Maut-Nostalgie & Lanz-Gegenwart

Die Gebrauchtwoche

6. – 12. August

Der Sommer, der eine Sauna war, war im Grunde ein Winter. Die European Championships nämlich, eine Kopfgeburt der kontinentalen Fernsehgemeinschaft EBU zum Wohle der Aufmerksamkeit für Randsportarten (und ein bisschen natürlich auch ihrer Einschaltquoten), haben in der Tat überproportional große Resonanz für Disziplinen von Triathlon bis Turmspringen erzielt. Man muss bei 35 Grad Außentemperatur zwar konstatieren, dass die Zuschauerzahlen hierzulande bis gestern vor allem bei der vergleichsweise populären Leichtathletik oder den Schwimmwettbewerben über die Millionenmarke stieg. Aber das Konzept könnte in der Tat Zukunft haben – und die Terminkalender der Sportfans nur auch jenseits der Fußball- und Biathlon-Saison mit Überfluss verfüllen.

Das wäre nicht nur angesichts all der Horrornews vom vorgezogenen Klimakollaps über den globalen Rechtsruck mal eine angenehm unspektakuläre Neuigkeit dieser Woche. Die beste allerdings kommt – hoppla! – vom Straßenverkehr. In den vergangenen paar Tagen hat es nämlich die Lkw-Maut mehrfach zur Spitzenmeldung seriöser Nachrichtensendungen geschafft. Zur Erinnerung: Als das Desaster ums Erhebungssystem der Firma Toll Collect vor 16 Jahren zum Skandal anwuchs, war weltpolitisch offenbar so wenig zu verlautbaren, dass es über Monate hinweg an erster Stelle vom verschobenen Start der Straßenbenutzungsgebühr berichtet wurde.

Es war eine Zeit, in der uns Apple allenfalls knubbelige Rechner verkaufte und Google schnelle Informationen. Jetzt ist ersteres ein Unternehmen dessen Marktwert eine Billion Dollar übersteigt, während sich letzteres den Zensur-Richtlinien der chinesischen Diktatur beugt, um rasch ähnlich viel wert zu sein. Es ist demnach eine Zeit, die medienpolitisch betrachtet nicht weiter von jener entfernt sein könnte, in der die ARD-Doku Kulenkampffs Schuhe spielt. Noch ein paar Tage lang erzählt sie uns in der Mediathek von den Fernsehshows vor rund 50 Jahren, in denen sich das kriegs- und naziversehrte wie -verseuchte Land seiner Unschuld versicherte.

Die Frischwoche

13. – 19. August

Vor dem Fernseher saß damals vermutlich auch der kleine Markus, bevor als großer Lanz mithalf, das gute alte Lagerfeuer der TV-Nation zu löschen. Als Talkmaster deutlich erfolgreicher, kehrt er morgen aus der Sommerpause auf seinen Sendeplatz um 22.45 Uhr ins ZDF zurück und wirft auch zehn Jahre nach seinem Debüt abermals und immer wieder die Frage auf, wie es das lineare Programm mit den Streamingdiensten aufnehmen will, wenn Gestalten wie Markus Lanz darin so lange Bestand haben und famose Dokumentationen wie das ikonografische Pop-Porträt Debbie Harry – Atomic Blondie auf Arte (Freitag, 21.55 Uhr) laufen…

Auf Netflix nämlich startet mit der neuen Anime-Reihe Disenchantment des Zeichentrickmagiers Matt Groening am Freitag in Gestalt diabolischer Märchenwesen mit grotesk-philosophischem Humor die Zukunft, während das Öffentlich-Rechtliche höchstens routiniert vor sich hin werkelt. Von den Privaten ganz zu schweigen. RTL zum Beispiel lässt – drei Tage nach der 3000. Folge seiner unverwüstlichen Daily-Soap Alles was zählt – ab Sonnabend zur totalen Primetime allen Ernstes die Fernsehfossile Günther Jauch und Thomas Gottschalk in einer angeblich improvisierten Game-Show antreten, die es unter andern Namen als Denn sie wissen nicht, was passiert! gefühlt 500 Mal schon gegeben hat – ob mit oder ohne Barbara Schöneberger als sexy schlagfertiger Sidekick.

Und auf RTL Nitro wird es selbst dann populistisch, wenn sich der Spartenkanal dem Groening-Genre im Manga-Stil widmet. Die Superhelden-Adaption Iron Man: Rise of Technorave, ist ab Dienstag um 23.35 Uhr nicht nur verglichen mit Groenings dritten Streich nach den Simpsons und Futurama so derart testoststerongeflutet martialisch, dass man sich die Glücksbärchis zurückwünscht. Oder zumindest ins Jahr 1990, das am selben Tag auf gleichem Kanal die Wiederholungen der Woche einleitet. Um 20.15 Uhr zeigt Nitro nämlich den ersten Werner-Film Beinhart!, dessen Spielszenen zwar komplett überflüssig waren; die Comicsquenzen sind dafür bis heute zum Niederknien.

Das gilt frei von jeder Art Leichtigkeit auch für Michael Ciminos Vietnam-Epos The Deer Hunter von 1978, der Freitag um 22.25 Uhr auf 3sat zeigt, wie der Horror des Krieges auch gänzlich ohne Gefühlsduselei inszeniert werden kann. Und weil schwarzweiß nichts zu empfehlen ist, gibt es diesmal gleich zwei Tatort-Tipps: Der frühe Abschied (Montag, 22.15 Uhr, RBB), ein besonders melodramatischer Fall des Hessischen Tagtraumduos Sänger und Dellwo von 2008. Und der Klassiker Schwarzes Wochenende (Dienstag, 22.10 Uhr), wobei das Baujahr (1986) und der Sendeplatz (WDR) schon darauf hinweisen, wie der Kommissar heißt. Gute alte Schimmi-Zeiten…

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