ARD-EM: Sedlaczek & Neumann

704x396Emanzipation ist nicht nur Frauensache

Als Sportjournalistinnen im Männerbusiness Fußball sind Esther Sedlaczek und Claudia Neumann Kummer gewohnt. Jetzt arbeiten beide für die ARD und zeigen bei der Europameisterschaft gerade, wie irrelevant ihr Geschlecht ist, wenn es um Qualität geht. Ein Gespräch über EM-Euphorie, Medien-Sexismus und wie weit die Sportschau vom Matriarchat entfernt ist.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Frau Neumann, Frau Sedlaczek – wissen Sie, wo Sie am 11. Juni, dem Tag des EM-Eröffnungsspiels, sein werden?

Esther Sedlaczek: Also ich bin in Hamburg.

Claudia Neumann: Weil wir Reporter noch immer von den Corona-Regeln und Inzidenzzahlen abhängen, weiß ich es tatsächlich noch nicht genau. Am 12. kommentiere ich zwar Russland gegen Belgien in St. Petersburg, weiß aber auch noch nicht genau, von wo aus.

Sedlaczek: Die Moderation jedenfalls findet sowohl bei uns in der ARD als auch beim ZDF, wie ich meine, komplett in Deutschland statt.

Neumann: Aber auch für Reporter macht es vorerst keinen Sinn, Reisen in alle ausrichtenden Länder zu planen, wo man womöglich vor Ort oder nach der Rückreise fünf Tage und mehr in Quarantäne muss. Wir planen da mindestens doppelgleisig, das wird sehr spannend und frisst wohl mehr Zeit, Geld und Nerven als die eigentliche Durchführung.

Sedlaczek: Deshalb mache ich bei meiner EM-Premiere auch keine Field-Interviews, sondern bleibe mit dem Sportschau-Club komplett im deutschen Studio. Immerhin ist das sehr viel leichter planbar. Meine Reiserouten stehen längst: Hamburg-München-Hamburg-München.

Aber wie soll bei all den Unwägbarkeiten so was wie Fußballstimmung, gar EM-Euphorie aufkommen?

Neumann: Ach, ich bin diesem Sport so nah, dass meine Gemütslage von der fußballerischen Qualität abhängt. Wenn die stimmt, verbessert sich meine Stimmung automatisch. Denn machen wir uns nichts vor: das übliche Drumherum so großer Turniere, Esther kennt das ja auch schon von Champions League, ist für uns Journalisten selten von euphorischer Stimmung geprägt. Akkreditierungen, Sicherheitsvorkehrungen, Schlangestehen, Abwarten.

Sedlaczek: Jetzt noch ergänzt um Schnelltests.

Neumann: Das war ohnehin immer nervig. Als Journalisten befinden wir uns da seit jeher in einer Blase. Während immerhin wieder Publikum im Stadion sein darf, wird allerdings die Atmosphäre in den Städten, der Kontakt zu den Menschen vor Ort, die Begegnungen mit den Fans umso mehr fehlen.

Sedlaczek: Wir haben bei Sky ja auch vor Corona schon wichtige Spiele wie das DFB-Pokalfinale aus dem Studio gemacht, das kenne ich also schon. Und durch die Pandemie haben wir uns ein wenig an größere Distanz bei weniger Atmosphäre gewöhnt. Umso nervöser werde ich sein, am 11. Juni das erste Mal für die ARD bei so einem Ereignis vor der Kamera zu stehen.

Nervös im Sinne von Hose voll oder im Sinne von aufgeregt?

Sedlaczek: Nee, meine Hose bleibt leer (lacht), aber die Mischung aus Vorfreude, Anspannung und Konzentration, die ich vor jeder Sendung habe, wird in der Situation vermutlich noch etwas größer sein. Bei einer neuen Herausforderung steht man natürlich unter anderer Beobachtung und will besonders gut performen. Eine halbe Stunde vorm Beginn geht einem der Allerwerteste daher schon noch mal auf Grundeis, aber sobald das rote Lämpchen leuchtet, kommt der Spaß.

