Owsjannikowa & Balko

TV

Die Gebrauchtwoche

21. – 27. März

Sechs Sekunden können eine Ewigkeit sein. Während sechs Sekunden unterm sonnigen Himmel der Freiheit oft wie im Flug vergehen, fühlen sich sechs Sekunden unterm dauernden Beschuss im Luftschutzkeller vermutlich länger als sechs Stunden an. Die russische Journalistin Marina Owsjannikowa hat der Zeitspanne nun eine neue Dimension verliehen, als sie im russischen Staatsfernsehen ein Schild mit den Worten No War hochhielt und sich damit, verrückt genug, nach örtlichem Kriegsrecht nicht nur strafbar machte, sondern zur einzigen öffentlich wahrnehmbaren Stimme der Vernunft.

Zum ersten Mal im Verlauf des russischen Zivilisationsbruchs kamen offizielle Bilder aus Putins faschistischer Diktatur daher ohne den publizistischen Hinweis, sie ließen sich „aus unabhängiger Quelle nicht bestätigen“. Was Marina Owsjannikowa unter Gefahr für Leib und Leben wagte, es war echt. Es war mutig. Es war real in einem digital gestreamten Echtzeitkrieg, dessen erstes Opfer auch 108 Jahre, nachdem der amerikanische Senator Hiram Johnson das schreckliche Bonmot erfunden hatte, die Wahrheit ist.

Ein weiteres Opfer, so scheint es, ist der Humor. Leider. Denn natürlich war und ist es richtig, dass Komiker wie Jan Böhmermann, Klaas Heufer-Umlauf oder Tommi Schmitt in ihren Late-Night-Shows nicht zur Tagesordnung übergehen. Aber Erleichterung hat uns ihre Erbauungsarbeit erst verschafft, als das ZDF Magazin Royal vorigen Freitag nach vorheriger Pointenpause wieder ein bisschen auf die Kacke drosch. Ob es hingegen taktvoll oder verlogen ist, dass Neo die Ausstrahlung der Kriegssatire Californian Commando vom kommenden Freitag auf den Summer of Love verschiebt?

Genauso gut könnte man angesichts des Serienkillers im Kreml den achtteiligen Thriller Blinded um einen Serienkiller in Dänemark aus der Arte-Mediathek verbannen. Doch das sind Spitzfindigkeiten, denn das Leben macht zwar vielerorts Pause, geht andernorts aber ungehindert weiter – so läuft das Spiel des Entertainments, in dem Amazon gerade endgültig MGM übernommen hat und damit seine Marktmacht zementiert.

Die Frischwoche

14. – 20. März

Netflix zementiert die seine derweil mit Staffel 2 des saftigen Historienmelodrams Bridgerton. Vor zwei Jahren wochenlang das Streaming-Gespräch Nr. 1, dürfte sich die Aufregung ab Freitag allerdings im Zaum halten, wenn Shondaland im London vor 200 Jahren wieder die Ballsaison eröffnet. Morgen bereits setzt Sky die Geschichte der religiösen Betrügersippe The Rightous Gemstones fort.

An gleicher Stelle startet am Donnerstag die Videogame-Verfilmung Halo um einen human-androiden Krieg im 26. Jahrhundert. SciFi-Bombast auf höchstem, aber auch ein wenig berechenbarem Niveau. Völlig anderes Thema, ebenso opulent aufgetischt: die dreisprachige Apple-Serie Pachenko erzählt das Schicksal einer koreanischen Einwandererfamilie in den USA nach dem gleichnamigen Bestseller ab Freitag über vier Generationen hinweg.

Und wieder was völlig anderes: Unter der Klammer Short Dramedy stellt die ARD am Mittwoch sechs Serien in ihre Mediathek. In (buchstäblich) aller Kürze: das achtmal zehnminütige Beziehungspotpourri Muspilli. Die Culture Clash-Serie Straight Outta Crostwitz mit Jasna Fritzi Bauer als sorbische Volksmusikerin. Das polykulturelle Kuriositätenkabinett All In um erfolglose Automatenzocker. Die Waschsalon-Liaison Saubere Sache voll prominenter Gäste von Margarita Broich und Caroline Frier bis Benno Fürmann und Samuel Finzi. Das Dorffußball-Porträt Ollewitz und dazu Die Pflegionärin mit Patient*innen wie Iris Berben oder Ronald Zehrfeld.

Erwähnenswert noch, dass Jochen Horst nach 25 Jahren Auszeit als Balko an der Seite seines Kollegen Kommissar Krapp (Ludger Pistor) in einer ziemlich absurden Fortsetzung zu RTL zurückkehrt. Und im maximal weiblichen ARD-Mittwochsfilm Flügel aus Beton inszeniert Lea Becker nach Lilly Bogenbergers Drehbuch ein herzergreifend glaubhaftes Coming-of-Age-Melodram über todessehnsüchtige Teenager im Social-Media-Zeitalter.



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