Wolfgang Niedecken: Familie & Dialekt

Kölsch saved my life

Seit 40 Jahren ist Wolfgang Niedecken das gute Kölner Gewissen der deutschen Rockmusik. Auf dem Solo-Album Reinrassije Strooßenköter erzählt er uns nun seine Familiengeschichte und damit auch viel übers Land insgesamt. Ein Gespräch mit dem 66-Jährigen über die Liebe zu Köln, BAP, Gassenhauer und wie ihm sein Heimatdialekt 2011 das Leben gerettet hat.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Wolfgang Niedecken, sind es eigentlich grad gute oder schlechte Zeiten für sozialkritische Liedermacher wie Sie, wenn die Stimmung populistischer wird und nach rechts schwenkt?

Wolfgang Niedecken: Also die Platte hätte ich zu jeder Zeit machen können. Ich will niemanden krampfhaft auf irgendeinen Pfad bringen, sondern singe über Sachen, die mich umtreiben – ob sie mir nun schlaflose Nächte machen oder Glücksgefühle. Politrock war mir immer zutiefst suspekt.

Trotzdem kommentieren Sie mit Ihrer Musik gern die Verhältnisse da draußen. Freut man sich da, wenn die so radikal sind, dass es viel zu kommentieren gibt?

Darüber mache ich mir gar nicht so viele Gedanken. Mir ist nicht wichtig, ob ein Album in seine Zeit passt. Wenn es das aber dennoch tut, wie dieses hier, freut es mich. Denn das, was ich darauf tue, kann man allen, die da draußen rumkrakeelen, auch nur empfehlen: Mal innezuhalten, zurückzublicken und sich zu fragen, was tun wir hier eigentlich, um was geht es?

Und die Antwort?

In meinem Fall: Wohl dem, der einen Verbund hat, in dem er sich aufgehoben fühlt. Das kann die Nachbarschaft sein, eine Clique. Bei mir ist es jetzt die Familie – die, aus der ich komme, aber auch die, die ich selber gegründet hab. An deren Beispiel versuche ich rauszufinden, was mir im Leben wirklich wichtig ist. Familie besteht ja aus Individuen, die trotz aller Verschiedenheit miteinander klarkommen müssen; das darf sich die Gesellschaft gern zum Vorbild nehmen. Davon erzählt am Ende auch mein Album.

Dummerweise versteht man davon als Nicht-Kölner nur Bahnhof.

Wissen Sie was? Ich übersetze Ihnen mal das Titelstück, dann versteht man auch den Rest. Meine Tochter hat mir erklärt, dass Reinrassije Strooßeköter ein Oxymoron ist, also ein Begriffspaar, das sich gegenseitig ausschließt. Was man von den Kindern alles lernen kann! Reinrassige Straßenköter gibt’s ja nicht. [setzt seine Brille auf und übersetzt]

 

Der Pappkarton oben im Regal

seit Jahren unberührt, verstaubt

Erst war Margarine drin, dann eine Eisenbahn

und immer noch steht Rama drauf

 

Ohne Leiter kommt da keiner ran

Jedenfalls ist es nicht leicht

Unfallfrei die Kiste runterzuholen

Weil sie links eingerissen ist

 

Fotos mit gewelltem Rand

Und je nachdem abgeknickt, vergilbt, verblasst

Heiligabend, Camping, Karneval

Heinz und ich aufm Chlodwig-Platz

 

Vater, Mutter, Foxtrott wird getanzt

Kätie, Annelie, mit Zöpfen.

Tante Netta kannte ich nur in schwarz

Pollawiese und Severenzbrücke

 

Dieses Lied ist für meine Ahnen, meinen Stamm

Kölsche Seelen allesamt

Für meine Leute, für meine Vertrauten

Blutsverwandt

 

Für meine Familie, meinen Clan

Wir sind reinrassige Straßenköter

Und Südstadt-Adel sowieso

Und auch wenn’s keiner ausspricht –

Insgeheim steht’s fest

Dass Blut dicker als Wasser ist.