Neumann: Eine Portion Anspannung bleibt wohl stets, aber den Druck eines Millionenpublikums, das teilweise auf Fehler nur wartet, habe ich mit meiner Erfahrung ganz gut im Griff. Und weil ich weniger im Bild bin als Esther, ist die Beobachtung auch eine andere. Zum Glück (lacht).

Anderseits war die Beobachtung für Sie als erste Frau, die 2018 ein WM-Spiel der Männer kommentieren durfte, enorm.

Neumann: Das stimmt natürlich, da schwappte einiges aus Deutschland nach Russland rüber. Das wurde auch mit der Chefredaktion besprochen, die sehr beruhigt war, wie – ich will nicht sagen locker, aber souverän ich mit der Netz-Hetze umgegangen bin. Doch wer wie ich in Russland 2018 rund drei Wochen bis zum Achtelfinale quer durchs Land gereist ist, für den war der Zeitplan so straff, dass er wenig Möglichkeiten bot, sich mit allzu vielem darüber hinaus zu beschäftigen. Aber das ist kein Thema mehr, ich bin fein mit allem, auch mit den scheinbar unvermeidbaren Social-Media-Reflexen. Punkt, Aus, Ende.

Heißt Punkt, Aus, Ende für Sie, am liebsten gar nicht mehr übers Thema Frauen im Fußballjournalismus und den irritierenden Sexismus, der dabei noch immer offenbart wird, reden zu wollen?

Sedlaczek: Mir wäre es in der Tat am liebsten, wenn die Frage nach Frauen im Fußball gar nicht mehr gestellt würde. Aber da sind wir nun mal noch nicht, weshalb auch unsere Stimmen gebraucht werden, um auf Missstände aufmerksam zu machen.

Neumann: Denn machen wir uns nichts vor: Medienfrauen im Männerfußball sind abgesehen von der Printbranche, wo sie etwas unauffälliger Topjobs erledigen, weiter ein Riesenthema. Aber wir werden es nicht verkleinern, indem immer nur auf die negativen Aspekte Bezug genommen wird. Umso mehr spüre ich mittlerweile eine gewisse Verantwortung und Sensibilität, dabei zu helfen, Frauen im Sportjournalismus sichtbar, also normal zu machen. Vielleicht braucht es dafür der Erfahrung und Reife aus 30 Berufsjahren, die ich mitbringe.

Sedlaczek: Jeder Kollegin, aber auch jeder Kollege muss da für sich entscheiden, wie er oder sie damit umgeht. Emanzipation ist ja nicht nur Frauensache und Sexismus weit über unseren Arbeitsbereich hinaus ein gesellschaftliches Problem. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass es nach der Geburt meiner Tochter hieß, jetzt geht sie endlich wieder an den Herd.

Neumann: Wahnsinn!

Sedlaczek: Das hat mich persönlich gar nicht so sehr berührt, macht aber trotzdem betroffen und traurig. Im Jahr 2019! Denn auch, wenn mir die großen Shitstorms bisher erspart geblieben sind, wird bei uns Frauen bei jedem Versprecher, jedem Fehler viel genauer hingehört als bei Männern. Und auch, wenn das mit den Jahren weniger wird, habe ich mit Hass und Hetze im Netz zu tun. Ich habe zwar meinen Umgang damit gefunden, das nicht persönlich an mich herankommen zu lassen, muss und werde es aber immer kritisch hinterfragen.

Neumann: Wobei Moderatorinnen im Fußball weit etablierter sind als Kommentatorinnen.

Spätestens seit Monica Lierhaus Anfang der Nuller zumindest.

