1000 Robota, Gaddafi Gals, Fink
Posted: October 2, 2022 | Author: Jan Freitag | Filed under: 5 freitagsmusik |Leave a comment1000 Robota
Normalerweise taugen die PR-Beipackzettel neuer Platten alter Bands selten zur Weiterverbreitung, aber jener zum dritten Album der bemerkenswerten Hamburger Indierockband 1000 Robota enthält eine schöne Umschreibung dessen, was Sebastian Muxfeldt, Jonas Hinnerkort und Anton Spielmann seit ihrem Plattendebüt Du nicht er nicht sie nicht vor 15 Jahren auf Tapete Records beherrschen wie kaum drei zweite: den Zeitgeist anschreien.
Seinerzeit taten sie es mit einem Mix aus wütendem Postpunk und avantgardistischem Industrial. Jetzt sind alle, wirklich alle, die sich nicht in eskapistischen Heididei flüchten, auf industriell-avantgardistische Art sauer, und was machen 1000 Robota: dasselbe, nur besser. Gitarrensoli und Kinderchöre vereinen sich auf 3/3 mit Bassgemurmel und Endzeitpoesie zu einer brachialen Melancholie, die zwischen Feuilleton und Gummizelle alle Genres jenseits vom Mainstream bedient, ohne sich irgendwo anzubiedern.
1000 Robota – 3/3 (Tapete Records)
Gaddafi Gals
Eigentlich bürgt ja schon die Rapperin Ebru Düzgün alias Ebow allein für kreative Ausdifferenzierung des planquadratischen HipHop deutscher Herkunft. Fügte man ihr noch die Songwriterin Nalan Karacagil aus Berlin hinzu, wäre das Ergebnis schon die Ausdifferenzierung der Ausdifferenzierung. Gemeinsam mit dem Produzenten walter p99 arkestra jedoch differenziert sich die Ausdifferenzierung zur eklektischen Sinnsuche zeitgenössischer Musik insgesamt aus.
Nach dreijähriger Pause haben sie ihr elektroalternatives Projekt Gaddafi Gals reanimiert, und auch an Romeo Must Die beißen sich Kategorisierungsversuche vermutlich wieder die Zähne aus. Zwölf Stücke lang mäandert das Trio schließlich so virtuos durch Schlabber-Soul und Oriental-Dub, kratzigem Trap und poppigem R’n’B, dass sich die Autotunes nur so im Ohr verhaken, aber nie nerven. Einfach weil es grandios ist, was die drei aus allem machen, was ihnen unters Mischpult gerät.
Gaddafi Gals – Romeo Must Die (3-Headed Monster Posse)
Fink
Und dann noch, weil es immer noch so unendlich traurig und zugleich tröstlich ist, dass Nils Koppruch vor zehn Jahren zwar viel zu früh gestorben ist, aber in unseren Herzen weiterlebt, feiern wir hiermit eine Reissue, die alle Aufmerksamkeit der Welt verdient: das wundervolle Nischenlabel Trocadero hat den kompletten Fundus seiner großartigen Alternativecountry-Band Fink von Soundgarden-Chef Chris von Rautenkranz bearbeiten und auf buntes Vinyl pressen lassen.
Ein Vierteljahrhundert erscheinen damit nicht nur längst vergriffene LPs in herausragender Qualität als Coffeetable-Box für Boomer und andere zum Hinstellen, Durchhören, Liebehaben. Die ersten zwei Alben Vogelbeobachtung im Winter und Loch in der Welt erscheinen sogar erstmals auf 12# und sind wie alle anderen auch einzeln erhältlich. Endlich. Als Hommage an den unbekanntesten Weltstar der deutschen Popkultur, ein Poet von urbaner Windschiefe.
Fink – ne Menge Leute, Ltd Box-Set (Indigo/Trocadero)