Hannah Hollinger: Männer & Kriege

Ich arbeite gern in Köpfen anderer

Seit Ihrem Seriendebüt Aus heiterem Himmel vor bald 25 Jahren beweist die Drehbuchautorin Hannah Hollinger (60) erstaunliches Gespür für die männliche Befindlichkeiten. Im ARD-Mittwochsfilm Fremder Feind treibt sie diesen Zugang – auch dank Ulrich Matthes’ brillanter Darstellung eines Vaters, den der Soldatentod des Sohnes in die Einsamkeit einer Berghütte treibt – zu einer grandiosen Studie über Männergewalt gegen sich und andere. Ein Gespräch über  Geschlechterthemen, Romanadaptionen, Trauerarbeit und ihr selbstbestimmtes Leben.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Frau Hollinger, warum zeigt die ARD Ihren Film heute Abend eigentlich nicht unterm Roman-Titel Krieg, sondern als Fremder Feind?

Hannah Hollinger: Tja. In Venedig lief er noch unterm Originaltitel. Der Regisseur und ich fanden ihn ebenso wie die Redaktion auch eigentlich ganz passend. Trotzdem verstehe ich die ARD, dass sie damit fremdelt. Für einen Mittwochabend ist das ja sehr martialisch, also nicht sonderlich breitenwirksam. Der mildere Titel tut aber auch niemandem weh, wie es manchmal im Fernsehen der Fall ist. Man will halt auch Frauen oder zartere Seelen ansprechen.

Zumal es in dem Film ja nicht nur um Krieg geht.

Genau. Es geht auch um Trauer, Gewalt, Männlichkeit vor allem. Was die Rolle der Frau darin etwas ungleich verteilt. Sie übernimmt den Part der Selbstkasteiung, also nicht des handelnden Subjekts wie die Männer, sondern des trauerndem Objekts.

Fällt es einer Autorin leichter, sich in die Rolle der Frau als derartiges Objekt hineinzudenken als in die Subjekthaftigkeit des Mannes – auch wenn sie in diesem Fall Täter und Opfer zugleich ist?

Bei einem Roman, der zudem von einem Mann geschrieben wurde, fällt das natürlich leichter, als wenn ich mir die Figuren ausgedacht hätte. Trotzdem fließt auch bei Adaptionen stets meine eigene Sicht mit ein. Und da fiel es mir überhaupt nicht schwer, mich ins Eingemachte einer männlichen Hauptfigur zu versetzen. Erstens, weil ich mich seit jeher viel mit Psychologie beschäftige. Zweitens steckt vieles Männliche ja auch im Weiblichen, wir leben es nur anders aus, oft weniger verdichtet. Ich kann mich daher ganz gut in Männer hineinversetzen.

Damit hat ja gewissermaßen Ihre Laufbahn begonnen, als Sie sich Mitte der Neunziger für die ARD-Serie Aus heiterem Himmel eine Patchwork-Männer-WG ausgedacht haben.

Das war zwar nicht meine Idee allein, aber stimmt schon – die Auseinandersetzung von Männern mit Themen wie Familie, Emotionen, Alltag interessiert mich seit jeher. Vor 20 Jahren war das allerdings noch viel seltener als heute und daher eine weit größere Herausforderung.

Die Regisseurin Brigitte Maria Bertele, mit der Sie bereits drei Filme gedreht haben, findet es sogar leichter, männliche Figuren zu inszenieren, weil sie nicht dauernd von sich auf andere schließen müsse wie bei weiblichen. Kennen Sie das auch?

Nein, denn anders als Brigitte integriere ich die männlichen Teile des Rollenverhaltens womöglich etwas mehr in meinen Alltag. Ich lebe alleine, habe früh meinen Vater verloren, dadurch fast zeitlebens für mich selber gesorgt und oft beide Rollenmuster mit gelebt. Weil ich dennoch versuche, möglichst selten in Kategorien wie „typisch männlich“ und „typisch weiblich“ zu denken, trifft die Rollenverteilung in Krieg einen wunden Punkt bei mir: Die Frau richtet ihre Trauer über den Verlust des Kindes – typisch weiblich – gegen sich selbst und der Mann – typisch männlich – gegen andere. Nicht jedes Bild ist falsch, nur weil es ein Klischee ist, aber auch hier interessiert mich die psychologische Tiefe der Beteiligten weit mehr als die Frage, wie geschlechterspezifisch das Handeln ist.

Woher rührt denn Ihr Interesse an der Psychologie – sind Sie da erblich vorbelastet?

Nicht über die Berufe meiner Eltern, aber die Art meiner Sozialisation, in der sehr früh sehr viel von mir erwartet wurde. Und mitten in der Pubertät seinen Vater zu verlieren, sorgt für eine Art der Verarbeitung, von der aus der Weg zur Psychologie nicht weit ist. Ich habe dann immerhin Sozialpädagogik studiert, wo die Psychologie eine große Rolle spielt. Vielleicht macht es mir deshalb auch so großen Spaß, Romane zu adaptieren. Ich arbeite einfach gern in den Köpfen anderer, gehe mit deren Gedanken um, suche die Essenz dessen, was sie wollen.

Sie schreiben also selten Originaldrehbücher?

Nein, das hält sich ungefähr die Waage. Ich mag  beides.

Kommt man eher mit Ideen auf Sie zu oder bieten Sie eigene Idee an?

Auch das ist ausgewogen, wobei es mittlerweile häufiger vorkommt, dass Ideen an mich herangetragen werden – Krieg zum Beispiel. Umgekehrt wäre es so, dass die Auftragslage definitiv eine  bessere ist, wenn ich einen Roman adaptiere, weil sich die Produzenten unter einem Roman natürlich gleich mehr vorstellen können als unter einem fünfseitigen Exposé.

Brigitte Maria Bertele, ihr als Frau würden nach wie vor häufiger Liebes- und Familiengeschichten angeboten. Ist das bei Ihnen ähnlich?

Das ändert sich schon. Wobei es bei mir schon sehr früh anders war. Auch dank meiner Zusammenarbeit mit Regisseuren wie Matti Geschonnek. Man bietet mir in der Regel schwierige Themen an, in denen die Umsetzung nicht sofort auf der Hand liegt.

Das darf man als Kompliment betrachten oder?

Absolut.

Was ist da gerade in Planung?

Zunächst mal die Weiterführung des Schlöndorff-Films nach Friedrich Ani, wieder mit Thomas Thieme. Das muss der Sender aber erst entscheiden. Und was mich sehr interessiert: Die Verfilmung eines Sachbuchs vom Süddeutsche-Redakteur Ronen Steinke Der Muslim und die Jüdin. Das wäre mein nächstes Projekt.

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