Pilchers Vermächtnis & Lottes Bauhaus

Die Gebrauchtwoche

4. – 10. Februar

Achtung, Zynismus-Gefahr! Mittwoch ist Rosamunde Pilcher mit 95 Jahren von uns gegangen und mit ihr nicht nur die erfolgreichste Autorin unserer Zeit, sondern aus deutscher Sicht auch ein Urkeim der Selbstverzwergung öffentlich-rechtlicher Fiktion. Angesichts von gut 100 Verfilmungen in 25 Jahren, deren Drehbücher oft nur dem Titel nach mit der Autorin zu tun haben, könnte man geneigt sein, nun auf Verbesserung im ZDF-Angebot zu hoffen. Doch zum einen ist der Fundus dieser hochproduktiven Schriftstellerin auch posthum unerschöpflich. Zum anderen bedarf es für belangloses Fernsehen keiner Schnulzenfabrikantin ihres Kalibers mehr.

Einen Teil der Mittel dafür verwaltet nun aber immerhin eine Frau: Christine Strobl ist künftig allein für den Degeto-Etat von 400 Millionen verantwortlich, allerdings völlig unverdächtig, damit couragiertes Fernsehen jener Art herzustellen, wie es von Netflix zu erwarten wäre. Gerade hat der Streamingdienst die ersten drei Filme in deutscher Sprache angekündigt, und die Spekulanten-Satire Betongold deutet ebenso wie das Sozialdrama Freaks mehr Courage an als die ARD freitags in fünf Jahren zeigt. Das ZDF dagegen sichert sich lieber die Ausstrahlung der konventionellsten Serie digitaler Herkunft und zeigt kommenden Winter die Sky-Serie Das Boot.

Aber gut – das Sequel von Wolfgang Petersens Achtziger-Legende dürfte spielend ein Millionenpublikum anlocken. Gut 43 Prozent Marktanteil wie bei der Liveübertragung des 53. Super Bowl auf Pro7 vor acht Tagen dürften allerdings selbst damit unerreichbar sein – wobei man sich angesichts der Quote eher fragt, was die anderen 56,4 Prozent unter 49 bis drei Uhr früh bloß geguckt haben? Na, vielleicht sind um diese Zeit ohnehin nur Sportfans wach, von denen der Rest eben bei Eurosport war, das am Dienstag 30 Jahre alt wird. Das Geburtstagsprogramm: Skispringen, Alpin-WM, Biathlon, das Übliche also zu dieser Jahreszeit.

Die Frischwoche

11. – 17. Februar

Das Übliche ist am selben Abend auch Die Klempnerin auf RTL, was zwar nett gemacht ist, im Titel aber doch mehr Emanzipation verheißt als der zehnteilige Krimi-Plot hergibt. Die Polizeipsychologin Mina Bäumer (Yasmina Djaballah) repariert nämlich keine Leitungen, sondern Seelen. Trotz weiblicher Hauptfiguren unter weiblicher Regie nach weiblichem Drehbuch ist leider auch das ZDF-Drama Vermisst in Berlin mit Jördis Triebel auf der Suche nach einem Flüchtlingskind ziemlich konventionell geraten. Was zwar auch für den ARD-Beitrag zum 100. Geburtstag einer Design-Legende gilt. Doch obwohl Alicia von Rittberg die Studentin Lotte am Bauhaus am Mittwoch leicht auf Romanzen-Niveau drückt, ist der Fokus auf dem Faktor Gleichberechtigung – wie ihn auch die anschließende Doku Bauhausfrauen setzt – absolut lobenswert.

Der scheint ohnehin das Thema der Woche zu sein. Am Samstag bekommt Kommissarin Heller (Lisa Wagner) im ZDF Verstärkung von Lavinia Wilson als toughe, aber nicht burschikose LKA-Ermittlerin. Schon heute zeigt 3sat um 22.25 Uhr das verschrobene Liebesdrama Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern mit Lars Eidinger als Lover eines geistig behinderten Teenagers, der den Grenzgang zwischen Ausbeutung und Hingabe intensiv nachzeichnet. Und an gleicher Stelle feiern tags drauf gleich zwei Berlinale-Beiträge aus sehr diverser Perspektive TV-Premieren: Erst das bedrückende Drama 24 Wochen, in dem Julia Jentsch und Bjarne Mädel 2016 ein mehrfach behindertes Kind erwartet haben, im Anschluss die Großstadtfabel Wild von Nicolette Krebitz um eine Großstädterin, die sich mit einem Wolf anfreundet.

Weniger emanzipiert, aber interessant sind zwei neue Online-Streams: Der Amazon-Vierteiler Lorena beschäftigt sich ab Freitag dokumentarisch mit dem realen Fall einer Frau, die ihrem Mann den Penis abgeschnitten hat. Die Comic-Adaption The Umbrella-Society wildert parallel dazu auf Netflix sehr unterhaltsam im Boom-Genre Superhelden. Die Wiederholungen der Woche dagegen entführen uns in Zeiten sonderbarer Sitten und Gebräuche. Smoke (Mittwoch, 22.45 Uhr, Arte) um den Besitzer (Harvey Keitel) eines Tabakladens in Brooklyn stammt aus dem Jahr 1995, als Rauchen noch irgendwie cool war. Als Militarismus noch irgendwie cool war, durfte Tom Cruise in Top Gun (Mittwoch, 20.15 Uhr, K1) von 1986 noch massenwirksam Männlichkeit mit Waffengewalt kombinieren. Als Sexismus noch irgendwie cool war, jagte James Bond 1962 nicht nur heiße Bienen, sondern auch den Bösewicht Dr. No (Dienstag, 20.15 Uhr, Nitro). Und als David Lynch noch völlig unbekannt war, drehte er das psychotische Schwarzweiß-Experiment Eraserhead (Montag, 0.15 Uhr, Tele5). Unsexy psychosefrei farbig ermitteln Leitmayr/Batic dagegen tags drauf (20.15 Uhr, BR) im 19 Jahre alten Tatort namens Kleine Diebe.

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