Sturm der Liebe & Schwarzwaldniveau
Posted: April 8, 2019 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a comment
Die Gebrauchtwoche
1. – 7. April
Wer je bei Galileo miterleben musste, wie ProSieben-Moderator Aiman Abdallah gewissenlose Sauereien wie Billigfernflüge oder Wintererdbeeren als good news gepriesen hat, müsste zwar vorsichtig sein, wenn es gute Nachrichten im leichten Fach gibt, aber diese hier sind echt bemerkenswert: Das ZDF stellt nach 109 Folgen in 14 Jahren Der Kriminalist ein und die Jugendabteilung Neo nach 6.042.924 Folgen in 140 Jahren Inspector Barneby. Das Erste dagegen kippt bedenkenlos den soziokulturell bedeutsamen Dauerbrenner Lindenstraße vom Sender, gibt aber 400 neue Folgen Rote Rosen und Sturm der Liebe in Auftrag, was ungefähr so deprimierend ist wie die Tatsache, dass der Bauer-Verlag ein Rätselmagazin namens PILAWA mit richtig großen Buchstaben herausbringt.
Aber all dies wäre kaum der Rede wert, hätte sich das Massenfernsehen nicht so willenlos der Lächerlichkeit preisgegeben, als es Greta Thunberg zuvor eine Goldene Kamera für Klimaschutz verliehen hat. Klingt nobel. Doch wie die Schülerin der anwesenden Filmbranche auf dem Podium eigenes Versagen vorwarf und dafür aasigen Applaus erntete, wie sie das Ende fossiler Vergeudung auch im Showbiz forderte und später zusehen musste, wie – kein Witz – ein SUV als Goodie verschenkt wurde, wie sich die ganze Veranstaltung somit in zynischem Irrsinn auflöste, das brachte die Verlogenheit der vielfliegenden, designtragenden, ressourcenintensiven Branche gut auf den Punkt.
Vielleicht ist es da doch keine so schlechte Idee, dass Facebook den Platzhirschen mit der angekündigten Eröffnung eines Nachrichtenkanals weiter Dampf macht. Von den Privatsendern ist diesbezüglich weniger zu erwarten; schon, weil die sich lieber mit Streamingportalen messen wollen, wie der neue RTL-Chef Thomas Rabe nach dem angeblich freiwilligen Rückzug von Gruppen-CEO Bert Habets – als erste Amtshandlung verkünden ließ.
Die Frischwoche
8. – 14. April
Ob das was nützt, wenn selbst schwedische Netflix-Eigenproduktionen wie das sechsteilige Amoklauf-Psychogramm Quicksand ganz ohne Nordic Noir-Sterotypen fesseln oder die amerikanische Dramedy Ein besonderes Leben ab Freitag einen schwulen Behinderten jenseits aller Klischees zur Hauptfigur macht? Im ZDF läuft dagegen ein Zweiteiler mit – steht zu befürchten: Reihenpotenzial. Vor lauter Suspense heißt er Schwarzwaldkrimi und schafft es Montag plus Mittwoch, selbst gute Schauspielerinnen wie Jessica Schwarz dank des bescheuerten Drehbuchs auf Seifenoperniveau zu drücken.
Parallel dazu gelingt es Sat1 heute um 20.15 Uhr unverhofft gehaltvoll, die weit weniger begabte Sonja Gerhardt als Staatsanwältin im Justizdrama Ein ganz normaler Tag gegen jugendliche Gewaltkriminalität kämpfen zu lassen. Und wo wir vorhin schon kurz beim Thema Nordic Noir waren: Das schwedische Gesellschaftsdrama Stockholm Requiem spielt am Sonntag (22.15 Uhr, ZDF) im jüdischen Viertel der Hauptstadt und ist nicht nur sehr dicht, sondern unter Lisa Ohlins Regie sehr weiblich inszeniert, ohne von Liebe, Lifestyle, Trallala zu handeln.
Doch was immer die Woche von Ranga Yogeshwars extrem lehrreicher KI-Reportage Der große Umbruch (Montag, 22.45 Uhr, ARD) über Shahak Shapiras achtteilige Stand-up-Premiere Shapira Shapira (Dienstag, 23.15 Uhr, Neo) und Joachim Gaucks Spurensuche 30 Jahre Mauerfall drei Stunden zuvor im ZDF bis hin zum mehrtägigen Arte-Schwerpunkt zur HipHop-Kultur ab Freitag, 21.45 Uhr, mit der US-Doku Rize und N.E.R.D. in Concert prägt: es steht im Schatten von – nein, nicht Mario Barth, der Mittwoch auf RTL diesmal unter anderem Jürgen Vogel und Dieter Nuhr dazu bringt, ihre Seele an den populistischen Brachialkomiker zu verlieren; alles spitzt sich auf Game of Thrones zu, dessen letzte Staffel von Sonntag um drei Uhr an scheibchenweise auf Sky verabreicht wird.
Gegen das Finale der erfolgreichsten Serie von heute verblassen sogar die Wiederholungen der Woche wie die erfolgreichste Serie der Neunziger Bay Watch, deren 243 Folgen ab Mittwoch um 15.55 Uhr mit 350 neuen Songs bei Nitro laufen. Oder Franics Ford Coppolas Director’s Cut von Apocalypse Now Redux, der Freitag um 22 Uhr auf 3sat mit 190 Minuten fast so lang ist wie Harry Potters Stein der Weisen bei Sat1. Wobei davon natürlich fast eine Stunde auf Werbung entfällt. Reklamefrei ist dagegen der Zeuge der Anklage (Montag, 20.15 Uhr, Arte) in Schwarzweiß von 1942 mit Cary Grant als Ex-Sträfling in einer stilbildenden Ménage à Trois mit einem Jura-Professor und der schönen Nora (Jean Arthur). Buchstäblich ohne Unterbrechung läuft natürlich auch der Tatort, in diesem Fall Fall Nr. 999 Borowski und das gefallene Mädchen von 2016 (Freitag, 22 Uhr, ARD), als Axel Milberg noch mit der wunderbaren Sibel Kekilli in Kiel ermittelte.