Joachim Kosack: Ufa & Fachkräftemangel
Posted: June 16, 2022 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |Leave a commentWir waren immer eine Quereinstiegsbranche
Wie alle Film- und Fernsehproduzenten leidet auch die altehrwürdige Ufa unterm Fachkräftemangel. Helfen soll seit ein paar Monaten eine Weiterbildungsoffensive. Ufa-Geschäftsführer Joachim Kosack (Foto: Ufa) im freitagsmedien-Interview über Learning by doing, Berufswechsel und seine eigenen Quereinstiege.
Von Jan Freitag
Herr Kosack, wenn die UFA im Fachkräftemangel um Quereinsteiger für ein Weiterbildungsprogramm wirbt – ist das ein Hilfegesuch oder ein Hilferuf?
Joachim Kosack: Zunächst mal ist es eine Win-win-Situation. Auch wenn die UFA ihre Projekte noch produzieren kann, ist der Fachkräftemangel ein Thema, das die ganze Branche betrifft. Anders als früher stehen die Menschen nicht mehr Schlange, um beim Film zu arbeiten. Abgesehen vom zunehmenden Alter der geburtenstarken Jahrgänge hat das viele Gründe.
Welche genau?
Durchs Streaming wird seit Jahren so viel produziert, dass es schlicht nicht genug Leute gibt. Und selbst im Privatfernsehboom brauchte man noch große Produktionshäuser, um auf Film zu drehen. Heute können alle auf YouTube oder Instagram eigene Sachen machen und digital verbreiten. Andererseits hat man gerade Leuten wie mir vom Theater früher die Jobs förmlich hinterhergeschmissen. So einfach funktioniert das aber nicht mehr – zum Glück.
Zum Glück?
Weil die Branche damals bürgerlich, akademisch, weiß und männlich geprägt war, kann es ihr nur guttun, wenn sie durch Quereinsteiger:innen mit anderem Hintergrund diverser wird. Vor der Kamera gibt es mittlerweile genug, die sich dafür interessieren. Dass es auch dahinter interessante Jobs gibt, muss vielen erst noch vermittelt werden. Wer weiß schon was ein Focus Puller ist?
Sie meinen Kamera-Assistenz?
So etwas wird auf unserer Homepage erklärt. Darüber hinaus haben wir den dringlichsten Bedarf evaluiert und vier Felder gefunden: Regieassistenz, Aufnahmeleitung, Script/Continuity, Filmgeschäftsführung. Dafür werben wir auf Social Media, aber auch analog mit einer Agentur, die im deutschsprachigen Raum Casting-Events in Einkaufspassagen organisiert, bei denen wir Bewerber:innen für Scripted-Reality-Formate auch über Berufe jenseits der Kamera informieren. An denen besteht seit dem Telenovela-Boom der Nuller Riesenbedarf, der nicht mit dem Sozialprestige der Formate mithält.
Zumal diese Jobs selten mal lineare Ausbildungsberufe sind.
Unserer Branche ist von learning by doing geprägt. Selbst Gewerke, die wie Kostüm, Maske, Ausstattung handwerklich orientiert sind, wurden lange nicht in der Lehre, sondern Praxis erlernt. Film und Fernsehen war immer eine Quereinstiegsbranche. Dem wurde erst durch Mindestlohn, Praktikumsregulierung oder der Anerkennung vieler Ausbildungen durch Industrie- und Handelskammern richtigerweise politisch Einhalt geboten. Ob man sich noch grundsätzlich orientiert, wegen des kaputten Rückens umsatteln oder noch einmal was Neues erlernen möchte: bei uns sind alle willkommen, die Interesse an unserer Ausbildung haben.
Wofür Sie Ihnen auch etwas zahlen?
Im Rahmen rechtlicher Vorgaben; auch das gehört zur Professionalisierung. Und es wirkt. Nach 24 Stunden hatten wir bereits 20 Bewerber und Bewerberinnen.
Alles Freunde, von Freundinnen, also aus der eigenen Blase?
