Washington, Melody’s Echo Chamber, Whyless

Kamasi Washington

Jazz, tja. Für Spätgeborene ohne Studienrat in der Anrede oder Zeit-Abo ist das ein komischer, staubiger, schwer greifbarer, jedenfalls nicht allzu anziehender Begriff. Jazz, das mögen Eltern, Tendenz Großeltern. Aber Kinder, gar Enkel? Sollten sich zur Erweiterung ihres Horizonts unbedingt mal Kamasi Washington anhören. Der Saxofonist aus Los Angeles hat vor drei Jahren mit The Epic ein Debütalbum produziert, das auch außerhalb seines Fachbereichs hymnisch gefeiert wurde. Nun legt er den Nachfolger vor, der es ebenfalls schafft, die Grenzen zwischen alter und neuer, schwerer und leichter Musik zu durchlöchern, ohne sie vollends zu sprengen.

Geteilt in die Sphären “Himmel und Erde” fliegen sie förmlich durch die Stratosphäre des Sounds und streifen dabei Pop, Soul, Funk und manchmal gar Punkrock ohne E-Gitarre. Begleitet von Kollaborateuren wie Thundercat, Terrace Martin, Ronald Bruner, Jr., Cameron Graves, Brandon Coleman, Miles Mosley, Patrice Quinn oder Tony Austin, die eher in Kamasis Genre ein Begriff sind, erhebt er den Jazz dabei zu einer orchestralen Größe, die auch ohne Gespür für einzelne Noten fasziniert. Heaven & Earth ist Brückenbauer-Musik der allerfeinsten Sorte, oftmals verwirrend, vielfach erhellend, ein Lichtblick im gleißenden Dunkel des Crossover.

Kamasi Washington – Heaven & Earth (Young Turks)

Melody’s Echo Chamber

Einatmen, ausatmen, alles gut? Ach, wären die Wege zu nachhaltigen Lockerung unserer heillos überspannten Zeit doch immer so einfach, wie Melody Prochet es auf ihrer neuen Platte empfiehlt. „Breathe In, Breathe Out“ singt sie auf dem zweiten Stück und fleht sodann mit verhallender Engelsstimme, „there must be some kind of light to come“. Wie auf ihrem Debüt fünf Jahre zuvor ist das schwedische Hippiemädchen bis in tiefere Schichten ihrer Batik-Kleider optimistisch, dass es nun aber wirklich bald Licht werde im Dunkel dieser zerrütteten Tage.

Nur Sekunden, nachdem sie im Opener Cross My Heart bereits Querflöten, Scratching, Breakbeats, Gitarrensoli und Geigenteppiche zu einer mehrsprachigen Collage sommerlicher Zuversicht verwoben hat, mag das vielleicht naiv klingen. Zum einen jedoch ist Bon Voyage kein allzu weltliches, sondern planvoll entrücktes Album. Zum anderen hat Prochet die Indierocker Dungen ins Studio geladen. Sie drängeln ihre Landsfrau immer mal wieder mit einer sanften Tracht Krautprügel aus dem Blumenkinderland. Das Ergebnis ist ein Psychopop, der sein friedliebendes Publikum mit allerlei Wendungen von Gebrüll bis Autotune gelegentlich zum Hyperventilieren treibt. Feueratem nennt sich das im Eso-Fach. Soll sehr befreiend sein.

Melody’s Echo Chamber – Bon Voyage (Domino)

River Whyless

Ist Paul Simon eigentlich noch gut zu Fuß und hat sich kürzlich ein paar hochwirksame Aufputschmittel besorgt, um damit ins Sonic Ranch Studio nach Tomillo/Texas zu fahren? Der fröhlich durcheinander scheppernde Folkpop von River Whyless klingt nämlich so spürbar nach dem Spätwerk ihres Urahnen, als wäre er bei der Herstellung dabei gewesen. Mit ungezügelter, ethnisch aufgeblasener Spielfreude wirbeln Ryan O‘Keefe, Halli Anderson, Daniel Shearin und Alex McWalters auf Kindness, A Rebel die Referenzen alter Country-Helden und neuer Cowpunks so durcheinander, dass es sich abgesehen von ein paar schräg schönen Western-Balladen gelegentlich selbst überholt.

The Feeling of Freedom zum Beispiel klingt mit einem Herb-Alpert-Sample zu Beginn, als habe Paul Simon The Mamas and the Papas exhumiert, um mit ihnen eine Art hochgepitchten Squaredance anzuleiten. Anders als der vorwiegend beschwingte Sound suggeriert, sind O’Keefes Texte zu Andersons oft entfesselter Fidel aber oft von eindringlicher Mitteilungsbedürftigkeit übers Unrecht in der Welt und all die Krisen darin. Schön, dass man sich in diesem Fall davon nicht andauernd belehrt fühlt.

River Whyless – Kindness, A Rebel (Roll Call Records)

 

 

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