Orions Belte, Jungle, BC Camplight

Orions Belte

Jedes Zeitalter, jeder Musikstil, jede Band hat Untiefen der scheinbaren Belanglosigkeit, in denen nicht mal CDs von Ricky King ganz versinken. Kuschelrock, Eurodance, Chartspop – es gibt wenig, was aus nichts nicht rein gar nichts machen könnte. Selbst die famosen Beach Boys haben Ende der Achtziger ja ein Lied von so debiler Saftigkeit an die Spitze der Hitparaden gesülzt, dass man beim Hören statt Hirn nur Wachs im Kopf noch spürte. Da ist es schwer zu sagen, ob Orions Belt dieses Wachs nun weiter schmelzen oder nur neu verformen wollte, als das norwegische Duo ins Studio ging, um ein Instrumental-Album aufzunehmen. Es klingt schließlich ein bisschen wie Kokomo auf Ritalin und Koks. Vor allem aber klingt es: Fantastisch.

Øyvind Blomstrøm und Chris Holm, die sonst eher Live-Bands auf Tour begleiten, legen hier ein Debüt von so seifiger Verschrobenheit hin, dass sich die artverwandten Laid Back dagegen anhören wie Garagenpunk im Kellerclub. Mint, so heißt die Platte, vermischt (meist) wortlose Sounds aus den Hintergründen der Musikwelt zu einer umwerfenden Melange schmissiger Melodien. Mal schimmert darin bekiffter Krautrock durch, mal hawaiianischer Strandschlager, oft der Score drittklassiger Actionfilme, alles im Unterton der Ironie, der das analog Dargebotene allerdings nie verächtlich macht, weil stets die Liebe zum Aberwitz im Detail durchblinzelt. Ein irres Erstlingswerk, dem gerne mehr, viel mehr noch folgen dürfen.

Orions Belt – Mint (Jansen Records)

Jungle

Es ist ja nicht so, dass Funk und Soul zwingend der Repertoire-Erweiterung bedürfen. Die Bibliothek ist von der Epochengeburt vor gut 50 Jahren bis tief in die Achtziger hinein so gut sortiert, dass es vermutlich mehr hörbare 7′-Singles aus Motown und Kalifornien gibt als Silben in HipHop und Folkrock zusammen. Dennoch entstehen immer wieder Bands, die dem Genre Innovation abringen. Es begann bei Terence Trent D’Arby, nahm mit Jamiroquai Schwung auf, endete noch lange nicht bei Amy Winehouse und findet gerade im Londoner Kollektiv Jungle seine Fortsetzung – eine schillernde, schlicht unwiderstehliche, seitdem es 2014 half, klassischen Funk und Soul wieder gesellschaftsfähig zu machen.

Gegründet von den Schulfreunden Tom McFarland and Josh Lloyd-Watson schafft es nun auch der Nachfolger des weltweit gefeierten, selbstbetitelten Debüts vor vier Jahren ab Takt eins ins Gemüt der Zuhörer. Wie damals ist Four Ever allerdings kein bloßes Aufwärmen tradierter One-Two-Eleganz früherer Zeiten. Die achtköpfige Band entwickelt erneut einen sehr modernen Stil nostalgischer Disco. Mit hoher Kopfstimme mäandert sie geschickt zwischen Earth Wind & Fire und Pharrell Williams, Soul II Soul oder Kendrick Lamar und schüttet dem Rhythmus schwarzer Musik mit elektronischer Beilage garniert etwas wunderbar Jetziges ins Gestrige.

Jungle – Four Ever (XL Recordings)

BC Camplight

In der Popmusik sollte man Texte meist nicht allzu sehr überbewerten. Falls darin von Liebe, Leid, dem Leben und allem Drumherum die Rede ist, geht es meist weniger um Liebe, Leid, das Leben und allem Drumherum als vielmehr die akkurate Begleitung möglichst eingängiger Melodien. Bei BC Camplight indes lohnt sich ein Blick zwischen die Zeilen ihrer zweiten Platte. Scheinbar ein strukturloses Soundsammelsurium, würfelt Deportation Blues von Swing über New Romantic und Progrock bis modernem Synthiepop acht Jahrzehnte wild durcheinander.

Wenn Brian Christinzio dazu jedoch schmuseweich „Welcome a stranger in you world“ fleht und sodann fragt, wo seine Fröhlichkeit geblieben sei. Wenn er fragend Am I Dead? titelt oder feststellend I’m Desperate. Wenn selbst Sehnsuchtsgewäsch im Kreise disharmonischer Drones seltsam existenziell klingt. Dann vertont das sehr bewusst die Biografie eines depressiven US-Italieners mit Hang zur Drogensucht, der kurz vorm Brexit aus England verwiesen wurde und seither zwischen einer ganzen Reihe halber Heimaten herumirrt. All dies macht Deportation Blues zum Konzeptalbum der inneren Zerrüttung, das mal wie ein Tinnitus klingt, mal wie Brian Ferry auf Ritalin, doch stets betörend und originell.

BC Camplight – Deportation Blues (PIAS)

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