Da wird gleich zu Beginn das ganze Personal am Beispiel eines imaginären Fotoalbums vorgestellt. Ich hab ja weder väter- noch mütterlicherseits meine Großeltern je kennengelernt. Mein Opa Hermann, der Kirchenmaler, ist eine Woche vor meiner Geburt im selben Krankenhaus gestorben. Die lerne ich so erst kennen.

Hat es auch mit Ihrem Alter zu tun, dass Sie die Vergangenheit Revue passieren lassen?

Na ja, ich bin 66. Wäre ich Beamter, läge ich schon das erste Jahr mit meiner Pension in der Hängematte. Natürlich denkst du da eher mal über dein zurückliegendes Leben nach als mit 30. Ich wusste auch damals schon, dass es hinterm Horizont weitergeht, wollte aber gar nicht so genau wissen, wie es da aussieht. Aber wenn ihm wie ich jetzt so nahe kommt, macht man sich darüber eher Gedanken.

Wobei Sie kein drastisches Rock’n’Roller-Leben geführt haben oder?

Nicht mit allem Drum und Dran. Ich finde Keith Richards großartig, aber sein Leben war von meinem Lichtjahre entfernt. Wir haben natürlich schon mal mehr Party gemacht als viele in bürgerlichen Berufen, und auf Tournee wurden die Nächte schon mal feuchter, aber das ist echt ewig her.

Vor Ihrer Familiengründung?

Sagen wir: am Ende der ersten, die ja ein bisschen in die Hose gegangen ist. Also vor der zweiten mit dieser netten Dame hier [zeigt auf seine Frau, die nebenan am Computer sitzt]. Wir sind jetzt seit 30 Jahren zusammen, haben zwei erwachsene Kinder, also super.

Kommen die auch vor auf der Platte?

Natürlich, am Ende. Das Album ist ja chronologisch aufgebaut, weshalb ein Stück sogar vor meiner Geburt spielt, als meine Großeltern mit Kindern nach Gera evakuiert waren, weil Köln nach der Zerbombung auch noch der Häuserkampf drohte.

Wenn das Album einem Erzählband gleicht – ist die Musik dazu die, die Sie halt auch mit BAP schon immer machen, oder exakt auf die Texte abgestimmt?

Beides. Es ist halt die Musik, die ich mag. Ich würde ja nie etwas anderes machen als das, was ich mir beim Autofahren ins Fach schiebe und mich freue, am Leben zu sein. Da darf dann auch mal die Steel-Guitar vorkommen, Country, Americana. Sofern es nicht kitschig klingt.

Haben Sie je erwogen, anders als in Kölsch zu singen?

Es war schon vor 25 Jahren immer mal ein Streitpunkt in der Band, ob wir nicht hochdeutscher werden sollten, womöglich gar Englisch. Meine Meinung dazu war immer, dass wir uns damit das Einmalige, Unverwechselbare nähmen, nur um aus Deutschland rauszukommen. Dafür hätte ich mich verstellen müssen. Und wäre auch nicht so gut gewesen.

Entsprang die Entscheidung im Heimatidiom zu singen, damals einem Bauchgefühl oder Lokalpatriotismus?

Ach, es ist viel einfacher. Wenn du wie ich mit dieser Sprache aufgewachsen bist und auf der Volksschule erstmal Deutsch lernen musst, dann steckt das so tief drin, dass es raus will. Als ich vor sechs Jahren einen Schlaganfall hatte…

[Seine Frau ruft rein] 2. November 2011.

… hab ich meinen Schutzengel da drüben später ein Album voller Liebeslieder gewidmet. Die räumen zwar keine Spülmaschinen aus, aber so konnte ich meine Dankbarkeit am besten zeigen. Vorher aber war folgendes passiert: Ich habe in Köln noch ein paar Leute, mit denen ich gar nicht Hochdeutsch sprechen könnte, das klappt nicht. Einer davon ist der vielleicht größte Karnevalist, ohne ein Spießer zu sein. Hans Süper. Kennen Sie den?

