Daniel Küblböck & Kim Frank

Die Gebrauchtwoche

10. – 16. September

Über guten Geschmack lässt sich – das Sprichwort ist da variabel – entweder nicht oder gut streiten, aber was Anfang voriger Woche den Boulevard (zurück) erobert hat wie anderthalb Jahrzehnte zuvor Deutschland sucht den Superstar, ist jenseits aller Geschmacksfragen eine der ganz großen Tragödien unserer Regenbogenwelt: Daniel Küblböck ist von Bord eines Kreuzfahrtschiffes in den Tod gestürzt und hat damit – freiwillig oder nicht – eine Existenz im Rampenlicht beendet, die in jeder Hinsicht beispiellos war.

Als der androgyne Kindergärtner aus der bayrischen Provinz Dieter Bohlens kühl kalkulierte Fremdschamshow Ende 2002 zum Quotenhit machte, wurde er eher mehr als weniger manipuliert zur Multifunktionschiffre des Trash-Fernsehens damaliger Prägung. Ein Weilchen tingelte der kaum volljährige Paradiesvogel einträglich, aber selbstentblößt im Lichtkegel der Aufmerksamkeitsindustrie umher; dann spuckte sie Daniel Küblböck wie ausgekautes Kaugummiautomatenkaugummi auf den Asphalt der Realität, wo er sich sehr redlich, letztlich aber erfolglos um Seriosität bemühte.

Dass sein Ex-Ausbeuter Bohlen ein eilends vermarktetes Kondolenzvideo mit Spiegelsonnenbrille und „Be one with the Ocean“ auf dem T-Shirt garnierte, ist da noch nicht mal der größte Zynismus einer gewissenlosen Branche. Viel schlimmer ist die ölige Anteilnahme gehässiger Moralschlachtereien von Bild bis RTL, denen das Wohl gestrauchelter Regenbogencharaktere wie Daniel Küblböck in etwa so wichtig ist wie Hans-Georg Maaßen sozialer Frieden im Land. Immerhin – dass der politisch zur Neutralität verpflichtete Verfassungsschutzchef nach seiner Parteiergreifung für Verfassungsfeinde auch vorige Woche noch im medialen Kreuzfeuer stand, ist auch dem Springer-Kampfblatt und seiner Stichwortnehmer vom Privatfernsehen zu verdanken.

Die Frischwoche

17. – 23. September

Den Öffentlich-Rechtlichen ist dagegen zu verdanken, dass einem Werk von außergewöhnlicher Bedeutung erstaunlich viele Bühnen bereitet werden: Wach, das Spielfilmdebüt des früheren Echt-Sängers um zwei Gleichaltrige seiner Teenyband-Zeit, die sich vornehmen, ganz ohne Drogen so lange wie möglich dem Schlaf zu widerstehen, läuft ab heute parallel im ZDF (0.05 Uhr), in deren Mediathek sowie bei Youtube und offenbart mit Alli Neumann und Jana McKinnon nicht nur zwei ungeheuer intensive Schauspielerinnen, sondern die Gewissheit, dass lineares Fernsehen noch immer zur Innovation tauglich ist.

Das lässt sich sogar am glänzenden ARD-Mittwochsfilm ablesen. Alexander Adolphs Biopic Der große Rudolph über den Modemacher Moshammer enthält sich nämlich diverser Standards des Filmporträtgenres und skizziert das Leben nicht von der Wiege bis zur Bahre, sondern verdichtet den blattgoldglitzernden Aberwitz der Münchner Bussi-Gesellschaft vor 30 Jahren in einer fiktiven Zeitspanne von zwei, drei Tagen. Das Ergebnis ist herausragendes TV-Entertainment mit viel Tiefgang unterm ulkigen Mantel der Komödie.

Ganz anders wahrhaftig – rau, derbe, schmerzlich – ist wenige Stunden später das Kino-Drama Zwischen den Jahren (23.30 Uhr, Arte), in dem Peter Kurth als Ex-Knacki, der nach 18 Jahren Haft um Anschluss in Freiheit ringt, weiter am eigenen Denkmal des derzeit vielleicht besten Charakterdarstellers in Deutschland bastelt. Wenn mit dem Tatort ein anderes Monument freiwillig seinen sonst unverrückbaren Sendeplatz hergibt, könnte man ebenfalls Großes erwarten. Raymund Leys Dokudrama Lehman verarbeitet am Sonntag die Bankenkrise vor zehn Jahren allerdings nicht nur wegen des belämmerten Untertitels Gier frisst Herz eher lausig.

Da ist von Netflix – dessen Eigenproduktion Roma von Alfonso Cuarón sensationell den Goldenen Löwen von Venedig gewonnen hat – mehr zu erwarten. Cary Fukunagas Miniserie Maniac zum Beispiel ist ab Freitag allein schon wegen Emma Stone und Jonah Hill als psychisch labile Teilnehmer eines Arzneimittelexperiments, das ihnen die Realität durcheinanderwirbelt, von herausragender Qualität. Ähnliches gilt dokumentarisch auch für das Porträt des Soulsängers Quincy Jones. Und auch das Fantasy-Epos The Outpost verspricht ab Mittwoch auf Sky beste Unterhaltung.

Apropos: Die Wiederholungen der Woche drehen sich diesmal um Giganten der cineastischen Hochkultur. In schwarzweiß zeigt der HR Montag um Mitternacht die Gaunerkomödie Schade, dass du eine Kanaille bist von 1955 mit Sophia Loren und Marcello Mastroianni. Arte dagegen gedenkt knapp vier Stunden zuvor der großen Romy Schneider mit gleich zwei Filmen: Erst Eine einfache Geschichte von 1978, dann das ein Jahr jüngere Gruppenbild mit Dame. Weit jünger und doch gut abgehangen ist der recycelte Münster-Tatort: Der alte Lott von 2005 mit Alexander Held in einer Doppelrolle.

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