Julie Zeh: Brandenburg & Unterleuten
Posted: March 19, 2020 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |Leave a comment
Ich habe noch untertrieben
Mit dem gelungenen Fernsehdreiteiler Unterleuten (in der ZDF-Mediathek) um ein zerrissenes Dorf im Kampf um Windräder, wurde nun der nächste Roman von Juli Zeh (Foto: Sven Mandel/rawpic) verfilmt. Ein Gespräch mit der 45-jährigen Bonnerin über Parallelen zur eigenen Haustür in Brandenburg, Schreiben fürs Fernsehen und ob sie ein Buch über ihre Arbeit als Landesverfassungsrichterin plant.
Von Jan Freitag
freitagsmedien: Frau Zeh, kennen Sie Rainald Grebe?
Juli Zeh: Ich verehre Rainald Grebe sogar!
Wie viel von seiner hassliebenden Brandenburg-Hymne steckt in ihren Roman Unterleuten und dessen Verfilmung?
Rainald Grebe blickt bei allem Spott überaus liebevoll auf Brandenburg. Das steckt auch bei mir drin. Man ist zwar manchmal fassungslos, dass es inmitten einer der größten Industrienationen der Welt so eine Ödnis gibt, aber dafür können die Leute vor Ort ja nichts. Weil Buch und Film verschiedene Kunstwerke sind, möchte ich hier nicht für Matti Geschonneck sprechen, aber mein Hauptanliegen war es, die Leute auch dann verstehen zu wollen, wenn sie krasse Sachen machen.
Wie krass hätten Sie persönlich denn reagiert, wenn Ihnen in Ihrem Dorf jemand einen Windpark vors Fenster bauen will?
Ich glaube da niemandem, der behauptet, es sei ihm egal. Vor zehn Jahren hätte ich das wohl noch kritischer gesehen; man gewöhnt sich ja an fast alles. Aber auch heute wäre ich vermutlich entsetzt. Von daher würde ich bei so einem Projekt erwarten, dass man bei aller Notwendigkeit der Energiewende ehrlich zu mir ist und akzeptiert, dass ich den Park scheiße finden darf, wie es viele in Unterleuten tun. Unserer aufgeheizten Gesellschaft täte es generell gut, wenn die Leute mehr Verständnis füreinander entwickeln.
Ist es ein pädagogischer Ansatz Ihrer Literatur, den Lesern dieses Verständnis zu erleichtern?
Ich sträube mich zwar gegen den Begriff „pädagogisch“, aber irgendwie besteht das Wunder von Literatur und teilweise auch Film doch darin, in die Köpfe und Herzen der Leute wirklich eindringen zu können. Dieses Lichtschwert führe ich mit großer Freude. Weil es mir Spaß macht, weil ich es interessant finde, weil es spannend ist und am Ende auch politisch. Empathie und Zivilgesellschaft sind ja eng miteinander verbunden.
Aber schaut Unterleuten wirklich in echte Köpfe und Herzen, oder sind es überspitzte Abstraktionen?
Meine Literatur versucht zwar grundsätzlich realistisch zu sein, aber ich blicke beim Schreiben natürlich zunächst in meinen Kopf und mein Herz. Insofern sind die Figuren schon Abstraktionen, aber ehrlich: ich habe an keiner Stelle übertrieben, eher schon untertrieben (lacht). Wenn ich das nicht getan hätte, wäre „Unterleuten“ vielen als Farce erschienen.
Das heißt, die Figuren laufen tatsächlich auch bei Ihnen zuhause rum?
Ja, wenngleich in mehreren Dörfern der Umgebung. Umso mehr habe ich versucht, den Leuten nie an den Karren zu fahren; erstens, weil ich meinen Alltagsfrieden nicht gefährden will, und zweitens, weil ich niemanden verletzen will. Von daher beschreibe ich eher Typen als Personen. Am nächsten an einer realen Figur ist da der LPG-Chef Gombrowski.