Neumann: Trotzdem bleibt die Grundhaltung uns gegenüber skeptisch. Wenn ein Mann kommentiert, kommentiert er eben. Wenn es eine Frau tut, kommt sofort die Frage auf: kann die das überhaupt? Das gilt ebenso für Moderatorinnen. Oder nehmen Sie die Suche nach einem DFB-Präsidenten. Wollte bei den Herren Koch, Peters, Grindel irgendwer wissen, ob der das grundsätzlich kann? Nee! Das wird nur bei Frauen hinterfragt.

Sind Sie deshalb Teil einer Kampagne für mehr weibliche Führungskräfte im DFB?

Neumann: Es geht uns keinesfalls ausschließlich um den DFB, sondern das gesamte Fußball-Spektrum. Frauen sind in allen Bereichen nur im marginalen Prozentbereich vertreten, das bildet die Vielfalt unserer Gesellschaft einfach nicht ab. Die Diskussion über die Neubesetzung des DFB-Präsidentenamtes folgt überholten Mechanismen und wirkt damit ziemlich hilflos. Vor irgendwelchen Personaldebatten sollten inhaltliche und strukturelle Fragen geklärt werden. Stattdessen erleben wir gerade wieder Machtgehabe, Intrigen, ausgeprägte Beharrungskräfte. Es geht ausschließlich um persönliche Interessen, eigentlich unfassbar.

Immerhin gibt es jetzt bei der Berichterstattung einen Fortschritt. Wenn Sie Matthias Opdenhövel im August bei der legendären Samstags-Sportschau ablösen, Frau Sedlaczek – haben Frauen dort dann die Mehrheit?

Sedlaczek: Lassen Sie mich mal durchzählen – 2:1, in der Tat. Wie geil ist das denn!

Sind wir etwa vorm Umweg über echte Parität gleich auf dem Weg ins Matriarchat oder ist das bloß Episode?

Sedlaczek: Mir würde es reichen, wenn wir dadurch so viel darüber reden, dass wir irgendwann gar nicht mehr darüber reden. Ich glaube nicht, dass die ARD hier Quoten erfüllen wollte, sondern ich mir den Job verdient habe. Aber es ist ein schönes Signal, oder?

Neumann: Unbedingt sogar, es verändert sich was.

Könnte sich das auch sprachlich auswirken – werden Sie bei der EM und in der Sportschau zum Beispiel gendern?

Sedlaczek: Bei der Sportschau verwenden wir aktuell das Gender-Sternchen im Schriftverkehr, in der Regel aber nicht auf dem Sender.

Neumann: Obwohl ich mich persönlich nicht herabgewürdigt fühle, bei „Sportreporter“ mitgemeint zu sein, mache ich mir darüber immer mehr Gedanken in den letzten Wochen. Ich bin unbedingt auf allen Ebenen der Gesellschaft für absolute Gleichberechtigung und verstehe die Haltung derer, die Gendern wichtig finden, weil Sprache nun mal Haltungen definiert. In der Live-Situation empfinde ich es aber als sperrig. Vermutlich wähle ich da einen Mittelweg, der mir aber schon deshalb leichter fällt, weil ich als Kommentatorin eines Männerturniers naturgemäß selten von Frauen rede.

Letzte Frage, darf nicht fehlen, sorry: Wer wird Europameister?

Sedlaczek: Mangels Kristallkugel sage ich: sag ich nicht, bei so vielen starke Teams!

Neumann: Der beste (lacht). In den redaktionellen Tipprunden gewinnen eh immer die, die bekennend am wenigsten Ahnung von Fußball haben.

Bios

Esther Sedlaczek, Tochter des Schauspielers Sven Martinek, war Modejournalistin, bevor sie 2011 als Fußballreporterin zu Sky geht. Im August wechselt die 36-jährige Ostberlinerin zur ARD-„Sportschau“

Claudia Neumann, 1964 geboren in Düren, ist seit 30 Jahren Sportreporterin, gut zwei Drittel davon beim ZDF, für das sie bei der EM 2016 als erste deutsche Frau ein Männer-Länderspiel kommentiert.

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