Merab Ninidze: Dr. Ballouz & Caroline Link

Filme sind nun mal Quatsch

Merab Ninidze stammt aus Georgien, lebt in Wien und ist seit dem KZ-Drama Hasenjagd von 1994 ein Star der stilleren Art, die ihn über Caroline Links Nirgendwo in Afrika zur HBO-Serie Homeland führte. Dass er nun den ZDF-Arzt Doktor Ballouz spielt, könnte ein Rückschritt sein – wäre sein seelenwunder Klinikchef nicht völlig anders als die meisten seiner Kollegen. Der 55-Jährige über Fernsehquatsch, Zeitkonten, seinen Akzent und wo er sich am heimischsten fühlt.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Herr Ninidze, der erste Satz von Doktor Ballouz beginnt mit den Worten „Ich schaff‘ das nicht!“. Hat sich ein deutscher Fernseharzt zum Einstieg schon mal so klein gemacht?

Merab Ninidze: Vermutlich nicht, aber ich bin auch kein Experte für Arztserien. Genau dieses Understatement gefiel mir jedoch sofort an der Rolle. Er ist zunächst mal Mensch, dann Mediziner.

Was unterscheidet ihn noch vom Rest seiner Branche im Fernsehen?

Sein völliger Mangel an Oberflächlichkeit. Ballouz ist komplett echt und unverstellt, schaut jedem in die Augen, ist nicht nur neugierig, sondern gelegentlich philosophisch und ergänzt das Fachliche ein bisschen spirituell, wie er mit seiner toten Frau redet. Das ist abgesehen von seiner Herkunft einmalig und soll auch kein Trick der Drehbuchautorin sein, um ihn interessant zu machen, sondern die Zustandsbeschreibung eines emotional verwirrten Mannes, dessen Schmerz unerträglich scheint.

Was in deutscher Fernsehfiktion weder sonderlich männlich noch sonderlich ärztlich ist.

Aber dafür sorgt, dass er sich gut mit seinen Patienten identifizieren kann, deren wesentlicher Grund, Ärzte aufzusuchen, ja genau das ist: Schmerzen, Ängste, Existenzängste, zuweilen Todesängste. Darin liegt ein wesentlicher Grund dafür, dass Dr. Ballouz so wenig Wert auf Äußerlichkeiten legt, ob er also überhaupt wie ein erfolgreicher Chefarzt rüberkommt.

Ist es Ihnen wichtig, äußerlich wie ein erfolgreicher Schauspieler überzukommen?

Nein! Die Arbeit ist mir wichtig, die Entscheidung darüber, überlasse ich dem Publikum. Und Dr. Ballouz spricht ja auch nicht in dieser medizinischen Fachsprache, dafür fühlt er sich dem Leid seiner Patienten einfach zu nah.

Aber da liegt doch der Fehler im System. Von Stations- und Chefarzt über Gynäkologe und Psychologe bis hin zu Seelsorger und Personalchef ist Dr. Ballouz nahezu alles und zwar mit einem schier unerschöpflichem Zeitkonto, aus dem er ständig lange Einzelgespräche schöpft. Das ist doch völliger Quatsch.

Klar, aber Filme sind nun mal Quatsch! Das dürfen sie auch sein; wir erzählen ja Geschichten, keine Dokumentationen, allerdings im Rahmen der Wirklichkeit, sonst wären es Märchen. Bei den Regieanweisungen von Andreas Menck, der die ersten drei Folgen gemacht hat, habe ich öfter gesagt, Ballouz müsste doch wie jeder Mensch mal irgendwas Egozentrisches, Unangenehmes haben. Da meinte er: Nein. Unser Krankenhaus mag realistisch sein, aber Ballouz ist Meister Yoda. Sie wissen ja, woher ich stamme.

Ursprünglich aus Georgien.

In dem Land hatten Mediziner genau diesen Status. Es waren zwar keine Wunderheiler, aber für alles zuständig. Sie mussten daher auch alles einigermaßen gut können. Gynäkologen und Zahnärzte in einem, kein Problem. Hier mag das ein wenig märchenhaft klingen, aber so was gibt es.

