Best-of & Worst-of 2021

Maulwurf, Lovemobil, Wetten, dass…?

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Leute lieben Ranglisten. Die 15 leckersten Grünkohlrezepte, die 25 coolsten Clubs, die 50 billigsten Anmachsprüche – wer Inspiration sucht, findet sie im Mahlstrom des Massengeschmacks. Beim TV-Programm sind solche Rankings aber schon deshalb komplizierter, weil informatives, amüsantes, kurzweiliges Entertainment mehr als alles andere Auslegungssache ist. Zeugen 14 Millionen Zuschauer einer reanimierten Show von höherer Güte als einige Hunderttausend der besten Doku des Jahres? Solche Ansichtssachen kann keine Rangliste klären. Unser TV-Klassement 2021 ordnet daher auch weniger Qualitätskriterien als Erregungspotenziale ein. Gut ist gutes Fernsehen trotzdem, schlechtes schlecht, und in der Mitte läuft der Tatort.

Best-of 2021

1. Joko & Klaas gegen ProSieben

Es war kein Aprilscherz, über den das Netz Anfang April diskutierte, sondern ernstes Resultat einer Gaudi: Nach gewonnenem Spaßduell gegen ProSieben, nutzten Joko & Klaas die 15 Minuten Primetime dafür, eine Pflegerin gut sieben Stunden bei der Arbeit zu beobachten. Selten zuvor war Fernsehen ohne Aufwand, Drama, Kommentare bedeutsamer.

2. Mare of Easttown, Sky

Eigentlich reicht es, Kate Winslet reglos vor eine Wand zu stellen – die Oscarpreisträgerin ist auch ohne perfektes Drehbuch sehenswert. Doch wenn sich letzteres zu erster gesellt und eine Serie wie Mare of Easttown ums miserable Leben einer Kleinstadtpolizistin im Bann verschwundener Mädchen dabei herauskommt, ist es ein Glück, dass Winslet jede Figur mit so zurückhaltender Inbrunst verkörpert.

3. Der Maulwurf, ZDF info

Schwer zu sagen, was an der dänischen Info-Doku The Mule sehenswerter war – der Blick in den irren Führerstaat Nord-Korea oder wie er zustande kam? Egal: Wenn der arbeitslose Koch Ulrich Larsen und ein Fremdenlegionär das Regime unter Einsatz ihrer Leben dazu bringen, eine falsche Waffenfabrik in Afrika zu bauen, ist das Resultat Sachfernsehen wie ein Thriller.

4. Faking Hitler, RTL+

Um aufzuzählen, was RTL+ 2021 Sehenswertes in Serie eigenproduziert hat, reicht der Platz kaum aus. Eine Verfilmung der Wirecard-Story, das Kammerspiel Acht Zeugen, der Schirach-Prozess Glauben und dann noch Sisis Comeback – alles fast so sehenswert wie Faking Hitler, die weniger ulkige, aber sehr kluge Schtonk!-Adaption mit Moritz Bleibtreu als Tagebuchfälscher und Lars Eidinger als Stern-Gläubiger.

5. Schwarze Adler, Prime Video

Wenn Dokumentarfilme emotional und nüchtern sind, unterhaltsam und ernst, forsch und demütig, erbost und milde, künstlerisch und wahrhaftig – dann landet man fix bei Torsten Körner. Mit Schwarze Adler skizziert er klug wie immer den beharrlichen Rassismus im deutschen Fußball, liefert aber vor allem Porträts nicht-weißer Spielerinnen und Spieler, die zwar zu Tränen rühren, aber kämpferisch machen.

6. Sisi, RTL

Oje, schon diese Idee – RTL lässt Sisi auferstehen. Das Resultat aber war erstaunlich: Realismus statt Schmalz, ein Kaiser mit Kanten, sechs Folgen ohne Pathos, natürlich Weichzeichner und Geigen, aber stilvoll. Sven Bohses Remake ist trotz saftiger Sisi mit Holzdildo respektabel – und zeigt wie Boris-Becker-Biopic Der Rebell: RTL kann mehr kann als Ballermann.

7. Eldorado KaDeWe

Wenn Historytainment deutsche Zwischen- bis Nachkriegszeit bebildert, dominieren Kostüm und Kulisse die Handlung. Eldorado KdW war sich der Grandiosität seiner Erzählung diverser Frauen und Männer im Weimarer Kaufhausumfeld so sicher, dass Julia von Heinz der ARD ein exzessives, sechsteiliges, brillant besetztes Stück Weltliteratur am Bildschirm erschaffen hat.

