Moby: Tech-Pop, TripHop & Gospel

Ich hasse es, live zu spielen

Moby hingegen zählt bereits die Hälfte seiner 52 Jahre zu den ganz Großen des globalen Tech- und Dance-Pop. Doch der New Yorker wurde nicht nur mit jedem seiner Alben populärer, sondern politischer, vielschichtiger, manchmal gar ein bisschen subkulturell. Ein Gespräch zum 15., sehr triphoppigen Longplayer Everything Was Beautiful, And Nothing Hurt über kalkulierbaren Sound, die Hölle auf Erden, was Musik dagegen tun kann und warum er lieber in den Bergen wandert als aufzutreten.

Interview: Jan Freitag

freitagsmedien: Richard, je mehr ich deine Musik über die Jahrzehnte verfolge, desto schwerer wird es, sie irgendwo zuzuordnen. Hast du eine griffige Beschreibung dafür?

Richard Melville Hall alias Moby: Also grundsätzlich möchte ich ein guter Interviewpartner sein, der nachdenklich und smart klingt. Leider tue ich das nicht, weshalb mir eine nachdenkliche, smarte Beschreibung meiner Musik schwerfällt. Weil ich jeden Tag mit mir selbst leben muss, fällt mir Objektivität in Bezug auf mich ohnehin schwer. Als Begriff für meine Musik fällt mir am ehesten Kraut und Rüben ein. Es gibt gewiss ein paar gemeinsame Nenner, die sich durch alle hindurch ziehen. Aber mir fällt keiner ein. Dir?

Der elektronische Einfluss vielleicht?

Eigentlich ja, aber die Platte, an der ich jetzt grad arbeite, ist vollends akustisch und orchestral. Aber ehrlich: als ich mit der Musik begonnen habe, war Eklektizismus noch die absolute Ausnahme. Wer sich in den Achtzigern ein Genre gesucht hat, blieb ihm ein Leben lang treu. Dass Rockmusiker ewig Rockmusiker sind und Dancemusiker ewig Dancemusiker, hat sich mittlerweile geändert. Heute darf man sein Publikum gern ein bisschen verwirren.

Ist das eines deiner erklärten Ziele beim Musikmachen?

Nein, mein Ziel ist eigentlich ganz einfach: Als ich aufgewachsen bin, war eine meiner tiefgründigsten emotionalen Erfahrungen, Musik zu hören. Das wollte ich selber für andere bewirken. Deshalb gilt meine ganze Loyalität dem Streben, musikalisch Gefühle zu erzeugen, die wie molekulare Teilchen in der Luft dazu in der Lage sind, Menschen zum Weinen, zum Lachen oder voll besetztes Stadion zum Schweigen oder Hüpfen zu bringen.

Und da ist die Festlegung auf ein Genre hinderlich?

Ich würde nicht hinderlich sagen, sondern beliebig. Vor 30, ach – vor 20 Jahren hat sich das Instrumentarium einer Rock-, Pop-, Jazz- oder Rap-Band noch grundsätzlich unterschieden. Und jetzt? Benutzen alle einen Laptop. Die Genres mag es also noch geben, aber die Art, sie zu erzeugen, ändert sich radikal. Das macht jede Festlegung auf ein bestimmtes Genre ein wenig willkürlich und mich selbst in zunehmendem Maße eklektizistisch.

Umso mehr erstaunt, dass Everything Was Beautiful, And Nothing Hurt so unglaublich nach TripHop klingt. Wurdest du da von Tricky und Portishead beeinflusst?

Ich würde eher sagen, es wurde beeinflusst, wovon Tricky und Portishead beeinflusst worden waren: vom Soul der Sixties, vom Dub der Seventies, vom R’n’B der Eighties.

Das klingt nach einem fast wissenschaftlichen Ansatz.

Es ist aber zu 100 Prozent ein emotionaler, persönlicher, subjektiver. In einer Zeit, die den meisten Künstlern sowieso nahezu unmöglich macht, Platten zu verkaufen, also mit ihrer Musik Geld zu verdienen, ist das sehr befreiend. Ich muss auf nichts mehr Rücksicht nehmen und muss noch weniger irgendetwas im Hinblick auf eine Karriere kalkulieren.

Das war also mal anders?

Am Anfang fand ich die Idee, viele Platten zu verkaufen und ausverkaufte Konzerte zu geben, toll. Jetzt finde ich es schöner, einfach Musik zu machen und nie mehr auf Tour zu gehen.

Ernsthaft – du spielst nicht gern live?!