Als Kölner würde ich sicher ja sagen.

Garantiert. Das ist die eine Hälfte vom „Colonia Duett“, immer mit Mandoline. Gibt’s leider nicht mehr. Der Hans also war total besorgt, dass ich mich vom Schlaganfall nicht mehr erholen würde. Ich hatte ja damals große Wortfindungsprobleme. Du bist klar im Kopf, aber die Sprache ist weg, furchtbar. Dann aber ruft mich der Hans in der Klinik an und meinte, „wie isset Jung, wat mässte?“ Und ich habe auf Kölsch geantwortet, als wäre nichts geschehen. Die Muttersprache ist halt tiefer eingelagert als alles andere.

Sie haben übers Kölsch wieder sprechen gelernt?

Die Reha hat schon auch geholfen, aber Kölsch saved my life.

Wo wäre Wolfgang Niedecken denn vor 40 Jahren gelandet, wenn BAP von Beginn an in einer anderen Sprache gesungen hätte?

Wir wären gar nix gewesen. Als BAP 1976 gegründet wurde, haben Leute mitgespielt, die in den Sechzigern Beat gemacht hatten. Damals war jeder in irgendeinem Dunstkreis irgendeiner Band, so wie sich heute alles über Fußball definiert. Man traf überall Kollegen, und je mehr das geschah, desto mehr wurde gejammt. Das war das erste Jahr BAP: alle zusammen ins Kalksandsteinwerk Hersel an der Autobahn Köln-Bonn, das gehörte dem Vater eines der Gitarristen. Immer wenn wir einen Kasten Bier leergeprobt hatten, sind wir in die Stammkneipe gefahren und haben weitergefeiert.

Oha.

Klingt jetzt versoffener als es war. Wir waren ja mindestens ein Dutzend Leute, das sind zwei Flaschen pro Person. Jedenfalls hatten wir damals überhaupt keinen Karriereplan. Aber als ich den ersten Song auf Kölsch mitgebracht habe, schwer auf Liebeskummer geschrieben, waren alle irgendwie begeistert. So ging’s los – und hat sich bis heute nicht wirklich geändert.

Was ist denn der grundlegende Unterschied zwischen BAP und Solo-Alben?

BAP ist die Tour-Band, aber wir hießen auch auf unseren ersten drei Alben Niedeckens BAP. Ich hätte das also auch mit denen einspielen können, der Sound wäre dann allerdings etwas anders gewesen, ohne die Americana-Elemente wahrscheinlich. Bei BAP nimmt mir niemand übel, Sachen solo zu machen. Die profitieren da immer auch von. Ich geh mit BAP auf Tour, keine Sorge.

Und spielen die alten Gassenhauer?

Ich will jedenfalls auf keinen Fall Stücke spielen, die die Leute nicht kennen. So ticke ich ja selber auch als Konzert-Zuschauer. Ich hab gerade die Stones in München gesehen, da hab ich mich zwar total gefreut, als die nach Ewigkeiten mal ein Stück wie Dancing with Mr. D gespielt haben, und Satisfaction muss ich gar nicht noch mal hören. Trotzdem sind mir die bekannten Stücke wichtig. Was außer Musik schafft es denn schon, die eigene Jugend so zurück ins Herz zu holen?

Ihre Prognose zum Schluss: Stehen Sie im Alter von Mick & Keith noch auf der Bühne?

Wenn ich mir das gesundheitlich noch schaffe, gern. Und so wahnsinnig lang ist das ja nicht mehr hin. Aber nur, weil ich jetzt im Pensionsalter bin, gucke ich mir keine Louis-Trenker-Filme an. Rock’n’Roll hat nichts mit Jugend zu tun, Rock’n’Roll ist für alle da.

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