Kompendium grundsätzlich widersprüchlicher Soundfragmente, die in Anadu zum Auftakt klingen wie Mönchsgesänge, im anschließenden Shed Your Skin TripHop-Avancen machen und im wavigen Crash kurze Zeit später digitalen Noisepop variieren. Alles in einem und zwar sofort – Högnis Einzelkampf für den Beweis isländischer Variabilität ist ein grandioser Ausflug in die Welt der Möglichkeiten des Pop, denen man nirgends weniger Grenzen setzt als auf der Feuerinsel.

Högni – Two Trains (Erased Tapes)

ASIWYFA

Kryptisches Kürzel, wenig zugängliche Klarschrift, vertrackter Sound: Auch auf ihrem mittlerweile fünften Album versucht die nordirische Alternative-Band And So I Watched You From Afar noch nicht mal ansatzweise, Verständnis hervorzurufen mit dem, was sie uns da neun teils episch lange Tracks auswalzen. The Endless Shimmering heißt ihr neues Kompendium breiter Klangteppiche und es fällt wie immer schwer, daraus ein echtes Genre zu destillieren. Im Angebot wären Mathcore, Krautwave, Emo, Noise, Jazzrock oder wer weiß was noch alles. Alles egal. Denn auch dieses Album schafft es, völlig ohne Gesang so viel Inhalt zu erzeugen, als wäre der Schwall an Worten ebenso groß wie der an Riffs.

Mit Johnathan Adger am Bass, vor allem aber dem wissenschaftlich getriebenen Drummer Chris Wee weben Rory Friers und Niall Kennedy  Gitarrengespinste von derart grandioser Opulenz, dass jeder Satz einer zuviel wäre. Ob das Quartett seine Kaskaden dabei eigentlich mitzählt oder alles reinem Instinkt entstammt? Eine Antwort und zugleich keine liefert Rory Friers, wenn er von einem Schneesturm während der Produktionsphase berichtet: „Wir haben geprobt, gegessen, gewaschen, im Studio geschlafen und neun Tage später hatten wir das ganze Album aufgenommen und gemischt, gerade als der Schnee zu schmelzen begann.” Auch wenn es schwer zu verstehen ist: Das Ergebnis kann sich hören lassen.

ASIWYFA – The Endless Shimmering (Cargo)

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