Ich hasse es, live zu spielen. Ernsthaft. Wenn es nach mir ginge, würde ich nie mehr auf Tour gehen, sondern zuhause bleiben, ab und zu durch die Berge wandern, mit Freunden essen gehen, Musik machen. Das ist so viel besser als ständig im Bus zu sitzen und in artifiziellen Hotels zu übernachten.

Ist es dann eine Art Dienstleistung am Fan, dass du dennoch auftrittst?

Nein, denn ich war ja schon einige Jahre nicht mehr auf Tour. Und die fürs neue Album beschränkt sich auf drei Shows in kleinen Clubs von Los Angeles und weiteren zwei in noch kleineren Clubs in New York. Nenn es faul – aber mein Traum von Festival ist es, nach dem Gig ins Auto zu steigen und eine halbe Stunde später in meinem Bett zu liegen. Das Leben ist zu kurz, um sich dauernd zu wiederholen. Ich will nicht der nächste mittelalter Musiker sein, der sein Lebenswerk bei einer Greatest-Hits-Tour reproduziert.

Der Titel deines neuen Albums Everything Was Beautiful, And Nothing Hurt klingt was die Vergangenheit betrifft, irgendwie versöhnlicher…

Das Zitat stammt aus einem Buch von Kurt Vonnegut und als Albumtitel ungemein idealistisch und utopisch. Vielleicht ist das jetzt für mich interessanter als für andere, aber wenn ich auf die Geschichte der Menschheit blicke, waren unsere Probleme bis vor 100 Jahren solche, die sie nicht kontrollieren konnten. Erdbeben, Unwetter, Missernten, Hunger, von Bären gefressen zu werden. In dem Moment aber, als wir all das im Griff hatten, haben wir uns selbstgemachte Probleme erschaffen, was zur merkwürdigen Situation führt, dass wir die Welt, je sie unter unserer Kontrolle ist, nachhaltiger zerstören als jede Naturkatastrophe. Wir könnten das Paradies erschaffen und erschaffen stattdessen die Hölle. Darauf soll der Albumtitel die Aufmerksamkeit lenken.

Bist du optimistisch, dass wir die Hölle in den Griff kriegen?

Ein bisschen ja. Ich hoffe, dass wir alle irgendwann aufwachen, um die Selbstzerstörung unserer Spezies durch fossile Brennstoffe, Massentierhaltung, Konsumwahn zu stoppen.

Kann deine Musik, kann Musik generell dabei helfen?

Meine letzten Alben waren zumindest insofern politisch, als sie all dies thematisiert haben. Von daher war ich wohl schon der Meinung, das ginge. Das Politische an dieser Platte ist eher anthropologischer Natur. Ich frage mich darauf, warum wir handeln wie wir handeln, ohne es zu bewerten. Ich möchte zum Nachdenken anregen, wie wir uns selbst als Spezies sehen, wie wir uns zu anderen Lebewesen verhalten.

Nochmals – kann die Platte das Handeln der Hörer beeinflussen, gar verändern?

Schön wär‘s. Vielleicht kann die selbstbewusste Kombination aus Musik, Essay, Video und Interview Standpunkte so in die Welt senden, dass es Aufmerksamkeit für globale Probleme erzielt.

Ist Motherless Child, das auf einem Gospel früherer Sklaven basiert, so gesehen ein politscher Song mit dem Potenzial zur Veränderung?

Er wirft zumindest einen Blick auf die menschliche Kultur, besser noch: die Kultur der Menschlichkeit, um womöglich das Verständnis dafür zu verändern, warum sie so oft derart furchtbare Entscheidungen gegen die eigene Spezies trifft. Jeder versucht sein Leben Tag für Tag krampfhaft mit einem Sinn zu füllen, nur um Abend für Abend zu bemerken, wie endlich das Leben ist und wie isoliert, verloren, entfremdet wir sind. Davon handelt der Song. Meine Hoffnung ist nicht, dass er daran etwas ändert, sondern die Menschen beim Hören eine emotionale Bindung dazu finden und über sich selbst und ihr Handeln nachdenken – so wie es ein Stück wie Imagine in all seiner Einfachheit einst getan hat. Obwohl: die Ausstrahlung von John Lennon maße ich mir besser nicht an…

Das Interview ist vorab beim MusikBlog erschienen
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One Comment on “Moby: Tech-Pop, TripHop & Gospel”

  1. Christopher Clerckson says:

    Ob sich der Mensch als Kollektiv gegenüber anderen Spezies je harmonisch Verhalten kann ohne seine Mitmenschen gut zu behandeln ist fragwürdig. Schönes interview, die Worte zur Musik zu hören ist echt interessant.


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