Zur Herkunft kann ich noch nichts sagen, aber wir setzen bewusst neben Anzeigen bei Branchenmedien wie „Quotenmeter“ auch auf eine aktuelle Plakataktion an Hauptbahnhöfen und Volkshochschulen, damit es mehr als die Freunde von Freundinnen sind.
Freunde von Freundinnen, die laut Homepage 26 bis 60 sein dürfen. Bildet sich die UFA Leute aus, die sieben Jahre später vielleicht in Rente gehen?
Zum einen erleben wir, dass Menschen heute länger arbeiten und auch mit 60 agiler und fitter sind als zur Zeit von Norbert Blüms Satz, die Rente sei sicher. Zum anderen schließt Diversität auch das Alter ein. Warum sollen wir dringend benötigte Fachkräfte aufgrund ihrer Reife ausschließen, also diskriminieren? Eine Steuerberaterin, die nach 30 Jahren keine Lust mehr auf Kanzlei hat, kriegt das, was sie in der Filmgeschäftsführung braucht, doch in sechs Monaten locker drauf. Sie muss nur wollen.
Was muss sich in Film & Fernsehen noch ändern, damit Jung & Alt wieder dahin will?
Die Betonung agiler Teamarbeit. In der öffentlichen Wahrnehmung gilt alle Aufmerksamkeit nach wie vor Schauspiel und Regie, dann möglicherweise Drehbuch und Kamera. Dass Serien und Filme nur gemeinsam gut werden, haben trotz starker Hierarchien fast alle begriffen, aber es muss noch besser kommuniziert werden. Die Leute wollen heutzutage mit allen auf Augenhöhe arbeiten – ganz gleich ob Direkt- oder Quereinstieg.
Nehmen Sie letzterem somit ein wenig vom Makel des Scheiterns im alten Beruf und der Unterqualifikation im neuen?
Den Gedanken hatte ich als jemand, der selbst quereingestiegen ist, zwar nie, aber es stimmt: Quereinstiege hatten lange keinen allzu guten Ruf. Nur: wie viele studieren Psychologie, landen danach im Callcenter und steigen über die Teamleitung in den Vorstand auf. Die Wendigkeit der Start-up-Gesellschaft macht elitäres Expertentum zusehends überflüssig, während soziale Kompetenz, Gestaltungswille, Leidenschaft wichtiger werden. Beruflich flexibler zu sein, hat – auch durch Corona – an Bedeutung gewonnen. Die Zeit des Makels ist vorbei.
Wie quer war denn Ihr eigener Einstieg?
Sehr quer. Ich habe seit dem Abi keine Prüfung abgelegt und abgesehen von zwei Scheinen in neuer deutscher Geschichte nichts Formelles vorzuweisen. Meine Qualifikation stammt vom Theater und Kabarett, irgendwann wurde ich Regieassistent, dann Spielleiter, und weil meine Schwester als Storylinerin bei „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ tätig war, habe ich es 1996 dort versucht und dachte – nach sechs Monaten gehe ich zurück zum Theater. Dann bin ich vom Regisseur über den Producer und Produzenten zum Geschäftsführer geworden – und denke das immer noch (lacht).
Wenn Ihnen die UFA-Leitung zu langweilig wird – welcher Quereinstieg wäre denkbar?
Keinen Quereinstieg, eher ein Rückeinstieg: Theaterintendant im kleinen Drei-Sparten-Haus der deutschen Provinz. Ich plane das nicht, fände es aber toll.
Zur Person
Joachim Kosack, 1965 als Sohn eines christlichen Missionars in Indonesien geboren, widmete sich nach dem Abitur in Wuppertal früh dem Theater, bevor er mit 30 zur Ufa wechselte und dort Serien wie GZSZ schrieb. Nach Zwischenetappen bei Sat1 und teamWorx kehrte er 2012 zurück, übernahm die neu gegründete Ufa Fiction und ist dort seit 2017 federführend für Dramaserien zuständig.