International Emmys & Humorpopulisten

Die Gebrauchtwoche

25. November – 1. Dezember

Ob die Segregation der International Emmys eine Art kultureller Apartheid im Geiste amerikanischer Selbstherrlichkeit oder angesichts der kommerziellen Überlegenheit des Entertainments made in USA einfach angemessen ist: als Christian Schwochows Finanzthriller Bad Banks ebenso wie Jannis Niewöhner als Hauptdarsteller des Technothrillers Beat nominiert wurde, hat das schon für Aufregung am Fernsehnebenschauplatz Deutschland gesorgt. Dass es für beide nichts mit der wichtigsten TV-Trophäe geworden ist, wäre allerdings leichter erträglich, hätten die Veranstalter nicht schon beim ersten Preis versehentlich den der besten Dramaserie am Ende aus dem Umschlag gezogen.

Im angereisten ZDF-Team um den Crown-Regisseur war die Luft daher gleich zu Beginn der Party raus. Aber wenn es schon keine Schauspielpreise gibt, verleihen wir hiermit den des populistischsten Komikers an: Dieter Nuhr. Ein Bericht der Kieler Nachrichten, er habe Greta Thunberg mit Hitler/Stalin verglichen, wird zwar dementiert; wie der als Kabarettist getarnte Comedian den bedingungslosen Wohlstand seiner hellhäutigen Geschlechtsgenossen reiferen Alters (um die Phrase vom alten weißen Mann zu variieren) stets publikumswirksam gegen Fridays for Future in Stellung bringt – das ist schon den Goldenen Gauland wert. Oder wahlweise einen Alice Urbach.

Den würde Sibel Kekilli auch gern an jene Medien verleihen, die sie dauernd zur Heimat ihrer Großeltern befragen „Das ist für mich Rassismus“, kommentierte die Schauspielerin Versuche, sie wegen ihres Migrationshintergrundes zur Expertin in Türkei-Fragen zu machen und kündigte gar juristische Schritte an. Immerhin spielt sie 15 Jahre nach Gegen die Wand meist Deutsche oder – wie in der finnischen Thriller-Serie Bullets ab Dienstag bei RTL Crime – allenfalls mal eine tschetschenische Terroristin.

Die Frischwoche

2. – 8. Dezember

In Woche 1 nach dem Ende der Gelddruckmaschinenserie The Big Bang Theory läuft sie jedoch unter ferner liefen. Ganz vorne laufen schließlich Portalformate der gehobeneren Art wie Noah Baumbachs Marriage Story. Freitag zertrümmert das Soziogramm einer scheiternden Ehe auf Netflix alles, was bislang zum Thema Scheidung gedreht wurde, mit einer Eleganz zum Niederknien. Ähnliches gilt abzüglich der Eleganz auch für den tschechischen Achtteiler Wasteland, mit der Magenta TV tags zuvor ein sterbendes Dorf an der polnischen Grenze skizziert. Das ist nicht nur ausgesprochen präzise erzählt, sondern hat auch den besten Vorspann der Seriengeschichte.

Damit kann die stylische Sky-Serie Jett mit Carla Cugino als sexy Meisterdiebin freitags zwar nicht dienen, aber optisch ansprechend ist der italienische Neunteiler schon. Was er mit der Staffel 3 von Marvellous Mrs. Maisel, ab Freitag auf (kauft nicht bei) Amazon teilt. Aber um zu zeigen, dass nicht alles, was kostenpflichtig sichtbar auch sehenswert ist, folgt die explizite Warnung: Wenn History ab Donnerstag zum Schlachter-Casting The Butcher lädt, in dem Profis aus den USA sechs Folgen lang von Rind bis Python Kadaver zerlegen, wanzt sich der Bezahlkanal aus der A+E-Gruppe so berechenbar an Trumps Kernwählerschaft ran, dass nicht nur Vegetarier das kalte Kotzen kriegen.

Wenn es statt fiktional real wird, ist man demnach im linearen Programm immer noch besser aufgehoben. Heute Abend um 0.15 Uhr zum Beispiel reist Marie Wilkes preisgekrönte ZDF-Doku AGGREGAT durch Städte, Redaktionen, Parlamente, um die Lage im Land nach Silvester 2015 zu erkunden. Das Ergebnis ist ein imposantes Panorama sozialer Wirklichkeiten und ihrer Wahrnehmungsunterschiede. Sehenswert ist auch die Geschichte eines Abends, mit der der NDR seit einiger Zeit das Talkshowgenre um tiefsinnige Trinkgelage bereichert. Wenn sie Oli Schulz Freitag im Altenheim erzählt, fehlen zur Geisterstunde zwar Prominente, aber nicht die Tragikomik.

Bevor die Hamburger Kinderkrimiserie Pfefferkörner am Samstag um 8.25 Uhr Folge 200 feiert, doch noch ein öffentlich-rechtlicher Filmtipp: Mittwoch (22.55 Uhr) zeigt Arte 1000 Arten, Regen zu beschreiben, in dem sich Louis Hofmann (Dark) am 18. Geburtstag 85 Minuten vor seinen Eltern (Bibiana Beglau, Bjarne Mädel) im Zimmer verbarrikadiert, ohne ins Bild zu rücken. Zu oft im Bild war jahrzehntelang John Wayne, der die Wiederholungen der Woche eröffnet. Als Teufelshauptmann (Sonntag, 20.15 Uhr, Arte) schuf er 1949 zwar einen seiner vielen Westernklassiker; die anschließende Doku Amerika um jeden Preis porträtiert ihn allerdings als sexistischen Neonazi.

Das exakte Gegenteil war neun Jahre später das schwarzweiße Gefängnisdrama Flucht in Ketten (Montag, 20.15 Uhr, Arte), in dem ein Schwarzer (Sidney Poitier) und ein Weißer (Tony Curtis) den Rassismus jener dunklen Jahre kritisieren. Frei von Politik durfte 2013 Die fette Hoppe (Montag, 21.45 Uhr, HR) sein, den Einstieg von Nora Tschirner und Christian Ulmen in den Weimarer Tatort. Auch mal okay.

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