8. Beforeigners, ARD

Als Zeitreisende von Steinzeit bis Fin de Siècle aus dem Osloer Fjord klettern, sind die Beforeigners nicht nur Figuren eines tragikomischen Historienkrimis, sondern das Originellste, was seit langem aus der Heimat serieller Triebtäter nach Deutschland kam. Abgesehen vom dänischen Arte-Zehnteiler Wenn die Stille einkehrt, wo ein Terroranschlag zur Basis einer herausragenden Psychoanalyse aller Betroffenen wird.

Worst-of 2021

1. Lovemobil, NDR

Qualitätsmedien sind unter populistischem Beschuss. Als Elke Lehrenkrauss die Prostituierten ihrer Provinzstudie Lovemobil von Darstellern spielen ließ, verging sich die Regisseurin also nicht nur am NDR, den Zuschauern und der Wahrheit, sondern einer ganzen Branche im Ringen um Glaubwürdigkeit. Gut, dass die hauseigene Redaktion STRG_F für Aufklärung sorgte.

2. Sat1

Sat1, Weltkriegsveteranen erinnern sich, war einst ein Vollprogramm mit Format, Bedeutung, Journalisten. Und heute? Ist es eine Vollprogrammattrappe mit Claudias House of Love, Promis unter Palmen oder Plötzlich arm, plötzlich reich – zynische Fremdschamformate voller Sexismus, Mobbing, Homophobie, die Menschenverachtung nicht dulden, sondern fördern.

3. The Drag in Us, ZDF

Nach dem famosen Netflix-Drama Pose klang die Idee einer deutschen Transgender-Sitcom durchaus charmant. Doch The Drag and Us war nicht nur die lausigste, sondern diskriminierendste TV-Serie zur sexuellen Vielfalt 2021 – emanzipatorisch Bierzelt, stilistisch Hausmeister Krause. Kein Wunder: dessen Star Tom Gerhardt war am Neo-Machwerk beteiligt.

4. Ein Hauch von Amerika, ARD

Nazis? Gar nicht so schlimm und in der Minderheit! Amerikaner? Schon deshalb schlimmer als Nazis und vorwiegend Rassisten! Wer dem Mehrteiler Ein Hauch von Amerika Glauben schenkt, hält die Befreiung von 1945 flugs fürs größere Verbrechen als die zwölf Jahre zuvor. Noch erstaunlicher als der Erfolg dieses revisionistischen ARD-Machwerks war da nur, dass es von einem Israeli namens Dror Zahavi stammt.

5. Die letzte Instanz, WDR

Was Thomas Gottschalk, Janine Kunze, Micky Beisenherz, Jürgen Milski, Steffen Hallaschka vereint? In ihrer weißen Wohlstandsexistenz haben sie niemals mit Rassismus zu tun, durften im WDR-Talk Die letzte Instanz aber darüber diskutieren. Ihr Urteil: Rassismusopfer sind nur zu sensibel. Der Shitstorm war noch zu klein für so viel Ignoranz von Kanal und Personal.

6. Zervakis & Opdenhövel.Live, ProSieben

Als inmitten der Pandemie öffentlich-rechtliches Personal wie Jan Hofer zur Privatkonkurrenz ging, drohte sich das Nachrichtenniveau anzugleichen – bis Zervakis & Opdenhövel oder das peinliche Baerbock-Interview von Tilo Mischke & Katrin Bauerfeind zeigten: Politik können ARZDF doch besser. Was allerdings nicht für Bundestagswahl-Trielle gilt – da waren Linda Zervakis und Claudia von Brauchitsch die Besten.

7. Wetten, dass…?, ZDF

Um zu sehen, wie sich das Publikum nach Lagerfeuern sehnt, langte ein Blick auf die Comeback-Quote von Wetten, dass…?. Um zu sehen, wie diese Sehnsucht trog, langte Gottschalks Versuch, fürs sprachliche bis handliche Gefummel Absolution zu fordern. Statt neuer ZDF-Ideen also habituelles Mittelalter. Dann doch lieber Jörg Draegers Rückkehr zu Geh aufs Ganze!.

8. Squid Game, Netflix

An südkoreanischer Popkultur ist kein Vorbeikommen. Ob Squid Game deshalb zur erfolgreichsten Netflix-Serie überhaupt wurde, bleibt ungeklärt. Tatsache ist: Hwang Dong-hyuks Echtzeitdystopie über ein tödliches Kinderspiel, bei dem Wohlstandsverlierer ihr Leben gegen Reichtum setzen, war zwar hochwertig gemachter, aber komplett selbstreferenzieller Horror-Porno für schlichte Gemüter.

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