Atemnot & Barrikaden

Die Gebrauchtwoche

1. – 7. Juni

Zerstörung kann das Alte vernichten, um darauf etwas Neues, womöglich Besseres zu errichten. Nimmt man den selbsternannten Conan Rezo beim Wort, hat die Zerstörung der CDU vor einem Jahr allerdings weder für das eine noch das andere gesorgt. Trotz aller Krisen und Querelen führt die Kanzlerinnenpartei sämtliche Umfragen solide an und ist damit – hoffentlich – das Rolemodel fürs nächste Objekt im Visier des Youtubers: Die Zerstörung der Medien.

Nach drei von 60 Minuten gut recherchierter, gewohnt eloquenter, jugendsprachgesättigter Schnellsprechattacke jedoch relativiert Rezo den dekonstruktiven Ansatz und begnügt sich eher konstruktiv damit, „Missstände“ aufzudecken, die „Vertrauen zerstören“. Trotzdem ist auch dieser Angriff zuweilen ein wenig wild. Rezo setzt den Regenbogen mit Journalismus gleich und Bild mit Qualitätspresse, er verwechselt Haltung und Stil mit Handwerk und Fakten, ist also nicht vor Miss(ver)ständ(niss)en gefeit, die das Vertrauen in Rezo (zer)stören. Was er allerdings ebenfalls ist: absolut notwendig.

Wie unseriös selbst seriöse Medien manchmal arbeiten, zeigt ja nicht nur der Feldzug des Springer-Konzerns gegen alle journalistischen Minimalstandards im Umgang mit Christian Drosten; man konnte es auch gut in den Talkshows über die Unruhen der USA nach dem Tod von George Floyd erleben, bei dem die Polizei nach ersten Zählungen 45 Journalisten verhaftet und 132 attackiert hat. Sandra Maischberger und Markus Lanz brachten nämlich das Kunststück fertig, ohne Opfer über Rassismus zu diskutieren, was die hastig nachgeladenen Priscilla Layne und Mo Asumang nur schlimmer machten.

Die Frischwoche

8. – 14. Juni

Weitsicht beweist diesbezüglich Netflix, wo Freitag Spike Lees Da 5 Bloods um farbige Vietnam-Veteranen anläuft, die an den Kriegsschauplatz von damals reisen und dabei auch dem anhaltenden Rassismus ihrer Heimat nachspüren. Auf andere Art rückwärtsgewandt zeigt sich der Streamingdienst zeitgleich mit einer Abwerbung von Youtube. Nach ein paar Netzausgaben wandert Frank Elstners Kuscheltalk Wetten, das war’s? aufs Videoportal.

Der Gastgeber allerdings mag ein verdienstvoller Star des hiesigen Unterhaltungsfernsehens sein; die langen Dialoge mit Epigonen wie Klaas Heufer-Umlauf sind in ihrer biederen Harmlosigkeit eher öde. Auf den Barrikaden sind andere, etwa die Protagonisten der gleichnamigen, durchaus erhellenden ARD-Doku (Montag, 20.15 Uhr) über verschwörungsideologische Hygiene-Demos unserer Tage.

Auf die Barrikaden gehen sollte man parallel dazu symbolisch gegen das Pilotprojekt der „European Alliance“, in der das ZDF gemeinsam mit RAI (Italien) und FTV (Frankreich) hochwertige TV-Kost anrühren will. Der sechsteilige Spionagethriller Mirage um irgendwas mit Liebe, Verrat, Atomkraft und Arabern ist nämlich noch konventioneller als der deutsche Titel Gefährlich Lügen und entfacht damit ein ähnlich laues Feuer wie die Geisterspiele im DFB-Pokal, den das Erste ab Dienstag überträgt.

Die letzten Zuckungen des Lockdowns erleben wir derweil ab Dienstag auf Youtube und ab Sonntag bei TNT. Dann startet die fünfteilige Impro-Dramedy Ausgebremst mit Maria Furtwängler, die vom geplanten Suizid versehentlich zur Seelsorgerin wird und dabei Kolleg*inn*en von Maren Kroyman bis Annette Frier Lebenshilfe erteilt. Da die Branche langsam in den Normalbetrieb zurückkehrt, könnten aber nicht nur solche bemerkenswert professionell gemachten ad-hoc-Produktionen bald schon weider Geschichte sein – und zugleich das digitale Innovationsmonopol sachte wanken.

Bis dahin aber saugt Netflix mit der Klinikserie Lennox Hill und dem Schlussakt des Highschooldramas Tote Mädchen Lügen nicht nochmals Aufmerksamkeit ab, die das lineare Fernsehen immerhin noch mit den Wiederholungen der Woche erzielt. Am Samstag zum Beispiel mit dem vierstündigen Bandportrait Stayin‘ Alive – Die spektakuläre Story der Bee Gees von 2013 auf Vox, tags drauf mit Stephen Daldrys Coming-of-Age-Perle Billy Elliot (2000) auf Arte, am Mittwoch (22.05 Uhr, MDR) mit Dror Zahavis Leipziger Tatort: König der Gosse von 2016.

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