Christian Drosten & Sigmund Freud

Die Frischwoche

16. – 22. März

In Zeiten wie diesen, tat Florian Silbereisen angesichts der Pandemie kürzlich kund, müsse „man zusammenhalten und aushelfen“. Damit meint der überbezahlte Schlagermillionär zwar nicht, sein überzähliges Geld der virologischen und finanziellen Notversorgung aller zu spenden, sondern bloß den Pop-Nazi Naidoo in der DSDS-Jury zu ersetzen; trotzdem kehrt Covid-19 durchaus bessere Seiten des Egowesens Mensch hervor – auch wenn dazu sicher nicht zählt, dass der überbezahlte Rätselmillionär Günther Jauch in einer Anzeigenkampagne des Bundesinnenministerium beteuert: „Ich bleib zuhause. Weil das Leben retten kann.“

Anders als das Gros der Menschen in diesem Land, bleibt er nämlich in einer riesigen Villa mit Mauer, Park und Dutzenden von Zimmern, die vermutlich voll gehamsterter Luxusartikel sind. Freiwilliger Hausarrest könnte also schlimmer kommen als bei den Jauchs. Etwa bei Big Brother, dessen Geschwistern Sat1 am Dienstag nach Wochen der Isolation erstmals vom globalen Ausmaß der Katastrophe berichtet hatte, was wirklich, also ohne Ironie, herzergreifende Reaktionen nach sich zog.

Die aber dürften bei all jenen, denen aus Sicht von Christian Drosten, dem neuen Superstar der Wissenschaftsmedienpolitik, wirklich Konsequenzen ins weitaus kleinere Haus als bei Jauchs und Silbereisens stehen, ungleich größer sein. Dank flächendeckender Drehverbote und Kinoschließungen steht die Film- und Fernsehbranche im besten Fall vor einer Pleitewelle, im schlechteren vorm Zusammenbruch. Während die lokale Gastronomie demnächst wohl allerorten durch standardisierte Ketten ersetzt wird, überleben in der Popkultur womöglich vor allem Big Player von Netflix bis Disney, die mit dem heitigen Start seiner Streamingplattform Plus fast gespenstisches Gespür für Timing zeigt.

Als Blockbusterfabriken und Streamingdienste profitieren sie so vom Shutdown, dass allerorten die Übertragungsnetze kollabieren; zugleich jedoch fehlen auch hier künftig unabhängige Produktionsfirmen, die der globale Shutdown in den Ruin treibt. Kein Wunder, dass letztere bereits einen Schulterschluss aller Filmschaffenden fordern. Also eine Form der Solidarität, dessen chronischer Mangel ein lebendes Fossil des öffentlich-rechtlichen Monopolzeitalters zu Grabe trägt.

Die Frischwoche

23. – 29. März

Am Sonntag endet nämlich die Lindenstraße. Programmpläne werden in dieser epidemischen Zeit zwar schneller umgeworfen, als man Mutter Beimer oder wahlweise Fußballländerspiel (das Donnerstag ausfällt) kann, aber mit Folge 1758 ist nach fast vier Jahrzehnten Schluss mit der relevantesten Fernsehserie des deutschen Fernsehens aller Zeiten. Aber immerhin – Netflix sorgt für temporären Ersatz.

Heute läuft dort Marvin Krens Achtteiler Freud, das die kuriose Selbstfindungsphase des Revolutionärs der Seelenheilkunde in einen unfassbar unterhaltsamen Fiebertraum gießt. In den Schatten gestellt wird er Freitag drauf von der Miniserie Ultraorthodox, mit der Maria Schrader den autobiografischen Bestseller von Deborah Feldman um eine chassidische Jüdin adaptiert, die ihrem New Yorker Glaubenskäfig entflieht und in Berlin einen Neuanfang wagt. Gerade, weil darin weder Opfer noch Täter religiöser Radikalität bloßgestellt, ist der Vierteiler nicht weniger als eine Sensation und dürfte nächstes Jahr bei den Grimme-Preisen unfassbar abräumen.

Dieses Jahr dürfte die offizielle Verleihung (Freitag, 22.40 Uhr, 3sat) zwar ausfallen. 2020 könnte dann aber auch das ZDF-Drama Ein Dorf wehrt sich (Montag, 20.15 Uhr) ums reale Alpendorf Altaussee bedacht werden, das sich kurz vor Kriegsende gegen die Vernichtung nationalsozialistischer Beutekunst wehrt. Derweil springt das Sky-Original Zero Zero von den Gomorrha-Machern am Donnerstag auf den Zug erfolgreicher Drogenmafiadramen auf. Disney+ startet mit dem liebenswert schrulligen Star-Wars-Spinoff The Mandalorian. Und Heidi Klum castet tags drauf in Making the Cut mal wieder was Neues, nämlich Modelabels.

Schon deshalb stellt die Wiederholung der Woche dieser Feindin weiblicher Selbstentfaltung Rosa von Praunheims Härte entgegen, das Sonntag (0.05 Uhr, ARD) sexuell ambivalenten Berliner Zuhälter Andreas Marquardt (Hanno Koffler) porträtiert. Am Mittwoch zeigt Tele5 um 20.15 Uhr nochmals die brillante Zukunftshalluzination 12 Monkeys von 1995. Und in Schwarzweiß: Nachts, wenn der Teufel kam (Montag, 20.15 Uhr, Arte), ein vielfach preisgekrönter Nachkriegsfilm (1957) über die SS-Obrigkeit der letzten Kriegstage.

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