Elefantendiebstahl & Ekelpakete
Posted: September 27, 2021 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a commentDie Gebrauchtwoche
20. – 26. September
Selbstversuche sind manchmal die einzige Chance, bahnbrechende Erkenntnisgewinne zu erzielen. Mit ihrer Bereitschaft, sich mit Leib und Leben der Wissenschaft zu verschreiben, haben unzählige Forscher*innen der Menschheit Riesendienste erwiesen. Okay, ein so riesiger Dienst war es vielleicht nicht, den ganzen Wahlabend RTL, statt ARD zu schauen. Während der fünfstündigen Privatfernsehdruckbetankung waren ja weder Leib noch Leben in Gefahr – sind Peter Kloeppel und Pinar Atalay doch mediale Politikhasen, die selbst hier für Qualität bürgen. Aber wer sich über die Zusammensetzung des künftigen Bundestags in Echtzeit informieren will, sollte diesen Selbstversuch besser nicht nachmachen.
Mangels Meinungsforschung schaffte es RTL nicht mal, Punkt 18 Uhr eine Prognose zu zeigen, sondern schrieb hastig (und mit 240 Prozent der SPD auch noch falsch) beim ZDF ab. Mangels Relevanz kam abgesehen von Alice Weidel, der Peter Kloeppel ein hitziges, abrupt abgebrochenes Streitgespräch abrang, eher B-Prominenz ins Studio. Als ARZDF zur Elefantenrunde baten, unterhielt sich Frauke Ludowig mangels A-Prominenz entsprechend mit dem hauseigenen Hundecoach Martin Rütter über den Wahlausgang. Immerhin.
Denn Bild TV klaute derweil einfach dreist den öffentlich-rechtlichen Spitzentalk und verdeckte deren Logo einfach mit dem eigenen. Vielleicht meinte die Springer AG ja das mit der vollmundigen Ankündigung, 600 Journalistinnen und Journalisten einzukaufen, nachdem sie kurz zuvor das internationale News-Portal Politico für 1,5 Milliarden Dollar übernommen hatte. Vielleicht macht der Sonntag also abschließend deutlich, wie rechtschaffen in der Regel gebührenfinanziertes Fernsehen ist und wie schamlos zuweilen das werbefinanzierte.
Die abofinanzierten Portale zeigten dem Rest währenddessen bei den Emmy Awards, was eine Streamingharke ist. Abgeräumt hat zum Beispiel die tolle Comedy-Serie Ted Lasso von Apple+ mit vier Preisen, Kate Winslets Mare of Easttown (HBO/Sky) lag mit drei knapp dahinter. Und ganz vorne wie immer: das fünffach prämierte Netflix-Drama The Crown. 2022 dürfte dagegen die intergalaktische Serien-Dystopie Foundation nach Isaac Asimovs wegweisendem SciFi-Roman von 1940, seit Freitag bei Apple+, alles allein abräumen – und zwar völlig zu Recht.
Die Frischwoche
27. September – 3. Oktober
Angesichts dieser fiktionalen Güte fällt es schwer, das aktuelle Programm anzupreisen – zumal es noch voll im Schatten der Bundestagswahl steht. Bei ZOL muss man heute Abend befürchten, dass Linda Zervakis den Verlierer Armin Laschet zum Show-Wrestling mit Matthias Opdenhövel bittet oder der umgekehrt seine Kollegin zum Schlamm-Catchen mit Annalena Baerbock. Danach aber reist Thilo Mischke Uncovered an die Front in der Ukraine, was eigentlich immer für Anspruch mit Emotionen bürgt.
Anspruch mit Humor verspricht die BR-Serie 3 Frauen, 1 Auto, ein zwanzigmal fünfminütiges, crossmediales Mediathekenmobilitätskammerspiel um eine bayerische Zwangsfahrgemeinschaft. Für Humor ohne Anspruch sorgt hingegen das Serien-Sequel der sensationell erfolgreichen Tragikomödie Mein Freund, das Ekel mit Dieter Hallervorden als Pensionär im heiteren Clinch mit einer alleinerziehenden Mutter (Alware Höfels) ab Donnerstag im ZDF. Zugleich beschreitet Sky neue Biopic-Wege, indem es das Fußballerleben der italienischen Legende Francesco Totti im Sechsteiler Il Capitano mal nicht dokumentarisch abfeiert, sondern fiktional durcheinanderwürfelt. Auf originelle Art lustig.
Heute schon zeigt TVNow die sehr, sehr britische Aufarbeitung des Profumo-Skandals der Sechzigerjahre, wobei Die skandalösen Affären der Christine Keeler das Ganze glücklicherweise aus Sicht der Geliebten des gestürzten Kriegsministers erzählt. Freitag dann starten schwedische Serienwochen in der Arte-Mediathek, zum Auftakt die Tourismusgroteske 30° im Februar plus RomCom Einfach Liebe. Weder romantisch noch komisch geht es dagegen zu, wenn Kommissar Borowski am Sonntag im Tatort Kiel ein Wiedersehen mit Lars Eidinger als durchgeknalltem Frauenmörder Korthals feiert.