Die Nerven, Sorry, The Düsseldorf Düsterboys
Posted: October 9, 2022 | Author: Jan Freitag | Filed under: 5 freitagsmusik |Leave a commentDie Nerven
Der Bandname war ja schon immer fantastisch: Die Nerven. Auch ihr musikalischer Duktus zwischen Wut und Melancholie, Lyrikrock und Politipoesie: selbst im breiten Flussbett alternativer Indie-Seitenarme etwas ganz Besonderes. Jetzt aber schickt das Trio sein sechstes Studioalbum aus dem Stuttgarter Kessel ins krisengeschüttelte Land, und es gibt kein verklausuliertes Erbarmen mehr, nur noch klare Kante.
Wenn Max Rieger “Deutschland muss in Flammen stehen / ich will alles brennen sehen” singt, mag seine Stimme daher noch immer ein bisschen nach Tocotronic beim Beerdigungskaffeeundkuchen klingen, aber der Subtext passt sich den Begebenheiten an, und das ist gut so, weil es gut ist. Weil sich Riffs und Läufe wie und je eher unter die Haut schieben, als darauf herumzukratzen, weil Die Nerven einfach das sind, was man sich im Pop für alle wünscht: aufrichtig.
Die Nerven – Die Nerven (Glitterhouse Records)
Sorry
Noch ein fabelhafter Bandname: Sorry. Sorry für gar nix, müsste man hinzufügen oder wie es im Londoner Norden heißt, wo das Quintett schon seit Jugendtagen musiziert: Fuck you. Das nämlich schleudern Asha Lorenz und Louis O’Bryan ins weite Rund elegischen Alternativepops, sie sind also gleichsam pissed und entspannt. Ein Rezept, das schon ihr Debütalbum prägte und auf Anywhere But Here noch eindrücklicher klingt.
Elegant zerdeppert von Drummer Lincoln Barrett, Multi-Instrumentalist Campbell Baum und Elektroniker Marco Pini nämlich klingen die 13 Tracks wie eine Strandparty in der Gummizelle – gleichermaßen sonnig und betrübt, wach und betäubt, gefangen und befreit, optimistisch und dystopisch. Es sind Fanfaren des selbstgenügsamen Unwohlseins, die über industriell verzerrte Gitarren gelegt und damit spürbar werden. Das muss man eher verkraften als hören, aber dann wirkt es Wunder.
Sorry – Anywhere but Here (Domino)
The Düsseldorf Düsterboys
Und dann wäre da natürlich der depperte, aber irgendwie ja auch famose Bandname The Düsseldorf Düsterboys. Das Duo, bestehend aus Peter Rubel und Pedro Goncalves Crescenti, die aus Mainz stammen und in Essen spielen, haben den Nachfolger ihres vielbeachteten, präpandemischen Debütalbums Nenn mich Musik herausgebracht, und wieder ist der enthaltene Zweipersonenbigbandfolk darauf alles andere als düster.
Im Gegenteil: das Potpourri aus Fieldrecordings und Studioarrangements klingt oft, als träfen sich Peter Licht und Niels Koppruch fürs deutschsprachige Coveralbum der Greatest Hits von Simon & Garfunkel im Bällebad. Das Resultat? Ein retrofuturistisches Manifest augenzwinkernden Unernstes und damit das weltbeste Poesiealbum einer Zeit, in der man ja nie weiß, ob man heulen oder tanzen soll. The Düsseldorf Düsterboys machen immer beides.
The Düsseldorf Düsterboys – Duo Duo (Staatsakt)