Rührt seine innere Ruhe dabei eigentlich auch aus ihrer Persönlichkeit her? Man kennt Sie eigentlich nur so tiefenentspannt…

Glauben Sie mir, ich habe auch wildere Rollen gespielt, und weil es so wenige waren, liegen sie mir auch sehr am Herzen. Aber klar, ich würde mich selbst auch als ruhigen Menschen bezeichnen, der sich zwar schnell mal aufregt, aber umso schneller wieder beruhigt. Angesichts dessen, was ich in meinem Leben bereits durchgemacht habe, war das auch wichtig, um mich nicht zu verlieren. Und das strahlt natürlich auch auf meinen Rollen ab.

Die selten etwas wirklich Leichtes, gar Heiteres haben.

Dabei war ich als junger Mensch ein Clown, der Schauspieler geworden ist, weil er die Leute zum Lachen bringen konnte. Schon interessant, dass ich sie in dieser Serie eher zum Weinen bringe (lacht). Wichtiger an dieser Figur ist aber, Kranken die Angst zu nehmen. Dafür sind Ruhe und Herz unerlässlich. Deshalb – noch mal zurück zur Frage nach dem Realismus.

Ja?

Vielleicht sollten wir Dr. Ballouz nicht als wirklich, sondern wünschenswert sehen. Gerade in unserer Zeit könnte es inspirierend sein, dass da jemand in dieser Position nicht an Macht und Geld interessiert ist, sondern seinen Mitmenschen. Damit hat er auch in mir was Verborgenes, fast Archaisches geweckt – das Bedürfnis ganz pur, ehrlich, rein zu sein. Das ist in einem metaphysischen Beruf wie meinem, wo man ständig jemand anderes ist, heilsam.

Interessanterweise wird die Herkunft von Dr. Ballouz zumindest bislang kaum thematisiert. Spielt sie auch im weiteren Verlauf keine Rolle?

Ganz zu Anfang gab es mal die Idee, das zu tun. Mich hat das nicht nur deshalb erschrocken, weil ich selber aus Georgien stamme, sondern weil mir das so egal vorkommt. Ja, er hat einen Akzent, heißt anders als Müller und erwähnt manchmal, dass in seiner Heimat Krieg herrscht, aber was würde es der Geschichte bringen, das zu vertiefen? Am Ende hätte es von der persönlichen Geschichte, die wir erzählen, in eine Richtung abgelenkt, über die ohnehin zu viel geredet wird. Erinnern Sie sich an die Szenen in der Klinikkapelle?

Wo Dr. Ballouz gern mal seine Pausen verbringt?

Beim Drehen dort habe ich mal gefragt, welche Religion er eigentlich hat. Da haben zwar alle gelacht, aber niemand wusste die Antwort, einfach weil es egal ist. Das ist es bei meinen Rollen sonst anders. Bis auf Nirgendwo in Afrika von Caroline Link, wo ich ein deutscher Jude war, spiele ich ja ausschließlich irgendwie ausländische Figuren. Da fand ich es toll, wie wenig bedeutsam mein Hintergrund hier ist.

Spielt dieser Hintergrund in Ihrem Alltag denn eine Rolle?

Zuhause nicht, aber sobald ich im Supermarkt bin, natürlich schon. Bis heute neige ich dazu, mich dort für sprachliche Lücken zu entschuldigen. Das bleibt für einen Migranten wie mich wohl immer so. Aber das ist kein großes Problem, ich habe mich eigentlich fast nie diskriminiert gefühlt. Und wenn doch, versuche ich es nicht ernst zu nehmen.

Wo fühlen Sie sich nach je einer Hälfte Ihres Lebens in Georgien und Österreich oder Deutschland denn heimisch?

Ich bin sehr gerne in Berlin, das vermisse ich am schnellsten, wenn ich woanders bin. In Georgien fühle ich mich mittlerweile fremder als in Österreich, das mir mein Leben gerettet hat.

Inwiefern?

Durch die Arbeit entwickeln sich Netzwerke und persönliche Kontakte, die in der Mehrzahl in den letzten Jahren in Deutschland entstanden sind. Aber wissen Sie, wo ich mich am heimischsten fühle?

Na?

Bei Dreharbeiten!

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