Gesundheitsdoku & Dokumaulwurf
Posted: April 5, 2021 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a commentDie Gebrauchtwoche
29. März bis 4. April
Während eine sprunghaft steigende Zahl Einzelfälle der strukturkorrupten CDU/CSU die Pandemie zur Selbstbereicherung mit medizinischem Material nutzt, während Querdenkende aller Herren Lager dem Pflegepersonal ins Gesicht spucken, während ihm der bürgerliche Rest ab und zu mal gönnerhaft vom Balkon zuklatscht, hat Pro7 am Mittwochabend einmal mehr allen gezeigt, wohin sich Anstand und Ethik des Privatfernsehens verkrümelt haben.
Statt um 20.15 Uhr zweimal 9-1-1-Notruf L.A. und Seattle Fire Fighters zu zeigen, räumte der kleine Bruder von Sat1 seine Primetime für eine Reportage aus dem Uniklinikum Münster. Durch den Wackelblick ihrer Bodycam führt die Pflegerin Meike Ista vom Morgengrauen an sieben Stunden unsichtbar durch ihren Arbeitsalltag, während Kolleg*innen anderer Einrichtungen im Splitscreen schildern, wie kaputt das Gesundheitssystem ist, wie unterbesetzt, überlastet – und wie das Personal darin auf applaudierende Balkons pfeift, sofern man ihnen endlich Respekt, Geld, Zeit, Anerkennung spendet.
Obwohl das Hauptprogramm an Ereignislosigkeit kaum zu unterbieten war, verbuchte ProSieben gut zwölf Prozent, in der Zielgruppe gar 17,2 Prozent Quote – gegen Fußball auf RTL und das Märchen eingefahrener Sehgewohnheiten, die angeblich ständiger Reizüberflutung bedürfen. Die qualitativ wie quantitativ abgestürzte Sendermutter Sat1 landete unterdessen mit Bullshit-Fernsehen à la Claudias House of Love in der Publikumsgunst hinter Nitro im Promillebereich.
Kurz, bevor Hape Kerkeling so auszusehen beginnt wie Jens Riewas Vater, hat RTL ihn wie zuletzt 2015 in Let’s Dance für einige Shows und Serien verpflichtet. Noch während sich der Komiker Helmut Schleich allen Ernstes das Gesicht dunkel färbte, um einen afrikanischen Sohn von Franz-Josef Strauß zu spielen, hagelte es Rassismusvorwürfe an den BR. Und nachdem CEO Julia Jäkel so auszusehen begann wie Sabine Christiansen, verlässt sie G+J, wo künftig ihr Vorstandskollege Stephan Schäfer (46) daran mitarbeiten wird, Bertelsmann mit RTL zu fusionieren.
Die Frischwoche
5. – 11. April
Ob das etwas daran ändert, wie belanglos der Ex-Marktführer ist? Schwer zu sagen. Aber in dieser Woche ist das Bemerkenswerteste die Intelligenzverachtung Pocher vs. Influencer ab Mittwoch. Zwei Tage zuvor macht es ZDFInfo: Für seine Frontaldoku The Mole schickte der dänische Filmemacher Mads Brügger den arbeitslosen Koch Ulrich Larsen nach Nordkorea, wo er mit dem falschen Milliardär „Mr. James“ illegale Waffendeals einfädelt. Das ist fast zu bizarr, um wahr zu sein, aber von der ersten bis zur 120. Minute so real, dass es schmerzt.
Gleiches gilt auf leichterem Niveau für einen Film der New York Times, die nun auch beim Streamen mitmischt. Framing Britney Spears porträtiert den weiblichen Megastar der Boygroup-Ära ab heute auf Amazon als selbstbestimmtes Opfer einer misogynen Branche, die es gezielt in den Abgrund gerissen hat. Ebenfalls auf der Sachebene gutgemacht dürfte der Late-Night-Ausflug des Podcasters Tommi Schmitt (Gemischtes Hack) sein. Ab Donnerstag leuchtet sein Studio Schmitt die Schnittmengen von Realität und Fiktion aus.
Eine Schnittmenge, die auch Ralf Husmanns neuester Streich, bei dem das Lachen im Halse steckenbleibt, ab Donnerstag auf TVNow liefert: Mirella Schulze rettet die Welt acht Teile lang in Gestalt eines 13-jährigen Quälgeistes, der nicht nur optisch an Greta Thunberg erinnert, sondern zum Leidwesen ihrer Umgebung inklusive lokalem Chemiekonzern und eigener Familie auch noch ständig Recht hat mit ihrem Einsatz fürs Klima. Bei AppleTV trifft Oprah Winfrey dafür Mittwoch eine leibhaftige Freiheitskämpferin: Amanda Gorman.
Der Rest in Stichworten: Tom Hanks brilliert heute auf Sky als Der wunderbare Mr. Rogers. In der SyFy-Serie Resident Alien leben Außerirdische ab Donnerstag unter uns. Der Neo-Zwölfteiler Dead Pixels karikiert Freitag eine britische WG unverbesserlicher Gaming-Nerds. Und schon, weil es so selten ist: Doktor Ballouz hat tags zuvor mit der medizinischer Realität zwar so viel zu tun wie das Querdenker-Kuscheln der Stuttgarter Polizei mit Recht & Ordnung, aber einen so schön traurigen Chefarzt, hat die ZDF-Medizin noch nie gesehen.