Gespielt von Thomas Thieme.
Solche Männer gibt’s in Ostdeutschland überall.
Wenn man LPG durch Baufirma ersetzt, allerdings auch in Westdeutschland.
Wobei am Ost-Patriarchen besonders ist, dass sich in ihm oft der Systembruch vollzieht – erst Genossenschafts-, dann GmbH-Chef, von dem die einen behaupten, er habe das Dorf gerettet, und die anderen, er habe sich das Dorf unter den Nagel gerissen.
Hätten Sie als Drehbuchautorin die Geschichte und ihre Figuren eigentlich so gewichtet wie Magnus Vattrodt?
Als ich die Drehbücher gelesen habe, hatte ich tatsächlich eine Art Checkliste im Kopf und hätte nur eine Figur anders dargestellt: Linda Franzen. Als Satansbraten einer Geschichte, in der echt alle Mist bauen, ist ihr Mist zwar auch im Buch zentral; sie kommt mir im Film aber trotzdem zu kalt und berechnend weg. Ihr fehlt da die verletzliche Seite. Sie ist in Wahrheit eine schwache Frau, die in einer Optimierungsspirale steckt.
Können Sie als Autorin der Vorlage loslassen und die visuelle, dramaturgische Idee des Fernsehens akzeptieren?
Das kann ich und hab es ja auch schon mit mehreren meiner Romane so gemacht. Andernfalls könnte ich es auch gar nicht ertragen, sie für Verfilmungen, aber auch Theaterstücke und Hörspiele freizugeben. Wenn ich diesen Schritt mache, sage ich zum Buch: geh‘ in die Welt und mach was dir gefällt! Natürlich möchte ich, dass es gut wird, aber der Schmerz, falls es doch mal anders kommt, wird so geringer.
Und bei Unterleuten?
Ging es ganz gut, loszulassen. Zu Spieltrieb und Schilf existieren auch Verfilmungen, andere wurden teils aufwändig zu Drehbüchern gemacht, aber nicht umgesetzt.
Wenn man wie Sie so regelmäßig verfilmt wird – beginnt man dann schon beim Schreiben, auf Visualisierungsmöglichkeiten zu achten?
Einmal, bei Nullzeit. Da hatte ich mit meinem Mann darüber gesprochen, ob er das Drehbuch dazu schreibt. Ich kenne mich ein bisschen mit Drehbuchdramaturgie aus und habe bewusst auf nur vier Personen in Einheit von Ort und Zeit gesetzt, was sich gut verfilmen lässt. Im Gegensatz zu Unterleuten übrigens, wo ich zunächst gar nicht wusste, wohin die Reise geht. Als dann klar war, dass auch dazu Drehbücher entwickelt werden, dachte ich erst nur: Na, viel Spaß!
Sie sind nebenbei noch Juristin und arbeiten am Brandenburger Verfassungsgericht.
Ich bin dort Richterin. Wie alle Verfassungsrichter der Bundesländer übrigens im Ehrenamt – wir machen das vor allem aus Liebe zur Demokratie. Es ist schön, mal ganz direkt was für die Gesellschaft zu tun.
Können Sie sich vorstellen, mal ein Buch aus diesem eher spröden Umfeld zu schreiben.
Man kann aus jedem Mikrokosmos spannende Geschichten erzählen, sobald mindestens zwei Menschen aufeinandertreffen. Und wenn das dann noch im Zusammenhang juristischer Streitigkeiten passiert, knallt es oft richtig.
Dazu muss man ja nur mal Ferdinand von Schirach fragen.
Das Leben ist halt fünftausend Mal krasser als jede Fiktion. Und Strafrechtsakten sowieso. Ich habe aber bislang nie einen echten Fall für meine Geschichten verwendet. Ich muss mich immer erst mehrere Jahre in einem Mikrokosmus aufhalten und ein Gefühl von Fassungslosigkeit kriegen, vorher kommt bei mir kein Schreibimpuls. Ich brauche einen Abgrund.